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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ment als Inbegriff sämmtlicher letztwilliger Rechtsge-
schäfte, auf der andern Seite die Gesammtsumme aller denk-
baren Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Das Eigenthümliche
der letztwilligen Autonomie im Gegensatz zu der unter Lebenden
besteht nämlich darin, daß während letztere sich nur in einzel-
nen
Akten darstellt, nicht aber zu einem einzigen Gesammtakt
sich zusammenzufassen vermag, jene umgekehrt nur in der letztern
Form zur Ausübung gelangt -- ein Grundsatz, den das neuere
römische Recht zwar mittelst der Codicille zum Theil verlassen,
dagegen für den wesentlichen Inhalt des Testaments: die Erbes-
ernennung unverändert beibehalten hat. So repräsentirt uns
also das Testament gewissermaßen die eine Hälfte der gesammten
Autonomie des Subjects und verhält sich zu den bisher betrach-
teten Rechtsgeschäften unter Lebenden ungefähr ebenso, wie die
Erbschaft zu den einzelnen Vermögensrechten, und wir dürfen es
mit Anspielung auf die Ausdrücke Universal- und Singularsuc-
cession etwa als Universal geschäft im Gegensatz zum Sin-
gular
geschäft bezeichnen. Was die Römer veranlaßt hat, im
Gegensatz zu dem für letzteres geltenden Grundsatz der Tren-
nung
für die letztwilligen Geschäfte umgekehrt den Grundsatz
der Concentration aufzustellen, ist nicht schwer abzusehen.
Zunächst bietet sich ein historischer Grund dar, nämlich die ur-
sprüngliche Form der Testamentserrichtung in der Volksversamm-
lung. Ich habe mich früher (B. 1 S. 138) für die Idee aus-
gesprochen, daß das Volk die Testamente nicht bloß einfach zu
vernehmen hatte, sondern daß es sie prüfen und mithin auch ver-
werfen durfte, und ich bin in der Lage, den dort benutzten Grün-
den noch einige andere auf die gegenwärtige Veranlassung bezüg-
liche von erheblichem Gewicht hinzufügen zu können. Sollte
dem Volke ein wirkliches Urtheil ermöglicht werden, so mußte
der Testator ihm den ganzen von ihm entworfenen Plan der Be-
erbung mittheilen; nur in diesem Gesammtzusammenhange
ließen die einzelnen Bestimmungen sich wahrhaft prüfen und be-
urtheilen, abgerissen von ihm als einzelne Modificationen der im

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ment als Inbegriff ſämmtlicher letztwilliger Rechtsge-
ſchäfte, auf der andern Seite die Geſammtſumme aller denk-
baren Rechtsgeſchäfte unter Lebenden. Das Eigenthümliche
der letztwilligen Autonomie im Gegenſatz zu der unter Lebenden
beſteht nämlich darin, daß während letztere ſich nur in einzel-
nen
Akten darſtellt, nicht aber zu einem einzigen Geſammtakt
ſich zuſammenzufaſſen vermag, jene umgekehrt nur in der letztern
Form zur Ausübung gelangt — ein Grundſatz, den das neuere
römiſche Recht zwar mittelſt der Codicille zum Theil verlaſſen,
dagegen für den weſentlichen Inhalt des Teſtaments: die Erbes-
ernennung unverändert beibehalten hat. So repräſentirt uns
alſo das Teſtament gewiſſermaßen die eine Hälfte der geſammten
Autonomie des Subjects und verhält ſich zu den bisher betrach-
teten Rechtsgeſchäften unter Lebenden ungefähr ebenſo, wie die
Erbſchaft zu den einzelnen Vermögensrechten, und wir dürfen es
mit Anſpielung auf die Ausdrücke Univerſal- und Singularſuc-
ceſſion etwa als Univerſal geſchäft im Gegenſatz zum Sin-
gular
geſchäft bezeichnen. Was die Römer veranlaßt hat, im
Gegenſatz zu dem für letzteres geltenden Grundſatz der Tren-
nung
für die letztwilligen Geſchäfte umgekehrt den Grundſatz
der Concentration aufzuſtellen, iſt nicht ſchwer abzuſehen.
