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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
aber aufs entschiedenste erklären muß, ist jene Ausartung der
Restitution in ein reines, aller Anhaltspunkte baares Con-
struiren
, das, nachdem die tonangebenden Meister das Bei-
spiel gegeben, in den Händen der Gesellen 914) als Probestück
correcter rechtshistorischer Richtung zu einer wahren Caricatur
geworden ist.

Wer eine Ahnung von den Feinheiten des römischen Formel-
wesens hat und bescheiden genug ist einzugestehen, wie wenig
unser Auge für sie entwickelt ist, 915) wird nirgends so sehr vor
dem Construiren zurückschrecken, als hier.


Ich wende mich jetzt einer neuen Seite des Formelwesens
zu: der praktischen Anwendung desselben.

914) Um Anderer zu geschweigen, greife ich Herrn Muther in Königsberg
(Zur Actio u. s. w. Erlangen 1857) heraus, der durch sein auch in anderer
Weise an einen Gesellen erinnerndes bisheriges Auftreten den Anspruch auf
Schonung von meiner Seite verscherzt hat. Er selbst gerirt sich freilich bereits
wie ein Meister -- eine Selbsttäuschung, die bei Jemanden, der kaum noch
Schüler schon den Schulmeister zu spielen wagt, allerdings sehr erklärlich und
auch durch meine Bemerkung, daß Schulmeister und Meister zweierlei
sind, -- schwerlich zu heben sein wird.
915) Um ein schlagendes Beispiel davon zu geben (s. außerdem auch Note
706 nebst S. 633 oben und Note 793), so nehme ich die Formel, mit der nach
Puchta, Cursus der Inst. II §. 162 not. o) der Prätor die Partheien zum
manus conserere bei Grundstücken aufforderte: suis'utrisque superstitibus
praesentibus vindicias sumite, inite viam.
Statt der gesperrten
Worte hat Cic. pro Mur. 12, dem die Formel entnommen ist: istam viam
dico,
die aber Ciaconius ("satis ingeniose e Festo." Orelli ad h. 1.) mit
jenen vertauscht und darin an Puchta einen Nachfolger gefunden hat. Wer
die Formel bei letzterm liest, muß sie für eine ächte halten, sie wird mitgetheilt
mit Angabe der Quellenbelege und ohne weitere Warnung. Der Umstand, daß
ein Mann wie Puchta jene Worte nicht sofort für unmöglich erkannte, liefert
einen frappanten Beweis dafür, wie wenig wir uns noch in das römische For-
melwesen hineingedacht haben; sie enthalten einen Verstoß gegen die ein-
fachste Bauernlogik -- jeder Römer würde den Prätor verlacht haben, der
ihm befohlen hätte, zuerst die Scholle zu holen und dann sich auf den
Weg zu machen! Daß die Formel in dieser Fassung daneben noch den ganzen
Hergang bei jenem Akt verschiebt (S. 600), will ich gar nicht einmal rügen.

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
aber aufs entſchiedenſte erklären muß, iſt jene Ausartung der
Reſtitution in ein reines, aller Anhaltspunkte baares Con-
ſtruiren
, das, nachdem die tonangebenden Meiſter das Bei-
ſpiel gegeben, in den Händen der Geſellen 914) als Probeſtück
correcter rechtshiſtoriſcher Richtung zu einer wahren Caricatur
geworden iſt.

Wer eine Ahnung von den Feinheiten des römiſchen Formel-
weſens hat und beſcheiden genug iſt einzugeſtehen, wie wenig
unſer Auge für ſie entwickelt iſt, 915) wird nirgends ſo ſehr vor
dem Conſtruiren zurückſchrecken, als hier.


Ich wende mich jetzt einer neuen Seite des Formelweſens
zu: der praktiſchen Anwendung deſſelben.

