Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.

Der geistige Höhenpunkt dieser Kunst ist ein niedriger, er
liegt tief unter dem der heutigen und auch der spätern römischen
Jurisprudenz, allein auf und von dieser Basis aus erhebt sich
dieselbe zu einer Höhe, die unsere ganze Bewunderung in An-
spruch nimmt. Als der eigentliche geistige Mittelpunkt, von
dem aus wir das Verständniß derselben zu gewinnen suchen
müssen, läßt sich ihr Streben nach strenger Logik be-
zeichnen. Aber diese Logik ist eigenthümlicher Art, sie ist eine
höchst peinliche, minutiöse, eine Logik des Kleinen und Klein-
sten, sie fordert eine Genauigkeit des Ausdrucks und der An-
ordnung des Gedankens, wie sie im Sprechen zu beobachten
auch dem schärfsten Denker unmöglich fallen würde. Sie eig-
nete sich daher nur für den juristischen Lapidarstyl, bei dem das
kleinste Wörtchen sich aufs sorgfältigste abwägen läßt. Ueber-
tragen auf andere Gebiete der sprachlichen Darstellung würde
sie mit ihrer Ungelenkigkeit, Ausschließlichkeit, Peinlichkeit und
Monotonie der Ruin aller Freiheit und Schönheit der Dar-
stellung sein. Dagegen sind allerdings die Regeln, die sie
aufstellt, unbestreitbar der genauesten Beobachtung des Den-
kens entnommen -- es steckt in diesen nüchternen Formeln eine
kleine Theorie der Logik.

Was mich aber am meisten mit Bewunderung erfüllt, ist
das ungemeine Verständniß für die feinsten Nüancen der sprach-
lichen Formen, das höchst entwickelte Tastvermögen für die
eigenthümliche logische Bedeutung und sprachliche Bestimmung
derselben; wie eine Theorie der Logik, so könnte man dem For-
melnwesen bis zu einem gewissen Grade auch eine Theorie der
Sprach-, namentlich der Verbalformen entnehmen. Durch Be-
nutzung der der Sprache abgelauschten feinen Züge ist es den
alten Juristen gelungen, mit wenig Mitteln außerordentlich viel
zu erreichen, ich meine nicht sowohl kurz, treffend, bezeichnend
zu reden, sondern sprachlich in einer Weise zu charakteri-
siren und individualisiren
, für die die Geschichte der
Sprache wenig Seitenstücke darbieten möchte.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.

Der geiſtige Höhenpunkt dieſer Kunſt iſt ein niedriger, er
liegt tief unter dem der heutigen und auch der ſpätern römiſchen
Jurisprudenz, allein auf und von dieſer Baſis aus erhebt ſich
dieſelbe zu einer Höhe, die unſere ganze Bewunderung in An-
ſpruch nimmt. Als der eigentliche geiſtige Mittelpunkt, von
dem aus wir das Verſtändniß derſelben zu gewinnen ſuchen
müſſen, läßt ſich ihr Streben nach ſtrenger Logik be-
zeichnen. Aber dieſe Logik iſt eigenthümlicher Art, ſie iſt eine
höchſt peinliche, minutiöſe, eine Logik des Kleinen und Klein-
ſten, ſie fordert eine Genauigkeit des Ausdrucks und der An-
ordnung des Gedankens, wie ſie im Sprechen zu beobachten
auch dem ſchärfſten Denker unmöglich fallen würde. Sie eig-
nete ſich daher nur für den juriſtiſchen Lapidarſtyl, bei dem das
kleinſte Wörtchen ſich aufs ſorgfältigſte abwägen läßt. Ueber-
tragen auf andere Gebiete der ſprachlichen Darſtellung würde
ſie mit ihrer Ungelenkigkeit, Ausſchließlichkeit, Peinlichkeit und
Monotonie der Ruin aller Freiheit und Schönheit der Dar-
ſtellung ſein. Dagegen ſind allerdings die Regeln, die ſie
aufſtellt, unbeſtreitbar der genaueſten Beobachtung des Den-
kens entnommen — es ſteckt in dieſen nüchternen Formeln eine
kleine Theorie der Logik.

