Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
stand von Muthmaßungen sein können. Möglich, daß jenes
Gesetz bloß die Form der Rückforderungsklage betraf und an
Stelle der bisherigen, durch die lex Genucia angeordneten, die
manus injectio setzte; möglich, daß es auch materiell eine Aen-
derung traf und an Stelle des Verbots des Einklagens das
des Nehmens setzte. Kurzum es ist außer Zweifel, daß die
älteste Form der Repression des Zinswuchers in der Klage aufs
Vierfache bestand, und daß dieselbe zugleich als Popularklage
gegeben ward.

Eine interessante Bestätigung des Gesagten hat uns Ap-
pian 153) in seiner Erzählung der Ermordung des Prätor Asellio
aufbewahrt. Zur Zeit der Bürgerkriege sahen sich manche Schuld-
ner außer Stand, die Zinsen zu zahlen, und einige von ihnen
flüchteten sich hinter das Verbot der lex Genucia, welches obschon
gewohnheitsrechtlich längst außer Anwendung gekommen, doch
gesetzlich nie aufgehoben war, und drohten ihren Gläubigern
mit der Strafe des Gesetzes. Dadurch nicht abgeschreckt erhoben
letztere Klage, und der Prätor, nachdem er vergeblich einen
Güteversuch gemacht hatte, bestellte ihnen Richter, aber -- und
dies ward die Ursache seiner Ermordung -- "wechselsweis"
(kat' allelon), d. h. er gewährte neben der den Gläubigern
zugestandenen Klage auf die Zinsen ganz nach Art der geistlichen
Gerichtshöfe des Mittelalters (Note 135) zugleich den Schuld-
nern die im Gesetz verheißene manus injectio (pura) aufs Vier-
fache. Es ergibt sich also daraus, daß die letztere Klage nicht
an die Voraussetzung einer erfolgreichen Einklagung der For-
derung d. h. der in Folge der Verurtheilung geleisteten Zah-
lung, sondern an die Erhebung der Klage geknüpft war,
das bloße Klagen im Sinne des Gesetzes als "exigere" galt.
Beide Processe liefen demnach parallel, sie wurden gleichzeitig
instruirt, und, angenommen daß für beide derselbe Richter be-
stellt worden war, auch gleichzeitig entschieden 154) -- ein Um-

153) App. de bello civili I. c. 54.
154) So denkt offenbar auch Plautus Persa I. 2, 18 sich die Sache
Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 8

A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
ſtand von Muthmaßungen ſein können. Möglich, daß jenes
Geſetz bloß die Form der Rückforderungsklage betraf und an
Stelle der bisherigen, durch die lex Genucia angeordneten, die
manus injectio ſetzte; möglich, daß es auch materiell eine Aen-
derung traf und an Stelle des Verbots des Einklagens das
des Nehmens ſetzte. Kurzum es iſt außer Zweifel, daß die
älteſte Form der Repreſſion des Zinswuchers in der Klage aufs
Vierfache beſtand, und daß dieſelbe zugleich als Popularklage
gegeben ward.

Eine intereſſante Beſtätigung des Geſagten hat uns Ap-
pian 153) in ſeiner Erzählung der Ermordung des Prätor Aſellio
aufbewahrt. Zur Zeit der Bürgerkriege ſahen ſich manche Schuld-
ner außer Stand, die Zinſen zu zahlen, und einige von ihnen
flüchteten ſich hinter das Verbot der lex Genucia, welches obſchon
gewohnheitsrechtlich längſt außer Anwendung gekommen, doch
geſetzlich nie aufgehoben war, und drohten ihren Gläubigern
mit der Strafe des Geſetzes. Dadurch nicht abgeſchreckt erhoben
letztere Klage, und der Prätor, nachdem er vergeblich einen
Güteverſuch gemacht hatte, beſtellte ihnen Richter, aber — und
dies ward die Urſache ſeiner Ermordung — „wechſelsweis
(κατ’ ἀλλήλων), d. h. er gewährte neben der den Gläubigern
zugeſtandenen Klage auf die Zinſen ganz nach Art der geiſtlichen
Gerichtshöfe des Mittelalters (Note 135) zugleich den Schuld-
nern die im Geſetz verheißene manus injectio (pura) aufs Vier-
fache. Es ergibt ſich alſo daraus, daß die letztere Klage nicht
an die Vorausſetzung einer erfolgreichen Einklagung der For-
derung d. h. der in Folge der Verurtheilung geleiſteten Zah-
lung, ſondern an die Erhebung der Klage geknüpft war,
das bloße Klagen im Sinne des Geſetzes als „exigere“ galt.
Beide Proceſſe liefen demnach parallel, ſie wurden gleichzeitig
inſtruirt, und, angenommen daß für beide derſelbe Richter be-
ſtellt worden war, auch gleichzeitig entſchieden 154) — ein Um-

