Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. des Geschäfts von letzterem selbst. Gewollt wird nicht dies,dies Bestimmte, Sichere, sondern ein Etwas: das, was in der Urkunde steht -- vielleicht also etwas ganz Anderes, als der Redende weiß und will. In dieser Weise kann er wollen, ohne jetzt bereits im Mindesten zu wissen Was, z. B. versprechen, was dieser jenem versprochen hat oder gar erst versprechen wird. 805) Noch weniger erfahren die Zeugen etwas Näheres; sie sind dabei, sie sehen was geschieht und hören, was gesprochen wird, und doch wissen sie nicht das Geringste vom Inhalt -- sie sehen, so zu sagen, nur den Schatten des Geschäfts! Bei dem Eigenthumserwerb und der Vindication einer Sache ge- nügte es nicht, sie bloß zu nennen, sich nur auf sie mit Wor- ten zu beziehen, sondern man sollte sie fassen. Und bei dem Rechtsgeschäft hätte man den Inhalt desselben nicht eben- falls fassen, d. h. mit der Zunge fassen (lingua nuncupare) 806) sollen? Ein Wollen durch bloße Beziehung, durch abstracte Erklärung des Beitritts der Einwilligung u. s. w. widerspricht meiner Ansicht nach aufs entschiedenste dem Geiste des ältern Rechts. Ich glaube also z. B. rücksichtlich der Stipulation, daß in alter Zeit nicht bloß der Stipulant den ganzen Inhalt derselben angeben, sondern auch der Promittent ihn wörtlich nachsprechen mußte (S. 583). Ebenso bei der Cor- realobligation und der Bürgschaft. Für den Eid ist es be- 805) So z. B.: quantam pecuniam ... credidero, tantam dari spondes (L. 18 §. 3 de stip. serv. 45. 3), fide tua esse jubes (L. 47 §. 1 de fidej. 46. 1). Beim Testament: quem heredem codicillis fecero, heres esto (L. 73 de hered. inst. 28. 5), quantum legavero .. (L. 38 de cond. et dem. 35. 1). Eine ausführliche Erörterung folgt im dritten Sy- stem bei der Theorie der Rechtsgeschäfte. 806) In der älteren Sprache wird dieser Ausdrück für Sprechen schlecht-
hin gebraucht, in der neuern scheint er vorzugsweise für die aus Schrift und Rede verbundenen Geschäfte gebraucht worden zu sein, um mittelst seiner den mündlichen Theil des Geschäfts (nuncupatio) im Gegensatz zu dem schrift- lichen (tabulae) besonders hervorzuheben; so namentlich beim Testament und Votum, s. z. B. Sueton. Aug. c. 97. Fest. nuncupat. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. des Geſchäfts von letzterem ſelbſt. Gewollt wird nicht dies,dies Beſtimmte, Sichere, ſondern ein Etwas: das, was in der Urkunde ſteht — vielleicht alſo etwas ganz Anderes, als der Redende weiß und will. In dieſer Weiſe kann er wollen, ohne jetzt bereits im Mindeſten zu wiſſen Was, z. B. verſprechen, was dieſer jenem verſprochen hat oder gar erſt verſprechen wird. 805) Noch weniger erfahren die Zeugen etwas Näheres; ſie ſind dabei, ſie ſehen was geſchieht und hören, was geſprochen wird, und doch wiſſen ſie nicht das Geringſte vom Inhalt — ſie ſehen, ſo zu ſagen, nur den Schatten des Geſchäfts! Bei dem Eigenthumserwerb und der Vindication einer Sache ge- nügte es nicht, ſie bloß zu nennen, ſich nur auf ſie mit Wor- ten zu beziehen, ſondern man ſollte ſie faſſen. Und bei dem Rechtsgeſchäft hätte man den Inhalt deſſelben nicht eben- falls faſſen, d. h. mit der Zunge faſſen (lingua nuncupare) 806) ſollen? Ein Wollen durch bloße Beziehung, durch abſtracte Erklärung des Beitritts der Einwilligung u. ſ. w. widerſpricht meiner Anſicht nach aufs entſchiedenſte dem Geiſte des ältern Rechts. Ich glaube alſo z. B. rückſichtlich der Stipulation, daß in alter Zeit nicht bloß der Stipulant den ganzen Inhalt derſelben angeben, ſondern auch der Promittent ihn wörtlich nachſprechen mußte (S. 583). Ebenſo bei der Cor- realobligation und der Bürgſchaft. Für den Eid iſt es be- 805) So z. B.: quantam pecuniam … credidero, tantam dari spondes (L. 18 §. 