Was mich aber am meiſten mit Bewunderung erfüllt, iſt
das ungemeine Verſtändniß für die feinſten Nüancen der ſprach-
lichen Formen, das höchſt entwickelte Taſtvermögen für die
eigenthümliche logiſche Bedeutung und ſprachliche Beſtimmung
derſelben; wie eine Theorie der Logik, ſo könnte man dem For-
melnweſen bis zu einem gewiſſen Grade auch eine Theorie der
Sprach-, namentlich der Verbalformen entnehmen. Durch Be-
nutzung der der Sprache abgelauſchten feinen Züge iſt es den
alten Juriſten gelungen, mit wenig Mitteln außerordentlich viel
zu erreichen, ich meine nicht ſowohl kurz, treffend, bezeichnend
zu reden, ſondern ſprachlich in einer Weiſe zu charakteri-
ſiren und individualiſiren
, für die die Geſchichte der
Sprache wenig Seitenſtücke darbieten möchte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <pb facs="#f0330" n="624"/>
                        <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
                        <p>Der gei&#x017F;tige Höhenpunkt die&#x017F;er Kun&#x017F;t i&#x017F;t ein niedriger, er<lb/>
liegt tief unter dem der heutigen und auch der &#x017F;pätern römi&#x017F;chen<lb/>
Jurisprudenz, allein <hi rendition="#g">auf</hi> und <hi rendition="#g">von</hi> die&#x017F;er Ba&#x017F;is aus erhebt &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;elbe zu einer Höhe, die un&#x017F;ere ganze Bewunderung in An-<lb/>
&#x017F;pruch nimmt. Als der eigentliche gei&#x017F;tige Mittelpunkt, von<lb/>
dem aus wir das Ver&#x017F;tändniß der&#x017F;elben zu gewinnen &#x017F;uchen<lb/>&#x017F;&#x017F;en, läßt &#x017F;ich ihr <hi rendition="#g">Streben nach &#x017F;trenger Logik</hi> be-<lb/>
zeichnen. Aber die&#x017F;e Logik i&#x017F;t eigenthümlicher Art, &#x017F;ie i&#x017F;t eine<lb/>
höch&#x017F;t peinliche, minutiö&#x017F;e, eine Logik des Kleinen und Klein-<lb/>
&#x017F;ten, &#x017F;ie fordert eine Genauigkeit des Ausdrucks und der An-<lb/>
ordnung des Gedankens, wie &#x017F;ie im <hi rendition="#g">Sprechen</hi> zu beobachten<lb/>
auch dem &#x017F;chärf&#x017F;ten Denker unmöglich fallen würde. Sie eig-<lb/>
nete &#x017F;ich daher nur für den juri&#x017F;ti&#x017F;chen Lapidar&#x017F;tyl, bei dem das<lb/>
klein&#x017F;te Wörtchen &#x017F;ich aufs &#x017F;orgfältig&#x017F;te abwägen läßt. Ueber-<lb/>
tragen auf andere Gebiete der &#x017F;prachlichen Dar&#x017F;tellung würde<lb/>
&#x017F;ie mit ihrer Ungelenkigkeit, Aus&#x017F;chließlichkeit, Peinlichkeit und<lb/>
Monotonie der Ruin aller Freiheit und Schönheit der Dar-<lb/>
&#x017F;tellung &#x017F;ein. Dagegen &#x017F;ind allerdings die Regeln, die &#x017F;ie<lb/>
auf&#x017F;tellt, unbe&#x017F;treitbar der genaue&#x017F;ten Beobachtung des Den-<lb/>
kens entnommen &#x2014; es &#x017F;teckt in die&#x017F;en nüchternen Formeln eine<lb/>
kleine Theorie der Logik.</p><lb/>
                        <p>Was mich aber am mei&#x017F;ten mit Bewunderung erfüllt, i&#x017F;t<lb/>
das ungemeine Ver&#x017F;tändniß für die fein&#x017F;ten Nüancen der &#x017F;prach-<lb/>
lichen Formen, das höch&#x017F;t entwickelte Ta&#x017F;tvermögen für die<lb/>
