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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53.
übrigen eintretenden, dem Volke nicht weiter bekannt gemachten
Intestaterbfolge aber eben so wenig, als ein einzelner Paragraph
eines Contracts ohne Einsicht des ganzen Documents. Welche
Garantie aber gab es, daß der Testator wirklich den ganzen Plan
vorlegte und nicht etwa bloß die Bestimmungen, welche aus dem
Grunde der Sanction von Seiten des Volks bedurften, weil sie
eine Abweichung vom Gesetz enthielten, im übrigen aber sich der
Aussicht getröstete, daß die Intestaterbfolge zur Anwendung
kommen würde? Antwort: daß man ihm diese Aussicht abschnitt
m. a. W. durch den Satz: nemo pro parte testatus, pro parte
intestatus decedere potest.
Dieser Satz, über dessen Bedeutung
in unserer Literatur so viel völlig Ungesundes und Abentheuer-
liches zu Tage gefördert ist, enthält meiner Ansicht nach ein so
unentbehrliches Complement des alten testamentum in comitiis
calatis,
daß er unter ähnlichen Verhältnissen sofort und unab-
weisbar wieder in Geltung treten würde. Ohne ihn hätte jeder
Testator das Volk hintergehen und seine Zustimmung zu Anord-
nungen erschleichen können, die dasselbe bei Vorlegung des ge-
sammten Successionsplans nie gebilligt haben würde, mittelst
seiner war dafür gesorgt, daß ein Testator, der das Volk betrügen
wollte, sich selber betrog und sich in seinen eignen Schlingen fing.
Aber noch einen andern Ausweg gab es, den man ihm versperren
mußte. Angenommen, seine Absicht ging darauf, einen seiner
Söhne zu enterben, er wagte aber nicht, weil er sich der Schwäche
seiner Gründe bewußt war und darum die Verwerfung des gan-
zen Testaments fürchten mußte, dem Volk die Sache vorzutragen.
Hier hätte jener Satz eine gefährliche Anwendung erlangt, der
Testator brauchte nur den Sohn gar nicht zu erwähnen, weder
einsetzen, noch enterben, so war letzterer durch den Satz, welcher
im Fall des Testaments die Intestaterbfolge ausschloß, beseitigt,
der Testator hatte seinen Zweck erreicht und das Volk aber-
mals hintergangen. Damit haben wir die Erklärung eines an-
dern Satzes des altrömischen Erbrechts, nämlich daß der Testator
seine sui entweder instituiren oder exherediren muß, nicht aber

B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
übrigen eintretenden, dem Volke nicht weiter bekannt gemachten
Inteſtaterbfolge aber eben ſo wenig, als ein einzelner Paragraph
eines Contracts ohne Einſicht des ganzen Documents. Welche
Garantie aber gab es, daß der Teſtator wirklich den ganzen Plan
vorlegte und nicht etwa bloß die Beſtimmungen, welche aus dem
Grunde der Sanction von Seiten des Volks bedurften, weil ſie
eine Abweichung vom Geſetz enthielten, im übrigen aber ſich der
Ausſicht getröſtete, daß die Inteſtaterbfolge zur Anwendung
kommen würde? Antwort: daß man ihm dieſe Ausſicht abſchnitt
m. a. W. durch den Satz: nemo pro parte testatus, pro parte
intestatus decedere potest.
Dieſer Satz, über deſſen Bedeutung
in unſerer Literatur ſo viel völlig Ungeſundes und Abentheuer-
liches zu Tage gefördert iſt, enthält meiner Anſicht nach ein ſo
unentbehrliches Complement des alten testamentum in comitiis
calatis,
daß er unter ähnlichen Verhältniſſen ſofort und unab-
weisbar wieder in Geltung treten würde. Ohne ihn hätte jeder
Teſtator das Volk hintergehen und ſeine Zuſtimmung zu Anord-
nungen erſchleichen können, die daſſelbe bei Vorlegung des ge-
ſammten Succeſſionsplans nie gebilligt haben würde, mittelſt
ſeiner war dafür geſorgt, daß ein Teſtator, der das Volk betrügen
wollte, ſich ſelber betrog und ſich in ſeinen eignen Schlingen fing.
Aber noch einen andern Ausweg gab es, den man ihm verſperren
mußte. Angenommen, ſeine Abſicht ging darauf, einen ſeiner
Söhne zu enterben, er wagte aber nicht, weil er ſich der Schwäche
ſeiner Gründe bewußt war und darum die Verwerfung des gan-
zen Teſtaments fürchten mußte, dem Volk die Sache vorzutragen.
Hier hätte jener Satz eine gefährliche Anwendung erlangt, der
Teſtator brauchte nur den Sohn gar nicht zu erwähnen, weder
einſetzen, noch enterben, ſo war letzterer durch den Satz, welcher
im Fall des Teſtaments die Inteſtaterbfolge ausſchloß, beſeitigt,
der Teſtator hatte ſeinen Zweck erreicht und das Volk aber-
mals hintergangen. Damit haben wir die Erklärung eines an-
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[141/0157] B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53. übrigen eintretenden, dem Volke nicht weiter bekannt gemachten Inteſtaterbfolge aber eben ſo wenig, als ein einzelner Paragraph eines Contracts ohne Einſicht des ganzen Documents. Welche Garantie aber gab es, daß der Teſtator wirklich den ganzen Plan vorlegte und nicht etwa bloß die Beſtimmungen, welche aus dem Grunde der Sanction von Seiten des Volks bedurften, weil ſie eine Abweichung vom Geſetz enthielten, im übrigen aber ſich der Ausſicht getröſtete, daß die Inteſtaterbfolge zur Anwendung kommen würde? Antwort: daß man ihm dieſe Ausſicht abſchnitt m. a. W. durch den Satz: nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest. Dieſer Satz, über deſſen Bedeutung in unſerer Literatur ſo viel völlig Ungeſundes und Abentheuer- liches zu Tage gefördert iſt, enthält meiner Anſicht nach ein ſo unentbehrliches Complement des alten testamentum in comitiis calatis, daß er unter ähnlichen Verhältniſſen ſofort und unab- weisbar wieder in Geltung treten würde. Ohne ihn hätte jeder Teſtator das Volk hintergehen und ſeine Zuſtimmung zu Anord- nungen erſchleichen können, die daſſelbe bei Vorlegung des ge- ſammten Succeſſionsplans nie gebilligt haben würde, mittelſt ſeiner war dafür geſorgt, daß ein Teſtator, der das Volk betrügen wollte, ſich ſelber betrog und ſich in ſeinen eignen Schlingen fing. Aber noch einen andern Ausweg gab es, den man ihm verſperren mußte. Angenommen, ſeine Abſicht ging darauf, einen ſeiner Söhne zu enterben, er wagte aber nicht, weil er ſich der Schwäche ſeiner Gründe bewußt war und darum die Verwerfung des gan- zen Teſtaments fürchten mußte, dem Volk die Sache vorzutragen. Hier hätte jener Satz eine gefährliche Anwendung erlangt, der Teſtator brauchte nur den Sohn gar nicht zu erwähnen, weder einſetzen, noch enterben, ſo war letzterer durch den Satz, welcher im Fall des Teſtaments die Inteſtaterbfolge ausſchloß, beſeitigt, der Teſtator hatte ſeinen Zweck erreicht und das Volk aber- mals hintergangen. Damit haben wir die Erklärung eines an- dern Satzes des altrömiſchen Erbrechts, nämlich daß der Teſtator ſeine sui entweder inſtituiren oder exherediren muß, nicht aber

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/157>, abgerufen am 21.11.2024.