Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem.
was sie an der Jurisprudenz selbst nicht begriffen haben: näm- lich, daß die einfachste Kunst ihre Technik hat, eine Technik, die zwar nichts ist als der angesammelte und objectivirte Niederschlag des gesunden Men- schenverstandes, aber doch nur von demjenigen an- gewandt und beurtheilt werden kann, der sich die Mühe nimmt, sie zu erlernen.
In diesem einfachen Satz ist die Gegensätzlichkeit der Juris- prudenz und des Laienthums und damit die Rechtfertigung der Jurisprudenz enthalten. Eine ungleich interessantere und frucht- barere, aber auch um eben so viel schwierigere Weise der Ver- theidigung der Jurisprudenz würde darin bestehen, daß man jene von uns behauptete Uebereinstimmung derselben mit dem gesunden Menschenverstande im Einzelnen nachwiese. An eine solche Selbstkritik und Apologetik der Jurisprudenz ist frei- lich wenig gedacht. Zufrieden mit dem festen Besitz dessen, was sich durch die Erfahrung als brauchbar bewährt hat, und sich beruhigend bei der realen Kritik, die ihre Lehrsätze täglich im Leben zu bestehen haben, hat die Jurisprudenz sich dieser Mühe gern entschlagen; sie läßt sich in dieser Beziehung von dem Vorwurf einer gewissen Indolenz und eines sich beim Positiven beruhigenden Quietismus nicht frei sprechen. Nur so ward es möglich, daß einzelne ihrer Jünger an ihr irre wurden und selbst den Stein auf sie warfen. Die folgenden Paragraphen ge- ben mir die erwünschte Gelegenheit, jenen Weg der Rechtferti- gung einzuschlagen und meine obige Definition der Jurispru- denz an einem der wichtigsten Punkte zu erhärten.
So sehr ich aber von der Möglichkeit einer solchen Apologe- tik der Jurisprudenz überzeugt bin, so darf man doch zweierlei dabei nicht außer Acht lassen. Erstens: ich habe diese Möglich- keit nur für die Jurisprudenz in Anspruch genommen, also für das, was sie eingeführt und aufgebracht, nicht aber für das, was eine äußere Autorität ihr an positivem Stoff aufge- drängt hat, und wofür sie die Verantwortlichkeit von sich ab-
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
was ſie an der Jurisprudenz ſelbſt nicht begriffen haben: näm- lich, daß die einfachſte Kunſt ihre Technik hat, eine Technik, die zwar nichts iſt als der angeſammelte und objectivirte Niederſchlag des geſunden Men- ſchenverſtandes, aber doch nur von demjenigen an- gewandt und beurtheilt werden kann, der ſich die Mühe nimmt, ſie zu erlernen.
In dieſem einfachen Satz iſt die Gegenſätzlichkeit der Juris- prudenz und des Laienthums und damit die Rechtfertigung der Jurisprudenz enthalten. Eine ungleich intereſſantere und frucht- barere, aber auch um eben ſo viel ſchwierigere Weiſe der Ver- theidigung der Jurisprudenz würde darin beſtehen, daß man jene von uns behauptete Uebereinſtimmung derſelben mit dem geſunden Menſchenverſtande im Einzelnen nachwieſe. An eine ſolche Selbſtkritik und Apologetik der Jurisprudenz iſt frei- lich wenig gedacht. Zufrieden mit dem feſten Beſitz deſſen, was ſich durch die Erfahrung als brauchbar bewährt hat, und ſich beruhigend bei der realen Kritik, die ihre Lehrſätze täglich im Leben zu beſtehen haben, hat die Jurisprudenz ſich dieſer Mühe gern entſchlagen; ſie läßt ſich in dieſer Beziehung von dem Vorwurf einer gewiſſen Indolenz und eines ſich beim Poſitiven beruhigenden Quietismus nicht frei ſprechen. Nur ſo ward es möglich, daß einzelne ihrer Jünger an ihr irre wurden und ſelbſt den Stein auf ſie warfen. Die folgenden Paragraphen ge- ben mir die erwünſchte Gelegenheit, jenen Weg der Rechtferti- gung einzuſchlagen und meine obige Definition der Jurispru- denz an einem der wichtigſten Punkte zu erhärten.
So ſehr ich aber von der Möglichkeit einer ſolchen Apologe- tik der Jurisprudenz überzeugt bin, ſo darf man doch zweierlei dabei nicht außer Acht laſſen. Erſtens: ich habe dieſe Möglich- keit nur für die Jurisprudenz in Anſpruch genommen, alſo für das, was ſie eingeführt und aufgebracht, nicht aber für das, was eine äußere Autorität ihr an poſitivem Stoff aufge- drängt hat, und wofür ſie die Verantwortlichkeit von ſich ab-
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
was ſie an der Jurisprudenz ſelbſt nicht begriffen haben: näm-
lich, daß die einfachſte Kunſt ihre Technik hat, eine
Technik, die zwar nichts iſt als der angeſammelte
und objectivirte Niederſchlag des geſunden Men-
ſchenverſtandes, aber doch nur von demjenigen an-
gewandt und beurtheilt werden kann, der ſich die
Mühe nimmt, ſie zu erlernen.
In dieſem einfachen Satz iſt die Gegenſätzlichkeit der Juris-
prudenz und des Laienthums und damit die Rechtfertigung der
Jurisprudenz enthalten. Eine ungleich intereſſantere und frucht-
barere, aber auch um eben ſo viel ſchwierigere Weiſe der Ver-
theidigung der Jurisprudenz würde darin beſtehen, daß man
jene von uns behauptete Uebereinſtimmung derſelben mit
dem geſunden Menſchenverſtande im Einzelnen nachwieſe. An
eine ſolche Selbſtkritik und Apologetik der Jurisprudenz iſt frei-
lich wenig gedacht. Zufrieden mit dem feſten Beſitz deſſen, was
ſich durch die Erfahrung als brauchbar bewährt hat, und ſich
beruhigend bei der realen Kritik, die ihre Lehrſätze täglich im
Leben zu beſtehen haben, hat die Jurisprudenz ſich dieſer Mühe
gern entſchlagen; ſie läßt ſich in dieſer Beziehung von dem
Vorwurf einer gewiſſen Indolenz und eines ſich beim Poſitiven
beruhigenden Quietismus nicht frei ſprechen. Nur ſo ward es
möglich, daß einzelne ihrer Jünger an ihr irre wurden und
ſelbſt den Stein auf ſie warfen. Die folgenden Paragraphen ge-
ben mir die erwünſchte Gelegenheit, jenen Weg der Rechtferti-
gung einzuſchlagen und meine obige Definition der Jurispru-
denz an einem der wichtigſten Punkte zu erhärten.
So ſehr ich aber von der Möglichkeit einer ſolchen Apologe-
tik der Jurisprudenz überzeugt bin, ſo darf man doch zweierlei
dabei nicht außer Acht laſſen. Erſtens: ich habe dieſe Möglich-
keit nur für die Jurisprudenz in Anſpruch genommen, alſo
für das, was ſie eingeführt und aufgebracht, nicht aber für
das, was eine äußere Autorität ihr an poſitivem Stoff aufge-
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/38>, abgerufen am 16.07.2024.
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