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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Die juristische Construction. §. 41.
und mit ihm vorgeht, muß sich mit dem Begriff vertragen. Eine
Begriffsbestimmung ist daher im Grunde nicht das Erste, son-
dern als formelle Redaction oder Concentrirung der gefundenen
Resultate erst möglich, nachdem die Untersuchung des Körpers
vollständig abgeschlossen ist. Uebrigens verwechsele man nicht
die Anschauung und Formulirung des Begriffs. Die An-
schauung kann eine durchaus richtige sein, während die Formu-
lirung, die Definition mißlungen ist. So operiren die römischen
Juristen mit ihren Begriffen mit größter Sicherheit, nichts desto
weniger aber sind ihre Definitionen, wie sie selbst zugestehen,509)
nicht selten durchaus ungenügend.

Der Begriff also erfaßt den Körper in dem, was er ist,
allein worin liegt dies "Ist"? Man könnte meinen, in dem
Zweckmoment, denn die praktische Aufgabe, die er zu lösen
habe, enthalte den Grund, warum er überhaupt existire, warum
er gerade so und nicht anders sei, kurz seinen logischen Schlüs-
sel. Ich will nun allerdings nicht läugnen, daß das Zweck-
moment für das (ich meine nicht bloß rechtsphilosophische, son-
dern auch praktisch-juristische) Verständniß des Instituts höchst
wichtig, ja unerläßlich ist;510) was ich bestreite, ist nur, daß
man darnach definiren darf.511) Ist denn aber z. B. die

509) L. 202 de R. J. (50. 17).
510) In unserm juristischen Unterricht könnte und müßte es in viel höhe-
rem Grade berücksichtigt werden, als es gewöhnlich geschieht, namentlich rück-
sichtlich so mancher römischen Einrichtungen, die unserm heutigen Verständniß
ferner liegen. Die römischen Juristen heben das Zweckmoment nur selten her-
vor (als Beispiel diene die Usucapio, Savigny System Bd. 5 S. 268 Note e),
weil es Demjenigen, der im Leben selbst steht, ganz geläufig ist. Von den
neuern Juristen hat namentlich Savigny in seinem System ihm die gebüh-
rende Beachtung zu Theil werden lassen.
511) Als bekanntes Beispiel einer solchen teleologischen Definition
nenne ich die Einertsche Definition des Wechsels als kaufmännischen Papier-
geldes; sie charakterisirt bloß die hauptsächlichste praktische Verwendung des
Wechsels, nicht seine juristische Natur. Ontologisch definirt ist der Wech-
sel ein von seiner causa abgelöstes Geldversprechen, oder, um mit Thöl zu
reden, ein Summenversprechen.

3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41.
und mit ihm vorgeht, muß ſich mit dem Begriff vertragen. Eine
Begriffsbeſtimmung iſt daher im Grunde nicht das Erſte, ſon-
dern als formelle Redaction oder Concentrirung der gefundenen
Reſultate erſt möglich, nachdem die Unterſuchung des Körpers
vollſtändig abgeſchloſſen iſt. Uebrigens verwechſele man nicht
die Anſchauung und Formulirung des Begriffs. Die An-
ſchauung kann eine durchaus richtige ſein, während die Formu-
lirung, die Definition mißlungen iſt. So operiren die römiſchen
Juriſten mit ihren Begriffen mit größter Sicherheit, nichts deſto
weniger aber ſind ihre Definitionen, wie ſie ſelbſt zugeſtehen,509)
nicht ſelten durchaus ungenügend.

Der Begriff alſo erfaßt den Körper in dem, was er iſt,
allein worin liegt dies „Iſt“? Man könnte meinen, in dem
Zweckmoment, denn die praktiſche Aufgabe, die er zu löſen
habe, enthalte den Grund, warum er überhaupt exiſtire, warum
er gerade ſo und nicht anders ſei, kurz ſeinen logiſchen Schlüſ-
ſel. Ich will nun allerdings nicht läugnen, daß das Zweck-
moment für das (ich meine nicht bloß rechtsphiloſophiſche, ſon-
dern auch praktiſch-juriſtiſche) Verſtändniß des Inſtituts höchſt
wichtig, ja unerläßlich iſt;510) was ich beſtreite, iſt nur, daß
man darnach definiren darf.511) Iſt denn aber z. B. die