3 de stip. serv. 45. 3), fide tua esse jubes (L. 47 §. 1 de fidej. 46. 1). Beim Teſtament: quem heredem codicillis fecero, heres esto (L. 73 de hered. inst. 28. 5), quantum legavero .. (L. 38 de cond. et dem. 35. 1). Eine ausführliche Erörterung folgt im dritten Sy- ſtem bei der Theorie der Rechtsgeſchäfte. 806) In der älteren Sprache wird dieſer Ausdrück für Sprechen ſchlecht-
hin gebraucht, in der neuern ſcheint er vorzugsweiſe für die aus Schrift und Rede verbundenen Geſchäfte gebraucht worden zu ſein, um mittelſt ſeiner den mündlichen Theil des Geſchäfts (nuncupatio) im Gegenſatz zu dem ſchrift- lichen (tabulae) beſonders hervorzuheben; ſo namentlich beim Teſtament und Votum, ſ. z. B. Sueton. Aug. c. 97. Fest. nuncupat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <p><pb facs="#f0324" n="618"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> des Geſchäfts von letzterem ſelbſt. Gewollt wird nicht <hi rendition="#g">dies</hi>,<lb/> dies Beſtimmte, Sichere, ſondern ein <hi rendition="#g">Etwas</hi>: das, was in<lb/> der Urkunde ſteht — vielleicht alſo etwas ganz Anderes, als der<lb/> Redende weiß und will. In dieſer Weiſe kann er wollen, ohne<lb/> jetzt bereits im Mindeſten zu wiſſen <hi rendition="#g">Was</hi>, z. B. verſprechen,<lb/> was dieſer jenem verſprochen hat oder gar erſt verſprechen<lb/> wird. <note place="foot" n="805)">So z. B.: <hi rendition="#aq">quantam pecuniam … credidero, tantam dari<lb/> spondes (L. 18 §. 3 de stip. serv. 45. 3), fide tua esse jubes (L. 47 §. 1<lb/> de fidej. 46. 1).</hi> Beim Teſtament: <hi rendition="#aq">quem heredem codicillis fecero,<lb/> heres esto (L. 73 de hered. inst. 28. 5), quantum legavero .. (L. 38 de<lb/> cond. et dem. 35. 1).</hi> Eine ausführliche Erörterung folgt im dritten Sy-<lb/> ſtem bei der Theorie der Rechtsgeſchäfte.</note> Noch weniger erfahren die <hi rendition="#g">Zeugen</hi> etwas Näheres;<lb/> ſie ſind dabei, ſie ſehen was geſchieht und hören, was geſprochen<lb/> wird, und doch wiſſen ſie nicht das Geringſte vom Inhalt —<lb/> ſie ſehen, ſo zu ſagen, nur den <hi rendition="#g">Schatten</hi> des Geſchäfts! Bei<lb/> dem Eigenthumserwerb und der Vindication einer <hi rendition="#g">Sache</hi> ge-<lb/> nügte es nicht, ſie bloß zu <hi rendition="#g">nennen</hi>, ſich nur auf ſie mit Wor-<lb/> ten zu <hi rendition="#g">beziehen</hi>, ſondern man ſollte ſie <hi rendition="#g">faſſen</hi>. Und bei<lb/> dem Rechtsgeſchäft hätte man den Inhalt deſſelben nicht eben-<lb/> falls <hi rendition="#g">faſſen</hi>, d. h. mit der Zunge faſſen (<hi rendition="#aq">lingua nuncupare</hi>) <note place="foot" n="806)">In der älteren Sprache wird dieſer Ausdrück für Sprechen ſchlecht-<lb/> hin gebraucht, in der neuern ſcheint er vorzugsweiſe für die aus Schrift und<lb/> Rede verbundenen Geſchäfte gebraucht worden zu ſein, um mittelſt ſeiner den<lb/> mündlichen Theil des Geſchäfts (<hi rendition="#aq">nuncupatio</hi>) im Gegenſatz zu dem ſchrift-<lb/> lichen (<hi rendition="#aq">tabulae</hi>) beſonders hervorzuheben; ſo namentlich beim Teſtament und<lb/> Votum, ſ. z. B. <hi rendition="#aq">Sueton. Aug. c. 97. Fest. nuncupat.