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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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B. Das Rechtsgeschäft. Correspondenz mit dem Proceß. §. 53.
Rechtsgeschäft? Was im Proceß sich scheiden mußte, warum
sollte es im Rechtsgeschäft vereint sein? Erst wenn letzteres
demselben Gesetz der Analyse unterworfen war, das für jenen
galt, war dem Keim der Unordnung und Verwirrung, die jede
Vermischung verschiedener Rechtsverhältnisse in sich schließt,
gründlich vorgebeugt. Rechtsbegriff (ich verstehe darunter
den des selbständigen Rechtskörpers, B. 2 S. 372), Rechts-
geschäft
und Klage bildeten unter dieser Voraussetzung eine
fortlaufende Linie, oder richtiger drei sich streng aneinander an-
schließende und sich deckende Größen: die dialektische Fortbewe-
gung eines und desselben Gedankens.

In der That hat die ältere Jurisprudenz diesen höchst ein-
fachen und nicht minder fruchtbaren und genialen Gedanken mit
ihrer bekannten Energie erfaßt und verwirklicht. Rücksichtlich der
Klage ist dies früher nachgewiesen, rücksichtlich des Rechtsge-
schäfts soll es an dieser Stelle geschehen.

Die Congruenz zwischen der Klage und dem Rechtsgeschäft
beschränkt sich aber keineswegs auf diese ihre gemeinsame Ueber-
einstimmung mit dem Begriff, den sie verwirklichen, so daß sie
unter sich nur gleich wären, weil sie mit einem Dritten gleich
sind, sondern sie erstreckt sich auch auf das, worin sie durch den
Begriff nicht weiter beeinflußt werden, das rein Mechanische
ihrer Structur. Schon bei einer andern Gelegenheit nämlich in
Bezug auf das Formelwesen (B. 2 S. 646) ist das Correspon-
denzverhältniß zwischen der Begründung und gerichtlichen Gel-
tendmachung des Rechts von uns nachgewiesen worden. Die-
ses wiederholt sich nun bei der gegenwärtigen Gelegenheit in
einer Weise, daß man über die Absicht und Planmäßigkeit des-
selben gar nicht im Zweifel sein kann. Die Verwandtschaft der
analytischen Structur des Processes und des Rechtsgeschäfts do-
cumentirt nicht bloß die Gemeinsamkeit ihrer beiderseitigen Ab-
stammung
von denselben Meistern, sondern ungleich mehr als
das: die Gemeinsamkeit ihrer Bestimmung -- beide sind ge-
genseitig aufeinander berechnet, es besteht zwischen ihnen kein

Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 9

B. Das Rechtsgeſchäft. Correſpondenz mit dem Proceß. §. 53.
Rechtsgeſchäft? Was im Proceß ſich ſcheiden mußte, warum
ſollte es im Rechtsgeſchäft vereint ſein? Erſt wenn letzteres
demſelben Geſetz der Analyſe unterworfen war, das für jenen
galt, war dem Keim der Unordnung und Verwirrung, die jede
Vermiſchung verſchiedener Rechtsverhältniſſe in ſich ſchließt,
gründlich vorgebeugt. Rechtsbegriff (ich verſtehe darunter
den des ſelbſtändigen Rechtskörpers, B. 2 S. 372), Rechts-
geſchäft
und Klage bildeten unter dieſer Vorausſetzung eine
fortlaufende Linie, oder richtiger drei ſich ſtreng aneinander an-
ſchließende und ſich deckende Größen: die dialektiſche Fortbewe-
gung eines und deſſelben Gedankens.

In der That hat die ältere Jurisprudenz dieſen höchſt ein-
fachen und nicht minder fruchtbaren und genialen Gedanken mit
ihrer bekannten Energie erfaßt und verwirklicht. Rückſichtlich der
Klage iſt dies früher nachgewieſen, rückſichtlich des Rechtsge-
ſchäfts ſoll es an dieſer Stelle geſchehen.

