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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
combinirte Rechtsgeschäfte, der Begriff der Cumulation
der Klagen findet sein Seitenstück an der der Rechtsge-
schäfte
.

Die historische Entwickelung beider im römischen Recht hat
nicht gleichen Schritt gehalten. Während noch die neuere Juris-
prudenz im Ganzen und Großen an dem hergebrachten Verbot
der Klagen cumulation festhält (S. 35), hat sie dagegen für
das Rechtsgeschäft, insoweit sie freie Hand hatte d. h. für die
formlosen Verträge und Akte des neuern Rechts, dem Gedanken
der Cumulation keinen Widerstand entgegengesetzt, und es unter-
liegt für mich keinem Zweifel, daß sie an dem von mir aufgestellten
Fall durchaus keinen Anstoß genommen haben würde. Diese Ver-
schiedenheit hängt damit zusammen, daß die Strenge der Disciplin
nicht bloß dem Proceß nöthiger ist, als dem Leben, sondern auch
für ihn sich leichter erzwingen läßt. Mit dem Verschwinden der
meisten römischen Geschäftsformen im justinianeischen und heu-
tigen Recht hat das Gebiet jenes Gedankens noch beträchtlich an
Ausdehnung gewonnen, und es sind fast nur das Testament und
die modernen Formen des Handels- und Seerechts, welche sich
ihm entziehen.

Mit welchen Augen die altrömische Jurisprudenz ihn betrach-
ten mußte, werden wir nicht erst zu sagen haben. Eine Juris-
prudenz, die den Grundsatz der analytischen Einfachheit, den
Gedanken, daß das, was begrifflich eins ist, sich auch bei
seinem äußern Auftreten in concreter Gestalt als solches erweisen
müsse, bei der Organisation des processualischen Verfahrens mit
solcher eisernen Consequenz zur Geltung gebracht hatte, wäre auf
halbem Wege stehen geblieben, wenn sie sich bei der Gestaltung
des Rechtsgeschäfts seiner hätte entschlagen wollen. Wenn man
einmal dem Proceß die Einrichtung gab, daß nur ein einfaches
Rechtsverhältniß Zutritt zu ihm finden konnte, was lag näher,
als den Zersetzungszwang (S. 21) rückwärts über den Proceß
hinaus soweit zurückzuerstrecken, als man es in der Hand hatte,
d. h. also bis zur Begründung des Rechtsverhältnisses durch

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
combinirte Rechtsgeſchäfte, der Begriff der Cumulation
der Klagen findet ſein Seitenſtück an der der Rechtsge-
ſchäfte
.

Die hiſtoriſche Entwickelung beider im römiſchen Recht hat
nicht gleichen Schritt gehalten. Während noch die neuere Juris-
prudenz im Ganzen und Großen an dem hergebrachten Verbot
der Klagen cumulation feſthält (S. 35), hat ſie dagegen für
das Rechtsgeſchäft, inſoweit ſie freie Hand hatte d. h. für die
formloſen Verträge und Akte des neuern Rechts, dem Gedanken
der Cumulation keinen Widerſtand entgegengeſetzt, und es unter-
liegt für mich keinem Zweifel, daß ſie an dem von mir aufgeſtellten
Fall durchaus keinen Anſtoß genommen haben würde. Dieſe Ver-
ſchiedenheit hängt damit zuſammen, daß die Strenge der Disciplin
nicht bloß dem Proceß nöthiger iſt, als dem Leben, ſondern auch
für ihn ſich leichter erzwingen läßt. Mit dem Verſchwinden der
meiſten römiſchen Geſchäftsformen im juſtinianeiſchen und heu-
tigen Recht hat das Gebiet jenes Gedankens noch beträchtlich an
Ausdehnung gewonnen, und es ſind faſt nur das Teſtament und
die modernen Formen des Handels- und Seerechts, welche ſich
ihm entziehen.

Mit welchen Augen die altrömiſche Jurisprudenz ihn betrach-
ten mußte, werden wir nicht erſt zu ſagen haben. Eine Juris-
prudenz, die den Grundſatz der analytiſchen Einfachheit, den
Gedanken, daß das, was begrifflich eins iſt, ſich auch bei
ſeinem äußern Auftreten in concreter Geſtalt als ſolches erweiſen
müſſe, bei der Organiſation des proceſſualiſchen Verfahrens mit
ſolcher eiſernen Conſequenz zur Geltung gebracht hatte, wäre auf
halbem Wege ſtehen geblieben, wenn ſie ſich bei der Geſtaltung
des Rechtsgeſchäfts ſeiner hätte entſchlagen wollen. Wenn man
einmal dem Proceß die Einrichtung gab, daß nur ein einfaches
Rechtsverhältniß Zutritt zu ihm finden konnte, was lag näher,
als den Zerſetzungszwang (S. 21) rückwärts über den Proceß
hinaus ſoweit zurückzuerſtrecken, als man es in der Hand hatte,
d. h. alſo bis zur Begründung des Rechtsverhältniſſes durch

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[128/0144] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. combinirte Rechtsgeſchäfte, der Begriff der Cumulation der Klagen findet ſein Seitenſtück an der der Rechtsge- ſchäfte. Die hiſtoriſche Entwickelung beider im römiſchen Recht hat nicht gleichen Schritt gehalten. Während noch die neuere Juris- prudenz im Ganzen und Großen an dem hergebrachten Verbot der Klagen cumulation feſthält (S. 35), hat ſie dagegen für das Rechtsgeſchäft, inſoweit ſie freie Hand hatte d. h. für die formloſen Verträge und Akte des neuern Rechts, dem Gedanken der Cumulation keinen Widerſtand entgegengeſetzt, und es unter- liegt für mich keinem Zweifel, daß ſie an dem von mir aufgeſtellten Fall durchaus keinen Anſtoß genommen haben würde. Dieſe Ver- ſchiedenheit hängt damit zuſammen, daß die Strenge der Disciplin nicht bloß dem Proceß nöthiger iſt, als dem Leben, ſondern auch für ihn ſich leichter erzwingen läßt. Mit dem Verſchwinden der meiſten römiſchen Geſchäftsformen im juſtinianeiſchen und heu- tigen Recht hat das Gebiet jenes Gedankens noch beträchtlich an Ausdehnung gewonnen, und es ſind faſt nur das Teſtament und die modernen Formen des Handels- und Seerechts, welche ſich ihm entziehen. Mit welchen Augen die altrömiſche Jurisprudenz ihn betrach- ten mußte, werden wir nicht erſt zu ſagen haben. Eine Juris- prudenz, die den Grundſatz der analytiſchen Einfachheit, den Gedanken, daß das, was begrifflich eins iſt, ſich auch bei ſeinem äußern Auftreten in concreter Geſtalt als ſolches erweiſen müſſe, bei der Organiſation des proceſſualiſchen Verfahrens mit ſolcher eiſernen Conſequenz zur Geltung gebracht hatte, wäre auf halbem Wege ſtehen geblieben, wenn ſie ſich bei der Geſtaltung des Rechtsgeſchäfts ſeiner hätte entſchlagen wollen. Wenn man einmal dem Proceß die Einrichtung gab, daß nur ein einfaches Rechtsverhältniß Zutritt zu ihm finden konnte, was lag näher, als den Zerſetzungszwang (S. 21) rückwärts über den Proceß hinaus ſoweit zurückzuerſtrecken, als man es in der Hand hatte, d. h. alſo bis zur Begründung des Rechtsverhältniſſes durch

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/144>, abgerufen am 21.05.2024.