914) Um Anderer zu geſchweigen, greife ich Herrn Muther in Königsberg
(Zur Actio u. ſ. w. Erlangen 1857) heraus, der durch ſein auch in anderer
Weiſe an einen Geſellen erinnerndes bisheriges Auftreten den Anſpruch auf
Schonung von meiner Seite verſcherzt hat. Er ſelbſt gerirt ſich freilich bereits
wie ein Meiſter — eine Selbſttäuſchung, die bei Jemanden, der kaum noch
Schüler ſchon den Schulmeiſter zu ſpielen wagt, allerdings ſehr erklärlich und
auch durch meine Bemerkung, daß Schulmeiſter und Meiſter zweierlei
ſind, — ſchwerlich zu heben ſein wird.
915) Um ein ſchlagendes Beiſpiel davon zu geben (ſ. außerdem auch Note
706 nebſt S. 633 oben und Note 793), ſo nehme ich die Formel, mit der nach
Puchta, Curſus der Inſt. II §. 162 not. o) der Prätor die Partheien zum
manus conserere bei Grundſtücken aufforderte: suis’utrisque superstitibus
praesentibus vindicias sumite, inite viam.
Statt der geſperrten
Worte hat Cic. pro Mur. 12, dem die Formel entnommen iſt: istam viam
dico,
die aber Ciaconius („satis ingeniose e Festo.“ Orelli ad h. 1.) mit
jenen vertauſcht und darin an Puchta einen Nachfolger gefunden hat. Wer
die Formel bei letzterm lieſt, muß ſie für eine ächte halten, ſie wird mitgetheilt
mit Angabe der Quellenbelege und ohne weitere Warnung. Der Umſtand, daß
ein Mann wie Puchta jene Worte nicht ſofort für unmöglich erkannte, liefert
einen frappanten Beweis dafür, wie wenig wir uns noch in das römiſche For-
melweſen hineingedacht haben; ſie enthalten einen Verſtoß gegen die ein-
fachſte Bauernlogik — jeder Römer würde den Prätor verlacht haben, der
ihm befohlen hätte, zuerſt die Scholle zu holen und dann ſich auf den
Weg zu machen! Daß die Formel in dieſer Faſſung daneben noch den ganzen
Hergang bei jenem Akt verſchiebt (S. 600), will ich gar nicht einmal rügen.
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[679/0385] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. aber aufs entſchiedenſte erklären muß, iſt jene Ausartung der Reſtitution in ein reines, aller Anhaltspunkte baares Con- ſtruiren, das, nachdem die tonangebenden Meiſter das Bei- ſpiel gegeben, in den Händen der Geſellen 914) als Probeſtück correcter rechtshiſtoriſcher Richtung zu einer wahren Caricatur geworden iſt. Wer eine Ahnung von den Feinheiten des römiſchen Formel- weſens hat und beſcheiden genug iſt einzugeſtehen, wie wenig unſer Auge für ſie entwickelt iſt, 915) wird nirgends ſo ſehr vor dem Conſtruiren zurückſchrecken, als hier. Ich wende mich jetzt einer neuen Seite des Formelweſens zu: der praktiſchen Anwendung deſſelben. 914) Um Anderer zu geſchweigen, greife ich Herrn Muther in Königsberg (Zur Actio u. ſ. w. Erlangen 1857) heraus, der durch ſein auch in anderer Weiſe an einen Geſellen erinnerndes bisheriges Auftreten den Anſpruch auf Schonung von meiner Seite verſcherzt hat. Er ſelbſt gerirt ſich freilich bereits wie ein Meiſter — eine Selbſttäuſchung, die bei Jemanden, der kaum noch Schüler ſchon den Schulmeiſter zu ſpielen wagt, allerdings ſehr erklärlich und auch durch meine Bemerkung, daß Schulmeiſter und Meiſter zweierlei ſind, — ſchwerlich zu heben ſein wird. 915) Um ein ſchlagendes Beiſpiel davon zu geben (ſ. außerdem auch Note 706 nebſt S. 633 oben und Note 793), ſo nehme ich die Formel, mit der nach Puchta, Curſus der Inſt. II §. 162 not. o) der Prätor die Partheien zum manus conserere bei Grundſtücken aufforderte: suis’utrisque superstitibus praesentibus vindicias sumite, inite viam. Statt der geſperrten Worte hat Cic. pro Mur. 12, dem die Formel entnommen iſt: istam viam dico, die aber Ciaconius („satis ingeniose e Festo.“ Orelli ad h. 1.) mit jenen vertauſcht und darin an Puchta einen Nachfolger gefunden hat. Wer die Formel bei letzterm lieſt, muß ſie für eine ächte halten, ſie wird mitgetheilt mit Angabe der Quellenbelege und ohne weitere Warnung. Der Umſtand, daß ein Mann wie Puchta jene Worte nicht ſofort für unmöglich erkannte, liefert einen frappanten Beweis dafür, wie wenig wir uns noch in das römiſche For- melweſen hineingedacht haben; ſie enthalten einen Verſtoß gegen die ein- fachſte Bauernlogik — jeder Römer würde den Prätor verlacht haben, der ihm befohlen hätte, zuerſt die Scholle zu holen und dann ſich auf den Weg zu machen! Daß die Formel in dieſer Faſſung daneben noch den ganzen Hergang bei jenem Akt verſchiebt (S. 600), will ich gar nicht einmal rügen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/385>, abgerufen am 24.11.2024.