153) App. de bello civili I. c. 54.
154) So denkt offenbar auch Plautus Persa I. 2, 18 ſich die Sache
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0129" n="113"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A</hi>. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.</fw><lb/>
&#x017F;tand von Muthmaßungen &#x017F;ein können. Möglich, daß jenes<lb/>
Ge&#x017F;etz bloß die <hi rendition="#g">Form</hi> der Rückforderungsklage betraf und an<lb/>
Stelle der bisherigen, durch die <hi rendition="#aq">lex Genucia</hi> angeordneten, die<lb/><hi rendition="#aq">manus injectio</hi> &#x017F;etzte; möglich, daß es auch materiell eine Aen-<lb/>
derung traf und an Stelle des Verbots des <hi rendition="#g">Einklagens</hi> das<lb/>
des <hi rendition="#g">Nehmens</hi> &#x017F;etzte. Kurzum es i&#x017F;t außer Zweifel, daß die<lb/>
älte&#x017F;te Form der Repre&#x017F;&#x017F;ion des Zinswuchers in der Klage aufs<lb/>
Vierfache be&#x017F;tand, und daß die&#x017F;elbe zugleich als Popularklage<lb/>
gegeben ward.</p><lb/>
                        <p>Eine intere&#x017F;&#x017F;ante Be&#x017F;tätigung des Ge&#x017F;agten hat uns Ap-<lb/>
pian <note place="foot" n="153)"><hi rendition="#aq">App. de bello civili I. c</hi>. 54.</note> in &#x017F;einer Erzählung der Ermordung des Prätor A&#x017F;ellio<lb/>
aufbewahrt. Zur Zeit der Bürgerkriege &#x017F;ahen &#x017F;ich manche Schuld-<lb/>
ner außer Stand, die Zin&#x017F;en zu zahlen, und einige von ihnen<lb/>
flüchteten &#x017F;ich hinter das Verbot der <hi rendition="#aq">lex Genucia</hi>, welches ob&#x017F;chon<lb/>
gewohnheitsrechtlich läng&#x017F;t außer Anwendung gekommen, doch<lb/><hi rendition="#g">ge&#x017F;etzlich</hi> nie aufgehoben war, und drohten ihren Gläubigern<lb/>
mit der Strafe des Ge&#x017F;etzes. Dadurch nicht abge&#x017F;chreckt erhoben<lb/>
letztere Klage, und der Prätor, nachdem er vergeblich einen<lb/>
Gütever&#x017F;uch gemacht hatte, be&#x017F;tellte ihnen Richter, aber &#x2014; und<lb/>
dies ward die Ur&#x017F;ache &#x017F;einer Ermordung &#x2014; &#x201E;<hi rendition="#g">wech&#x017F;elsweis</hi>&#x201C;<lb/>
(&#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x2019; &#x1F00;&#x03BB;&#x03BB;&#x03AE;&#x03BB;&#x03C9;&#x03BD;), d. h. er gewährte neben der den Gläubigern<lb/>
zuge&#x017F;tandenen Klage auf die Zin&#x017F;en ganz nach Art der gei&#x017F;tlichen<lb/>
Gerichtshöfe des Mittelalters (Note 135) zugleich den Schuld-<lb/>
nern die im Ge&#x017F;etz verheißene <hi rendition="#aq">manus injectio (pura)</hi> aufs Vier-<lb/>
fache. Es ergibt &#x017F;ich al&#x017F;o daraus, daß die letztere Klage nicht<lb/>
an die Voraus&#x017F;etzung einer <hi rendition="#g">erfolgreichen</hi> Einklagung der For-<lb/>
derung d. h. der in Folge der Verurtheilung gelei&#x017F;teten Zah-<lb/>
lung, &#x017F;ondern an die <hi rendition="#g">Erhebung</hi> der Klage geknüpft war,<lb/>