eigenthümliche logi&#x017F;che Bedeutung und &#x017F;prachliche Be&#x017F;timmung<lb/>
der&#x017F;elben; wie eine Theorie der Logik, &#x017F;o könnte man dem For-<lb/>
melnwe&#x017F;en bis zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grade auch eine Theorie der<lb/>
Sprach-, namentlich der Verbalformen entnehmen. Durch Be-<lb/>
nutzung der der Sprache abgelau&#x017F;chten feinen Züge i&#x017F;t es den<lb/>
alten Juri&#x017F;ten gelungen, mit wenig Mitteln außerordentlich viel<lb/>
zu erreichen, ich meine nicht &#x017F;owohl kurz, treffend, bezeichnend<lb/>
zu reden, &#x017F;ondern <hi rendition="#g">&#x017F;prachlich</hi> in einer Wei&#x017F;e zu <hi rendition="#g">charakteri-<lb/>
&#x017F;iren und individuali&#x017F;iren</hi>, für die die Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Sprache wenig Seiten&#x017F;tücke darbieten möchte.</p><lb/>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[624/0330] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Der geiſtige Höhenpunkt dieſer Kunſt iſt ein niedriger, er liegt tief unter dem der heutigen und auch der ſpätern römiſchen Jurisprudenz, allein auf und von dieſer Baſis aus erhebt ſich dieſelbe zu einer Höhe, die unſere ganze Bewunderung in An- ſpruch nimmt. Als der eigentliche geiſtige Mittelpunkt, von dem aus wir das Verſtändniß derſelben zu gewinnen ſuchen müſſen, läßt ſich ihr Streben nach ſtrenger Logik be- zeichnen. Aber dieſe Logik iſt eigenthümlicher Art, ſie iſt eine höchſt peinliche, minutiöſe, eine Logik des Kleinen und Klein- ſten, ſie fordert eine Genauigkeit des Ausdrucks und der An- ordnung des Gedankens, wie ſie im Sprechen zu beobachten auch dem ſchärfſten Denker unmöglich fallen würde. Sie eig- nete ſich daher nur für den juriſtiſchen Lapidarſtyl, bei dem das kleinſte Wörtchen ſich aufs ſorgfältigſte abwägen läßt. Ueber- tragen auf andere Gebiete der ſprachlichen Darſtellung würde ſie mit ihrer Ungelenkigkeit, Ausſchließlichkeit, Peinlichkeit und Monotonie der Ruin aller Freiheit und Schönheit der Dar- ſtellung ſein. Dagegen ſind allerdings die Regeln, die ſie aufſtellt, unbeſtreitbar der genaueſten Beobachtung des Den- kens entnommen — es ſteckt in dieſen nüchternen Formeln eine kleine Theorie der Logik. Was mich aber am meiſten mit Bewunderung erfüllt, iſt das ungemeine Verſtändniß für die feinſten Nüancen der ſprach- lichen Formen, das höchſt entwickelte Taſtvermögen für die eigenthümliche logiſche Bedeutung und ſprachliche Beſtimmung derſelben; wie eine Theorie der Logik, ſo könnte man dem For- melnweſen bis zu einem gewiſſen Grade auch eine Theorie der Sprach-, namentlich der Verbalformen entnehmen. Durch Be- nutzung der der Sprache abgelauſchten feinen Züge iſt es den alten Juriſten gelungen, mit wenig Mitteln außerordentlich viel zu erreichen, ich meine nicht ſowohl kurz, treffend, bezeichnend zu reden, ſondern ſprachlich in einer Weiſe zu charakteri- ſiren und individualiſiren, für die die Geſchichte der Sprache wenig Seitenſtücke darbieten möchte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/330
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/330>, abgerufen am 05.06.2024.