Die Congruenz zwiſchen der Klage und dem Rechtsgeſchäft
beſchränkt ſich aber keineswegs auf dieſe ihre gemeinſame Ueber-
einſtimmung mit dem Begriff, den ſie verwirklichen, ſo daß ſie
unter ſich nur gleich wären, weil ſie mit einem Dritten gleich
ſind, ſondern ſie erſtreckt ſich auch auf das, worin ſie durch den
Begriff nicht weiter beeinflußt werden, das rein Mechaniſche
ihrer Structur. Schon bei einer andern Gelegenheit nämlich in
Bezug auf das Formelweſen (B. 2 S. 646) iſt das Correſpon-
denzverhältniß zwiſchen der Begründung und gerichtlichen Gel-
tendmachung des Rechts von uns nachgewieſen worden. Die-
ſes wiederholt ſich nun bei der gegenwärtigen Gelegenheit in
einer Weiſe, daß man über die Abſicht und Planmäßigkeit des-
ſelben gar nicht im Zweifel ſein kann. Die Verwandtſchaft der
analytiſchen Structur des Proceſſes und des Rechtsgeſchäfts do-
cumentirt nicht bloß die Gemeinſamkeit ihrer beiderſeitigen Ab-
ſtammung
von denſelben Meiſtern, ſondern ungleich mehr als
das: die Gemeinſamkeit ihrer Beſtimmung — beide ſind ge-
genſeitig aufeinander berechnet, es beſteht zwiſchen ihnen kein

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[129/0145] B. Das Rechtsgeſchäft. Correſpondenz mit dem Proceß. §. 53. Rechtsgeſchäft? Was im Proceß ſich ſcheiden mußte, warum ſollte es im Rechtsgeſchäft vereint ſein? Erſt wenn letzteres demſelben Geſetz der Analyſe unterworfen war, das für jenen galt, war dem Keim der Unordnung und Verwirrung, die jede Vermiſchung verſchiedener Rechtsverhältniſſe in ſich ſchließt, gründlich vorgebeugt. Rechtsbegriff (ich verſtehe darunter den des ſelbſtändigen Rechtskörpers, B. 2 S. 372), Rechts- geſchäft und Klage bildeten unter dieſer Vorausſetzung eine fortlaufende Linie, oder richtiger drei ſich ſtreng aneinander an- ſchließende und ſich deckende Größen: die dialektiſche Fortbewe- gung eines und deſſelben Gedankens. In der That hat die ältere Jurisprudenz dieſen höchſt ein- fachen und nicht minder fruchtbaren und genialen Gedanken mit ihrer bekannten Energie erfaßt und verwirklicht. Rückſichtlich der Klage iſt dies früher nachgewieſen, rückſichtlich des Rechtsge- ſchäfts ſoll es an dieſer Stelle geſchehen. Die Congruenz zwiſchen der Klage und dem Rechtsgeſchäft beſchränkt ſich aber keineswegs auf dieſe ihre gemeinſame Ueber- einſtimmung mit dem Begriff, den ſie verwirklichen, ſo daß ſie unter ſich nur gleich wären, weil ſie mit einem Dritten gleich ſind, ſondern ſie erſtreckt ſich auch auf das, worin ſie durch den Begriff nicht weiter beeinflußt werden, das rein Mechaniſche ihrer Structur. Schon bei einer andern Gelegenheit nämlich in Bezug auf das Formelweſen (B. 2 S. 646) iſt das Correſpon- denzverhältniß zwiſchen der Begründung und gerichtlichen Gel- tendmachung des Rechts von uns nachgewieſen worden. Die- ſes wiederholt ſich nun bei der gegenwärtigen Gelegenheit in einer Weiſe, daß man über die Abſicht und Planmäßigkeit des- ſelben gar nicht im Zweifel ſein kann. Die Verwandtſchaft der analytiſchen Structur des Proceſſes und des Rechtsgeſchäfts do- cumentirt nicht bloß die Gemeinſamkeit ihrer beiderſeitigen Ab- ſtammung von denſelben Meiſtern, ſondern ungleich mehr als das: die Gemeinſamkeit ihrer Beſtimmung — beide ſind ge- genſeitig aufeinander berechnet, es beſteht zwiſchen ihnen kein Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 9

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/145>, abgerufen am 23.11.2024.