Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53.
des Obligationenrechts auf eine Linie zu stellenden Contract
erblickt, ist meiner Ansicht nach, obschon durch die spätere Ent-
wickelung des Obligationenrechts bis zu einem gewissen Grade
unterstützt, doch für das ältere Recht entschieden unrichtig (B. 2
S. 585, 586). Für alle Verträge gab es in alter Zeit bestimmte
Formulare, und obgleich der Gebrauch derselben frei war, wie
schon aus der Erwähnung mehrerer Formulare für ein und
dasselbe Geschäft hervorgeht, 182) so hielt doch der Verkehr aus
gutem Grunde (B. 2 S. 312--315 flg.) die Bahnen inne, die
ihm in den verschiedenen Formularen übereinstimmend vorgezeich-
net waren, und gerade dieser Umstand, die Gewöhnung an den
Gedanken, daß es für jedes Geschäft eines besondern Formulars
bedürfe, wird den, ich möchte sagen, doctrinären Einfall, verschie-
denartige Geschäfte und Formulare zu einem einzigen Stipula-
tions-Ganzen zu verbinden, in alter Zeit gar nicht haben auf-
kommen lassen. Und wozu auch? Um das spondesne spondeo statt
zehn Mal ein Mal auszusprechen! Und um dieses Vortheils
willen hätte man die Elementarbegriffe der juristischen Methode
verläugnen und sich in die Lage versetzen sollen, aus dieser einen
Stipulation auch eine einzige Klage (S. 40) zu geben?!

Nur ein einziges Geschäft gab es, bei dem unser Grundsatz
der Einfachheit nicht zur Anwendung kam und kommen konnte:
das Testament. Dasselbe war jedoch nicht sowohl ein ein-
ziges
Rechtsgeschäft, als ein ganzer Complex von Rechtsge-
schäften: nämlich Erbeseinsetzungen, Vermächtnissen, Freilassun-
gen, Vormundschafts-Ernennungen. Alle diese Verfügungen,
im übrigen von höchst verschiedenem juristischem Charakter,
trafen nur darin zusammen, daß sie sämmtlich auf die Voraus-
setzung des Todes des Erblassers gebaut waren. Es würde
daher sehr verkehrt sein, das Testament mit einem einzelnen
Rechtsgeschäft unter Lebenden in Parallele zu bringen; der rich-
tige Gegensatz ist vielmehr der: auf der einen Seite das Testa-

182) Varro de re rust. II. 2, 5.

B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
des Obligationenrechts auf eine Linie zu ſtellenden Contract
erblickt, iſt meiner Anſicht nach, obſchon durch die ſpätere Ent-
wickelung des Obligationenrechts bis zu einem gewiſſen Grade
unterſtützt, doch für das ältere Recht entſchieden unrichtig (B. 2
S. 585, 586). Für alle Verträge gab es in alter Zeit beſtimmte
Formulare, und obgleich der Gebrauch derſelben frei war, wie
ſchon aus der Erwähnung mehrerer Formulare für ein und
daſſelbe Geſchäft hervorgeht, 182) ſo hielt doch der Verkehr aus
gutem Grunde (B. 2 S. 312—315 flg.) die Bahnen inne, die
ihm in den verſchiedenen Formularen übereinſtimmend vorgezeich-
net waren, und gerade dieſer Umſtand, die Gewöhnung an den
Gedanken, daß es für jedes Geſchäft eines beſondern Formulars
bedürfe, wird den, ich möchte ſagen, doctrinären Einfall, verſchie-
denartige Geſchäfte und Formulare zu einem einzigen Stipula-
tions-Ganzen zu verbinden, in alter Zeit gar nicht haben auf-
kommen laſſen. Und wozu auch? Um das spondesne spondeo ſtatt
zehn Mal ein Mal auszuſprechen! Und um dieſes Vortheils
willen hätte man die Elementarbegriffe der juriſtiſchen Methode
verläugnen und ſich in die Lage verſetzen ſollen, aus dieſer einen
Stipulation auch eine einzige Klage (S. 40) zu geben?!