das bloße Klagen im Sinne des Ge&#x017F;etzes als <hi rendition="#aq">&#x201E;exigere&#x201C;</hi> galt.<lb/>
Beide Proce&#x017F;&#x017F;e liefen demnach parallel, &#x017F;ie wurden gleichzeitig<lb/>
in&#x017F;truirt, und, angenommen daß für beide der&#x017F;elbe Richter be-<lb/>
&#x017F;tellt worden war, auch gleichzeitig ent&#x017F;chieden <note xml:id="seg2pn_11_1" next="#seg2pn_11_2" place="foot" n="154)">So denkt offenbar auch <hi rendition="#aq">Plautus Persa I</hi>. 2, 18 &#x017F;ich die Sache</note> &#x2014; ein Um-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Jhering, Gei&#x017F;t d. röm. Rechts. <hi rendition="#aq">III</hi>. 8</fw><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0129] A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. ſtand von Muthmaßungen ſein können. Möglich, daß jenes Geſetz bloß die Form der Rückforderungsklage betraf und an Stelle der bisherigen, durch die lex Genucia angeordneten, die manus injectio ſetzte; möglich, daß es auch materiell eine Aen- derung traf und an Stelle des Verbots des Einklagens das des Nehmens ſetzte. Kurzum es iſt außer Zweifel, daß die älteſte Form der Repreſſion des Zinswuchers in der Klage aufs Vierfache beſtand, und daß dieſelbe zugleich als Popularklage gegeben ward. Eine intereſſante Beſtätigung des Geſagten hat uns Ap- pian 153) in ſeiner Erzählung der Ermordung des Prätor Aſellio aufbewahrt. Zur Zeit der Bürgerkriege ſahen ſich manche Schuld- ner außer Stand, die Zinſen zu zahlen, und einige von ihnen flüchteten ſich hinter das Verbot der lex Genucia, welches obſchon gewohnheitsrechtlich längſt außer Anwendung gekommen, doch geſetzlich nie aufgehoben war, und drohten ihren Gläubigern mit der Strafe des Geſetzes. Dadurch nicht abgeſchreckt erhoben letztere Klage, und der Prätor, nachdem er vergeblich einen Güteverſuch gemacht hatte, beſtellte ihnen Richter, aber — und dies ward die Urſache ſeiner Ermordung — „wechſelsweis“ (κατ’ ἀλλήλων), d. h. er gewährte neben der den Gläubigern zugeſtandenen Klage auf die Zinſen ganz nach Art der geiſtlichen Gerichtshöfe des Mittelalters (Note 135) zugleich den Schuld- nern die im Geſetz verheißene manus injectio (pura) aufs Vier- fache. Es ergibt ſich alſo daraus, daß die letztere Klage nicht an die Vorausſetzung einer erfolgreichen Einklagung der For- derung d. h. der in Folge der Verurtheilung geleiſteten Zah- lung, ſondern an die Erhebung der Klage geknüpft war, das bloße Klagen im Sinne des Geſetzes als „exigere“ galt. Beide Proceſſe liefen demnach parallel, ſie wurden gleichzeitig inſtruirt, und, angenommen daß für beide derſelbe Richter be- ſtellt worden war, auch gleichzeitig entſchieden 154) — ein Um- 153) App. de bello civili I. c. 54. 154) So denkt offenbar auch Plautus Persa I. 2, 18 ſich die Sache Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/129
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/129>, abgerufen am 21.05.2024.