509) L. 202 de R. J. (50. 17).
510) In unſerm juriſtiſchen Unterricht könnte und müßte es in viel höhe-
rem Grade berückſichtigt werden, als es gewöhnlich geſchieht, namentlich rück-
ſichtlich ſo mancher römiſchen Einrichtungen, die unſerm heutigen Verſtändniß
ferner liegen. Die römiſchen Juriſten heben das Zweckmoment nur ſelten her-
vor (als Beiſpiel diene die Uſucapio, Savigny Syſtem Bd. 5 S. 268 Note e),
weil es Demjenigen, der im Leben ſelbſt ſteht, ganz geläufig iſt. Von den
neuern Juriſten hat namentlich Savigny in ſeinem Syſtem ihm die gebüh-
rende Beachtung zu Theil werden laſſen.
511) Als bekanntes Beiſpiel einer ſolchen teleologiſchen Definition
nenne ich die Einertſche Definition des Wechſels als kaufmänniſchen Papier-
geldes; ſie charakteriſirt bloß die hauptſächlichſte praktiſche Verwendung des
Wechſels, nicht ſeine juriſtiſche Natur. Ontologiſch definirt iſt der Wech-
ſel ein von ſeiner causa abgelöſtes Geldverſprechen, oder, um mit Thöl zu
reden, ein Summenverſprechen.
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[391/0097] 3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41. und mit ihm vorgeht, muß ſich mit dem Begriff vertragen. Eine Begriffsbeſtimmung iſt daher im Grunde nicht das Erſte, ſon- dern als formelle Redaction oder Concentrirung der gefundenen Reſultate erſt möglich, nachdem die Unterſuchung des Körpers vollſtändig abgeſchloſſen iſt. Uebrigens verwechſele man nicht die Anſchauung und Formulirung des Begriffs. Die An- ſchauung kann eine durchaus richtige ſein, während die Formu- lirung, die Definition mißlungen iſt. So operiren die römiſchen Juriſten mit ihren Begriffen mit größter Sicherheit, nichts deſto weniger aber ſind ihre Definitionen, wie ſie ſelbſt zugeſtehen, 509) nicht ſelten durchaus ungenügend. Der Begriff alſo erfaßt den Körper in dem, was er iſt, allein worin liegt dies „Iſt“? Man könnte meinen, in dem Zweckmoment, denn die praktiſche Aufgabe, die er zu löſen habe, enthalte den Grund, warum er überhaupt exiſtire, warum er gerade ſo und nicht anders ſei, kurz ſeinen logiſchen Schlüſ- ſel. Ich will nun allerdings nicht läugnen, daß das Zweck- moment für das (ich meine nicht bloß rechtsphiloſophiſche, ſon- dern auch praktiſch-juriſtiſche) Verſtändniß des Inſtituts höchſt wichtig, ja unerläßlich iſt; 510) was ich beſtreite, iſt nur, daß man darnach definiren darf. 511) Iſt denn aber z. B. die 509) L. 202 de R. J. (50. 17). 510) In unſerm juriſtiſchen Unterricht könnte und müßte es in viel höhe- rem Grade berückſichtigt werden, als es gewöhnlich geſchieht, namentlich rück- ſichtlich ſo mancher römiſchen Einrichtungen, die unſerm heutigen Verſtändniß ferner liegen. Die römiſchen Juriſten heben das Zweckmoment nur ſelten her- vor (als Beiſpiel diene die Uſucapio, Savigny Syſtem Bd. 5 S. 268 Note e), weil es Demjenigen, der im Leben ſelbſt ſteht, ganz geläufig iſt. Von den neuern Juriſten hat namentlich Savigny in ſeinem Syſtem ihm die gebüh- rende Beachtung zu Theil werden laſſen. 511) Als bekanntes Beiſpiel einer ſolchen teleologiſchen Definition nenne ich die Einertſche Definition des Wechſels als kaufmänniſchen Papier- geldes; ſie charakteriſirt bloß die hauptſächlichſte praktiſche Verwendung des Wechſels, nicht ſeine juriſtiſche Natur. Ontologiſch definirt iſt der Wech- ſel ein von ſeiner causa abgelöſtes Geldverſprechen, oder, um mit Thöl zu reden, ein Summenverſprechen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/97>, abgerufen am 21.11.2024.