Nur ein einziges Geſchäft gab es, bei dem unſer Grundſatz
der Einfachheit nicht zur Anwendung kam und kommen konnte:
das Teſtament. Daſſelbe war jedoch nicht ſowohl ein ein-
ziges
Rechtsgeſchäft, als ein ganzer Complex von Rechtsge-
ſchäften: nämlich Erbeseinſetzungen, Vermächtniſſen, Freilaſſun-
gen, Vormundſchafts-Ernennungen. Alle dieſe Verfügungen,
im übrigen von höchſt verſchiedenem juriſtiſchem Charakter,
trafen nur darin zuſammen, daß ſie ſämmtlich auf die Voraus-
ſetzung des Todes des Erblaſſers gebaut waren. Es würde
daher ſehr verkehrt ſein, das Teſtament mit einem einzelnen
Rechtsgeſchäft unter Lebenden in Parallele zu bringen; der rich-
tige Gegenſatz iſt vielmehr der: auf der einen Seite das Teſta-

182) Varro de re rust. II. 2, 5.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0155" n="139"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">B.</hi> Das Rechtsge&#x017F;chäft. Einfachheit des Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;es. §. 53.</fw><lb/>
des Obligationenrechts auf eine Linie zu &#x017F;tellenden <hi rendition="#g">Contract</hi><lb/>
erblickt, i&#x017F;t meiner An&#x017F;icht nach, ob&#x017F;chon durch die &#x017F;pätere Ent-<lb/>
wickelung des Obligationenrechts bis zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grade<lb/>
unter&#x017F;tützt, doch für das ältere Recht ent&#x017F;chieden unrichtig (B. 2<lb/>
S. 585, 586). Für alle Verträge gab es in alter Zeit be&#x017F;timmte<lb/>
Formulare, und obgleich der Gebrauch der&#x017F;elben frei war, wie<lb/>
&#x017F;chon aus der Erwähnung mehrerer Formulare für ein und<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe Ge&#x017F;chäft hervorgeht, <note place="foot" n="182)"><hi rendition="#aq">Varro de re rust. II.</hi> 2, 5.</note> &#x017F;o hielt doch der Verkehr aus<lb/>
gutem Grunde (B. 2 S. 312&#x2014;315 flg.) die Bahnen inne, die<lb/>
ihm in den ver&#x017F;chiedenen Formularen überein&#x017F;timmend vorgezeich-<lb/>
net waren, und gerade die&#x017F;er Um&#x017F;tand, die Gewöhnung an den<lb/>
Gedanken, daß es für jedes Ge&#x017F;chäft eines be&#x017F;ondern Formulars<lb/>
bedürfe, wird den, ich möchte &#x017F;agen, doctrinären Einfall, ver&#x017F;chie-<lb/>
denartige Ge&#x017F;chäfte und Formulare zu einem einzigen Stipula-<lb/>
tions-Ganzen zu verbinden, in alter Zeit gar nicht haben auf-<lb/>
kommen la&#x017F;&#x017F;en. Und wozu auch? Um das <hi rendition="#aq">spondesne spondeo</hi> &#x017F;tatt<lb/>
zehn Mal ein Mal auszu&#x017F;prechen! Und um die&#x017F;es Vortheils<lb/>
willen hätte man die Elementarbegriffe der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Methode<lb/>
verläugnen und &#x017F;ich in die Lage ver&#x017F;etzen &#x017F;ollen, aus die&#x017F;er <hi rendition="#g">einen</hi><lb/>
Stipulation auch eine einzige Klage (S. 40) zu geben?!</p><lb/>
                      <p>Nur ein einziges Ge&#x017F;chäft gab es, bei dem un&#x017F;er Grund&#x017F;atz<lb/>
der Einfachheit nicht zur Anwendung kam und kommen konnte:<lb/>
das <hi rendition="#g">Te&#x017F;tament</hi>. Da&#x017F;&#x017F;elbe war jedoch nicht &#x017F;owohl ein <hi rendition="#g">ein-<lb/>
