Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
Classe -- gehört principiell der ersteren, den beiden anderen Ge- walten ist hier nur ein höchst beschränkter Wirkungskreis beschie- den, das andere Gebiet hingegen fällt, wenn auch nicht aus- schließlich, so doch vorzugsweise den letztern anheim.
Ob die Römer selbst sich dieser Gränzscheidung bewußt ge- wesen, wäre am Ende gleichgültig, wenn sie sich nur sachlich constatiren ließe. Allein ich finde dieselbe auch in unsern Quel- len angedeutet. Pomponius 898) zerlegt das alte Recht in drei Bestandtheile (tria jura): die Gesetze, die Legisactionen und das jus civile im engern Sinn des Worts, d. h. das von den alten Juristen (veteres, qui tunc jura condiderunt) im Anschluß an die Gesetzgebung gebildete Recht (S. 493). Es erscheint hier also das jus civile als etwas außer und neben den Legis- actionen befindliches, ungeachtet doch auch letztere der Jurispru- denz ihren Ursprung verdankten und ebenfalls als "jus" (Fla- vianum, Aelianum) bezeichnet wurden. In Anwendung auf sie kann also die rechtsbildende Thätigkeit der Juristen nicht den Charakter an sich getragen, nicht den Spielraum gefunden ha- ben, wie innerhalb des jus civile. Und diesen Schluß soll die folgende Ausführung bestätigen.
Ich wende mich zuerst dem jus civile zu, und zwar nicht, um die Thatsache der in demselben enthaltenen selbständigen Rechts- bildung zu constatiren -- dies ist bereits früher (S. 481 fl.) ge- schehen -- sondern um an einigen Beispielen zu zeigen, daß letz- tere innerhalb der oben angegebenen Gränzen möglich war, ohne gegen das Princip der legis actio zu verstoßen.
Zu den selbständigen Schöpfungen der alten Jurisprudenz ge- hörte die Usucapion der Erbschaft als solcher. Indem sie dieselbe einführte, gewährte sie damit mittelbar allerdings eine Klage (die hereditatis petitio), allein unmittelbar ward letztere durch diese Neuerung durchaus nicht berührt, sie blieb, was sie war: ein Schutzmittel der Erben. Nicht sie selbst ward aus-
898)L. 2 §. 5, 6 de O. J. (1. 2).
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
Claſſe — gehört principiell der erſteren, den beiden anderen Ge- walten iſt hier nur ein höchſt beſchränkter Wirkungskreis beſchie- den, das andere Gebiet hingegen fällt, wenn auch nicht aus- ſchließlich, ſo doch vorzugsweiſe den letztern anheim.
Ob die Römer ſelbſt ſich dieſer Gränzſcheidung bewußt ge- weſen, wäre am Ende gleichgültig, wenn ſie ſich nur ſachlich conſtatiren ließe. Allein ich finde dieſelbe auch in unſern Quel- len angedeutet. Pomponius 898) zerlegt das alte Recht in drei Beſtandtheile (tria jura): die Geſetze, die Legisactionen und das jus civile im engern Sinn des Worts, d. h. das von den alten Juriſten (veteres, qui tunc jura condiderunt) im Anſchluß an die Geſetzgebung gebildete Recht (S. 493). Es erſcheint hier alſo das jus civile als etwas außer und neben den Legis- actionen befindliches, ungeachtet doch auch letztere der Jurispru- denz ihren Urſprung verdankten und ebenfalls als „jus“ (Fla- vianum, Aelianum) bezeichnet wurden. In Anwendung auf ſie kann alſo die rechtsbildende Thätigkeit der Juriſten nicht den Charakter an ſich getragen, nicht den Spielraum gefunden ha- ben, wie innerhalb des jus civile. Und dieſen Schluß ſoll die folgende Ausführung beſtätigen.
Ich wende mich zuerſt dem jus civile zu, und zwar nicht, um die Thatſache der in demſelben enthaltenen ſelbſtändigen Rechts- bildung zu conſtatiren — dies iſt bereits früher (S. 481 fl.) ge- ſchehen — ſondern um an einigen Beiſpielen zu zeigen, daß letz- tere innerhalb der oben angegebenen Gränzen möglich war, ohne gegen das Princip der legis actio zu verſtoßen.
Zu den ſelbſtändigen Schöpfungen der alten Jurisprudenz ge- hörte die Uſucapion der Erbſchaft als ſolcher. Indem ſie dieſelbe einführte, gewährte ſie damit mittelbar allerdings eine Klage (die hereditatis petitio), allein unmittelbar ward letztere durch dieſe Neuerung durchaus nicht berührt, ſie blieb, was ſie war: ein Schutzmittel der Erben. Nicht ſie ſelbſt ward aus-
898)L. 2 §. 5, 6 de O. J. (1. 2).
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
Claſſe — gehört principiell der erſteren, den beiden anderen Ge-
walten iſt hier nur ein höchſt beſchränkter Wirkungskreis beſchie-
den, das andere Gebiet hingegen fällt, wenn auch nicht aus-
ſchließlich, ſo doch vorzugsweiſe den letztern anheim.
Ob die Römer ſelbſt ſich dieſer Gränzſcheidung bewußt ge-
weſen, wäre am Ende gleichgültig, wenn ſie ſich nur ſachlich
conſtatiren ließe. Allein ich finde dieſelbe auch in unſern Quel-
len angedeutet. Pomponius 898) zerlegt das alte Recht in drei
Beſtandtheile (tria jura): die Geſetze, die Legisactionen und
das jus civile im engern Sinn des Worts, d. h. das von den
alten Juriſten (veteres, qui tunc jura condiderunt) im Anſchluß
an die Geſetzgebung gebildete Recht (S. 493). Es erſcheint
hier alſo das jus civile als etwas außer und neben den Legis-
actionen befindliches, ungeachtet doch auch letztere der Jurispru-
denz ihren Urſprung verdankten und ebenfalls als „jus“ (Fla-
vianum, Aelianum) bezeichnet wurden. In Anwendung auf ſie
kann alſo die rechtsbildende Thätigkeit der Juriſten nicht den
Charakter an ſich getragen, nicht den Spielraum gefunden ha-
ben, wie innerhalb des jus civile. Und dieſen Schluß ſoll die
folgende Ausführung beſtätigen.
Ich wende mich zuerſt dem jus civile zu, und zwar nicht, um
die Thatſache der in demſelben enthaltenen ſelbſtändigen Rechts-
bildung zu conſtatiren — dies iſt bereits früher (S. 481 fl.) ge-
ſchehen — ſondern um an einigen Beiſpielen zu zeigen, daß letz-
tere innerhalb der oben angegebenen Gränzen möglich war, ohne
gegen das Princip der legis actio zu verſtoßen.
Zu den ſelbſtändigen Schöpfungen der alten Jurisprudenz ge-
hörte die Uſucapion der Erbſchaft als ſolcher. Indem ſie dieſelbe
einführte, gewährte ſie damit mittelbar allerdings eine Klage
(die hereditatis petitio), allein unmittelbar ward letztere
durch dieſe Neuerung durchaus nicht berührt, ſie blieb, was ſie
war: ein Schutzmittel der Erben. Nicht ſie ſelbſt ward aus-
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/373>, abgerufen am 22.07.2024.
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