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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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B. Das Rechtsgeschäft. Analysirbarkeit desselben. §. 53.
spruch besteht, und nicht etwa die Jurisprudenz durch geschickte
Benutzung des vorhandenen Materials denselben zu vermitteln
vermag, wovon uns die juristische Oekonomie des alten Rechts
(§. 56) Beispiele in reicher Menge bringen wird, daß da, sage
ich, die Jurisprudenz sich dem Drange des praktischen Lebens
fügt und ihren geistigen Horizont um so viel erweitert, als das
Bedürfniß des Verkehrs gebietet (B. 2 S. 403). Die ersten
Regungen, Ansätze und Versuche zur Einführung des Neuen
mögen immerhin an dem Widerstande der Jurisprudenz scheitern,
dem fortgesetzten Andrängen hält er nicht Stand.

Das Erforderniß der analytischen Löslichkeit des Rechtsge-
schäfts enthält keine Beschränkung in Bezug auf die Zahl und
Art der zu einem und demselben Rechtsgeschäft zu combinirenden
Begriffe. Die verschiedenartigsten Rechtsverhältnisse lassen sich
mithin, insofern keine besondern Formvorschriften für sie aufgestellt
sind, durch einen und denselben Akt ins Leben rufen, so daß
also z. B. Uebertragung des Eigenthums, 170) Bestellung von
Servituten und Hypotheken, Begründung von Obligationsver-
hältnissen, Cession von Forderungen, Aufgabe von Rechten aller
Art zu einem einzigen Rechtsgeschäft zusammenfaßt werden dürfen.

Aber ist ein solches Rechtsgeschäft in der That wohl ein
einziges? Legt man den obigen Gesichtspunkt, daß die Analytik
der Rechtsgeschäfte und folglich ihre Individualität in den
Rechts begriffen ruht, zu Grunde, so wird man die Frage ver-
neinen und vielmehr sagen müssen: es liegen hier so viel Rechts-
geschäfte als Rechtsverhältnisse vor, jene werden zwar
sämmtlich durch einen und denselben äußern Akt vollzogen, allein
dies schließt für sie die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer
Unterscheidung ebensowenig aus, wie die Verbindung mehrerer
Klagen zu einer einzigen Klagschrift -- es gibt einfache und

170) Nämlich selbst ohne äußern Akt der Tradition durch denselben
Vertrag, der die sämmtlichen übrigen Verhältnisse begründet (traditio
brevi manu
und constitutum possessorium). Wer für Servituten Tradition
verlangt, denke an die Bestellung derselben durch deductio.

B. Das Rechtsgeſchäft. Analyſirbarkeit deſſelben. §. 53.
ſpruch beſteht, und nicht etwa die Jurisprudenz durch geſchickte
Benutzung des vorhandenen Materials denſelben zu vermitteln
vermag, wovon uns die juriſtiſche Oekonomie des alten Rechts
(§. 56) Beiſpiele in reicher Menge bringen wird, daß da, ſage
ich, die Jurisprudenz ſich dem Drange des praktiſchen Lebens
fügt und ihren geiſtigen Horizont um ſo viel erweitert, als das
Bedürfniß des Verkehrs gebietet (B. 2 S. 403). Die erſten
Regungen, Anſätze und Verſuche zur Einführung des Neuen
mögen immerhin an dem Widerſtande der Jurisprudenz ſcheitern,
dem fortgeſetzten Andrängen hält er nicht Stand.

Das Erforderniß der analytiſchen Löslichkeit des Rechtsge-
ſchäfts enthält keine Beſchränkung in Bezug auf die Zahl und
Art der zu einem und demſelben Rechtsgeſchäft zu combinirenden
Begriffe. Die verſchiedenartigſten Rechtsverhältniſſe laſſen ſich
mithin, inſofern keine beſondern Formvorſchriften für ſie aufgeſtellt
ſind, durch einen und denſelben Akt ins Leben rufen, ſo daß
alſo z. B. Uebertragung des Eigenthums, 170) Beſtellung von
Servituten und Hypotheken, Begründung von Obligationsver-
hältniſſen, Ceſſion von Forderungen, Aufgabe von Rechten aller
Art zu einem einzigen Rechtsgeſchäft zuſammenfaßt werden dürfen.