Zunächſt bietet ſich ein hiſtoriſcher Grund dar, nämlich die ur-
ſprüngliche Form der Teſtamentserrichtung in der Volksverſamm-
lung. Ich habe mich früher (B. 1 S. 138) für die Idee aus-
geſprochen, daß das Volk die Teſtamente nicht bloß einfach zu
vernehmen hatte, ſondern daß es ſie prüfen und mithin auch ver-
werfen durfte, und ich bin in der Lage, den dort benutzten Grün-
den noch einige andere auf die gegenwärtige Veranlaſſung bezüg-
liche von erheblichem Gewicht hinzufügen zu können. Sollte
dem Volke ein wirkliches Urtheil ermöglicht werden, ſo mußte
der Teſtator ihm den ganzen von ihm entworfenen Plan der Be-
erbung mittheilen; nur in dieſem Geſammtzuſammenhange
ließen die einzelnen Beſtimmungen ſich wahrhaft prüfen und be-
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[140/0156] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. ment als Inbegriff ſämmtlicher letztwilliger Rechtsge- ſchäfte, auf der andern Seite die Geſammtſumme aller denk- baren Rechtsgeſchäfte unter Lebenden. Das Eigenthümliche der letztwilligen Autonomie im Gegenſatz zu der unter Lebenden beſteht nämlich darin, daß während letztere ſich nur in einzel- nen Akten darſtellt, nicht aber zu einem einzigen Geſammtakt ſich zuſammenzufaſſen vermag, jene umgekehrt nur in der letztern Form zur Ausübung gelangt — ein Grundſatz, den das neuere römiſche Recht zwar mittelſt der Codicille zum Theil verlaſſen, dagegen für den weſentlichen Inhalt des Teſtaments: die Erbes- ernennung unverändert beibehalten hat. So repräſentirt uns alſo das Teſtament gewiſſermaßen die eine Hälfte der geſammten Autonomie des Subjects und verhält ſich zu den bisher betrach- teten Rechtsgeſchäften unter Lebenden ungefähr ebenſo, wie die Erbſchaft zu den einzelnen Vermögensrechten, und wir dürfen es mit Anſpielung auf die Ausdrücke Univerſal- und Singularſuc- ceſſion etwa als Univerſal geſchäft im Gegenſatz zum Sin- gular geſchäft bezeichnen. Was die Römer veranlaßt hat, im Gegenſatz zu dem für letzteres geltenden Grundſatz der Tren- nung für die letztwilligen Geſchäfte umgekehrt den Grundſatz der Concentration aufzuſtellen, iſt nicht ſchwer abzuſehen. Zunächſt bietet ſich ein hiſtoriſcher Grund dar, nämlich die ur- ſprüngliche Form der Teſtamentserrichtung in der Volksverſamm- lung. Ich habe mich früher (B. 1 S. 138) für die Idee aus- geſprochen, daß das Volk die Teſtamente nicht bloß einfach zu vernehmen hatte, ſondern daß es ſie prüfen und mithin auch ver- werfen durfte, und ich bin in der Lage, den dort benutzten Grün- den noch einige andere auf die gegenwärtige Veranlaſſung bezüg- liche von erheblichem Gewicht hinzufügen zu können. Sollte dem Volke ein wirkliches Urtheil ermöglicht werden, ſo mußte der Teſtator ihm den ganzen von ihm entworfenen Plan der Be- erbung mittheilen; nur in dieſem Geſammtzuſammenhange ließen die einzelnen Beſtimmungen ſich wahrhaft prüfen und be- urtheilen, abgeriſſen von ihm als einzelne Modificationen der im

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/156>, abgerufen am 24.11.2024.