</hi></note><lb/> ſollen? Ein Wollen durch bloße Beziehung, durch abſtracte<lb/> Erklärung des Beitritts der Einwilligung u. ſ. w. widerſpricht<lb/> meiner Anſicht nach aufs entſchiedenſte dem Geiſte des ältern<lb/> Rechts. Ich glaube alſo z. B. rückſichtlich der <hi rendition="#g">Stipulation</hi>,<lb/> daß in alter Zeit nicht bloß der <hi rendition="#g">Stipulant</hi> den ganzen<lb/> Inhalt derſelben angeben, ſondern auch der Promittent ihn<lb/> wörtlich nachſprechen mußte (S. 583). Ebenſo bei der Cor-<lb/> realobligation und der Bürgſchaft. Für den <hi rendition="#g">Eid</hi> iſt es be-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [618/0324]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
des Geſchäfts von letzterem ſelbſt. Gewollt wird nicht dies,
dies Beſtimmte, Sichere, ſondern ein Etwas: das, was in
der Urkunde ſteht — vielleicht alſo etwas ganz Anderes, als der
Redende weiß und will. In dieſer Weiſe kann er wollen, ohne
jetzt bereits im Mindeſten zu wiſſen Was, z. B. verſprechen,
was dieſer jenem verſprochen hat oder gar erſt verſprechen
wird. 805) Noch weniger erfahren die Zeugen etwas Näheres;
ſie ſind dabei, ſie ſehen was geſchieht und hören, was geſprochen
wird, und doch wiſſen ſie nicht das Geringſte vom Inhalt —
ſie ſehen, ſo zu ſagen, nur den Schatten des Geſchäfts! Bei
dem Eigenthumserwerb und der Vindication einer Sache ge-
nügte es nicht, ſie bloß zu nennen, ſich nur auf ſie mit Wor-
ten zu beziehen, ſondern man ſollte ſie faſſen. Und bei
dem Rechtsgeſchäft hätte man den Inhalt deſſelben nicht eben-
falls faſſen, d. h. mit der Zunge faſſen (lingua nuncupare) 806)
ſollen? Ein Wollen durch bloße Beziehung, durch abſtracte
Erklärung des Beitritts der Einwilligung u. ſ. w. widerſpricht
meiner Anſicht nach aufs entſchiedenſte dem Geiſte des ältern
Rechts. Ich glaube alſo z. B. rückſichtlich der Stipulation,
daß in alter Zeit nicht bloß der Stipulant den ganzen
Inhalt derſelben angeben, ſondern auch der Promittent ihn
wörtlich nachſprechen mußte (S. 583). Ebenſo bei der Cor-
realobligation und der Bürgſchaft. Für den Eid iſt es be-
805) So z. B.: quantam pecuniam … credidero, tantam dari
spondes (L. 18 §. 3 de stip. serv. 45. 3), fide tua esse jubes (L. 47 §. 1
de fidej. 46. 1). Beim Teſtament: quem heredem codicillis fecero,
heres esto (L. 73 de hered. inst. 28. 5), quantum legavero .. (L. 38 de
cond. et dem. 35. 1). Eine ausführliche Erörterung folgt im dritten Sy-
ſtem bei der Theorie der Rechtsgeſchäfte.
806) In der älteren Sprache wird dieſer Ausdrück für Sprechen ſchlecht-
hin gebraucht, in der neuern ſcheint er vorzugsweiſe für die aus Schrift und
Rede verbundenen Geſchäfte gebraucht worden zu ſein, um mittelſt ſeiner den
mündlichen Theil des Geſchäfts (nuncupatio) im Gegenſatz zu dem ſchrift-
lichen (tabulae) beſonders hervorzuheben; ſo namentlich beim Teſtament und
Votum, ſ. z. B. Sueton. Aug. c. 97. Fest. nuncupat.
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