ziges</hi> Rechtsge&#x017F;chäft, als ein ganzer <hi rendition="#g">Complex</hi> von Rechtsge-<lb/>
&#x017F;chäften: nämlich Erbesein&#x017F;etzungen, Vermächtni&#x017F;&#x017F;en, Freila&#x017F;&#x017F;un-<lb/>
gen, Vormund&#x017F;chafts-Ernennungen. Alle die&#x017F;e Verfügungen,<lb/>
im übrigen von höch&#x017F;t ver&#x017F;chiedenem juri&#x017F;ti&#x017F;chem Charakter,<lb/>
trafen nur darin zu&#x017F;ammen, daß &#x017F;ie &#x017F;ämmtlich auf die Voraus-<lb/>
&#x017F;etzung des Todes des Erbla&#x017F;&#x017F;ers gebaut waren. Es würde<lb/>
daher &#x017F;ehr verkehrt &#x017F;ein, das Te&#x017F;tament mit einem einzelnen<lb/>
Rechtsge&#x017F;chäft unter Lebenden in Parallele zu bringen; der rich-<lb/>
tige Gegen&#x017F;atz i&#x017F;t vielmehr der: auf der einen Seite das Te&#x017F;ta-<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0155] B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53. des Obligationenrechts auf eine Linie zu ſtellenden Contract erblickt, iſt meiner Anſicht nach, obſchon durch die ſpätere Ent- wickelung des Obligationenrechts bis zu einem gewiſſen Grade unterſtützt, doch für das ältere Recht entſchieden unrichtig (B. 2 S. 585, 586). Für alle Verträge gab es in alter Zeit beſtimmte Formulare, und obgleich der Gebrauch derſelben frei war, wie ſchon aus der Erwähnung mehrerer Formulare für ein und daſſelbe Geſchäft hervorgeht, 182) ſo hielt doch der Verkehr aus gutem Grunde (B. 2 S. 312—315 flg.) die Bahnen inne, die ihm in den verſchiedenen Formularen übereinſtimmend vorgezeich- net waren, und gerade dieſer Umſtand, die Gewöhnung an den Gedanken, daß es für jedes Geſchäft eines beſondern Formulars bedürfe, wird den, ich möchte ſagen, doctrinären Einfall, verſchie- denartige Geſchäfte und Formulare zu einem einzigen Stipula- tions-Ganzen zu verbinden, in alter Zeit gar nicht haben auf- kommen laſſen. Und wozu auch? Um das spondesne spondeo ſtatt zehn Mal ein Mal auszuſprechen! Und um dieſes Vortheils willen hätte man die Elementarbegriffe der juriſtiſchen Methode verläugnen und ſich in die Lage verſetzen ſollen, aus dieſer einen Stipulation auch eine einzige Klage (S. 40) zu geben?! Nur ein einziges Geſchäft gab es, bei dem unſer Grundſatz der Einfachheit nicht zur Anwendung kam und kommen konnte: das Teſtament. Daſſelbe war jedoch nicht ſowohl ein ein- ziges Rechtsgeſchäft, als ein ganzer Complex von Rechtsge- ſchäften: nämlich Erbeseinſetzungen, Vermächtniſſen, Freilaſſun- gen, Vormundſchafts-Ernennungen. Alle dieſe Verfügungen, im übrigen von höchſt verſchiedenem juriſtiſchem Charakter, trafen nur darin zuſammen, daß ſie ſämmtlich auf die Voraus- ſetzung des Todes des Erblaſſers gebaut waren. Es würde daher ſehr verkehrt ſein, das Teſtament mit einem einzelnen Rechtsgeſchäft unter Lebenden in Parallele zu bringen; der rich- tige Gegenſatz iſt vielmehr der: auf der einen Seite das Teſta- 182) Varro de re rust. II. 2, 5.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/155
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/155>, abgerufen am 21.11.2024.