Aber iſt ein ſolches Rechtsgeſchäft in der That wohl ein
einziges? Legt man den obigen Geſichtspunkt, daß die Analytik
der Rechtsgeſchäfte und folglich ihre Individualität in den
Rechts begriffen ruht, zu Grunde, ſo wird man die Frage ver-
neinen und vielmehr ſagen müſſen: es liegen hier ſo viel Rechts-
geſchäfte als Rechtsverhältniſſe vor, jene werden zwar
ſämmtlich durch einen und denſelben äußern Akt vollzogen, allein
dies ſchließt für ſie die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer
Unterſcheidung ebenſowenig aus, wie die Verbindung mehrerer
Klagen zu einer einzigen Klagſchrift — es gibt einfache und

170) Nämlich ſelbſt ohne äußern Akt der Tradition durch denſelben
Vertrag, der die ſämmtlichen übrigen Verhältniſſe begründet (traditio
brevi manu
und constitutum possessorium). Wer für Servituten Tradition
verlangt, denke an die Beſtellung derſelben durch deductio.
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[127/0143] B. Das Rechtsgeſchäft. Analyſirbarkeit deſſelben. §. 53. ſpruch beſteht, und nicht etwa die Jurisprudenz durch geſchickte Benutzung des vorhandenen Materials denſelben zu vermitteln vermag, wovon uns die juriſtiſche Oekonomie des alten Rechts (§. 56) Beiſpiele in reicher Menge bringen wird, daß da, ſage ich, die Jurisprudenz ſich dem Drange des praktiſchen Lebens fügt und ihren geiſtigen Horizont um ſo viel erweitert, als das Bedürfniß des Verkehrs gebietet (B. 2 S. 403). Die erſten Regungen, Anſätze und Verſuche zur Einführung des Neuen mögen immerhin an dem Widerſtande der Jurisprudenz ſcheitern, dem fortgeſetzten Andrängen hält er nicht Stand. Das Erforderniß der analytiſchen Löslichkeit des Rechtsge- ſchäfts enthält keine Beſchränkung in Bezug auf die Zahl und Art der zu einem und demſelben Rechtsgeſchäft zu combinirenden Begriffe. Die verſchiedenartigſten Rechtsverhältniſſe laſſen ſich mithin, inſofern keine beſondern Formvorſchriften für ſie aufgeſtellt ſind, durch einen und denſelben Akt ins Leben rufen, ſo daß alſo z. B. Uebertragung des Eigenthums, 170) Beſtellung von Servituten und Hypotheken, Begründung von Obligationsver- hältniſſen, Ceſſion von Forderungen, Aufgabe von Rechten aller Art zu einem einzigen Rechtsgeſchäft zuſammenfaßt werden dürfen. Aber iſt ein ſolches Rechtsgeſchäft in der That wohl ein einziges? Legt man den obigen Geſichtspunkt, daß die Analytik der Rechtsgeſchäfte und folglich ihre Individualität in den Rechts begriffen ruht, zu Grunde, ſo wird man die Frage ver- neinen und vielmehr ſagen müſſen: es liegen hier ſo viel Rechts- geſchäfte als Rechtsverhältniſſe vor, jene werden zwar ſämmtlich durch einen und denſelben äußern Akt vollzogen, allein dies ſchließt für ſie die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer Unterſcheidung ebenſowenig aus, wie die Verbindung mehrerer Klagen zu einer einzigen Klagſchrift — es gibt einfache und 170) Nämlich ſelbſt ohne äußern Akt der Tradition durch denſelben Vertrag, der die ſämmtlichen übrigen Verhältniſſe begründet (traditio brevi manu und constitutum possessorium). Wer für Servituten Tradition verlangt, denke an die Beſtellung derſelben durch deductio.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/143>, abgerufen am 23.11.2024.