Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. präteriren darf; thut er es dennoch, verheimlicht er also demVolk das Dasein derselben, so fällt der beabsichtigte Schlag auf ihn selbst zurück, sein Testament wird je nach Umständen ganz oder zum Theil (accrescere) nichtig -- dieselbe Wirkung mithin, die das spätere Recht für das Erschleichen kaiserlicher Rescripte vorschreibt. 183) Auch dieser Satz war vom Standpunkt der Ver- hältnisse aus, für die er berechnet war, so nothwendig, daß er meiner Ueberzeugung nach bei gleichen Verhältnissen überall wie- der zum Vorschein kommen müßte; wenn er auch nach Wegfall derselben seine Existenz fristete, so hängt dies damit zusammen, daß er die einzige Handhabe bot, um einem Kinde, das ent- weder zur Zeit des Testaments noch nicht geboren oder aber vom Vater fälschlich für todt geglaubt wurde, den Zugang zum väterlichen Nachlaß zu verschaffen. In welcher Verbindung die für Söhne geltende Unstatthaftigkeit einer exheredatio inter ceteros mit dem obigen Gesichtspunkt steht, werde ich nicht nö- thig haben auszuführen. Unser Resultat läßt sich demnach in den einen Satz zusam- Der im Bisherigen entwickelte historische Grund für die 183) L. 2 Cod. si contra jus (I, 22) .... in tacendi fraude.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. präteriren darf; thut er es dennoch, verheimlicht er alſo demVolk das Daſein derſelben, ſo fällt der beabſichtigte Schlag auf ihn ſelbſt zurück, ſein Teſtament wird je nach Umſtänden ganz oder zum Theil (accrescere) nichtig — dieſelbe Wirkung mithin, die das ſpätere Recht für das Erſchleichen kaiſerlicher Reſcripte vorſchreibt. 183) Auch dieſer Satz war vom Standpunkt der Ver- hältniſſe aus, für die er berechnet war, ſo nothwendig, daß er meiner Ueberzeugung nach bei gleichen Verhältniſſen überall wie- der zum Vorſchein kommen müßte; wenn er auch nach Wegfall derſelben ſeine Exiſtenz friſtete, ſo hängt dies damit zuſammen, daß er die einzige Handhabe bot, um einem Kinde, das ent- weder zur Zeit des Teſtaments noch nicht geboren oder aber vom Vater fälſchlich für todt geglaubt wurde, den Zugang zum väterlichen Nachlaß zu verſchaffen. In welcher Verbindung die für Söhne geltende Unſtatthaftigkeit einer exheredatio inter ceteros mit dem obigen Geſichtspunkt ſteht, werde ich nicht nö- thig haben auszuführen. Unſer Reſultat läßt ſich demnach in den einen Satz zuſam- Der im Bisherigen entwickelte hiſtoriſche Grund für die 183) L. 2 Cod. si contra jus (I, 22) .... in tacendi fraude.
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
präteriren darf; thut er es dennoch, verheimlicht er alſo dem
Volk das Daſein derſelben, ſo fällt der beabſichtigte Schlag auf
ihn ſelbſt zurück, ſein Teſtament wird je nach Umſtänden ganz
oder zum Theil (accrescere) nichtig — dieſelbe Wirkung mithin,
die das ſpätere Recht für das Erſchleichen kaiſerlicher Reſcripte
vorſchreibt. 183) Auch dieſer Satz war vom Standpunkt der Ver-
hältniſſe aus, für die er berechnet war, ſo nothwendig, daß er
meiner Ueberzeugung nach bei gleichen Verhältniſſen überall wie-
der zum Vorſchein kommen müßte; wenn er auch nach Wegfall
derſelben ſeine Exiſtenz friſtete, ſo hängt dies damit zuſammen,
daß er die einzige Handhabe bot, um einem Kinde, das ent-
weder zur Zeit des Teſtaments noch nicht geboren oder aber
vom Vater fälſchlich für todt geglaubt wurde, den Zugang zum
väterlichen Nachlaß zu verſchaffen. In welcher Verbindung die
für Söhne geltende Unſtatthaftigkeit einer exheredatio inter
ceteros mit dem obigen Geſichtspunkt ſteht, werde ich nicht nö-
thig haben auszuführen.
Unſer Reſultat läßt ſich demnach in den einen Satz zuſam-
menfaſſen: der Teſtator ſoll dem Volk nichts Weſentliches ver-
ſchweigen, er ſoll, um mich einer vulgären Ausdrucksweiſe zu
bedienen, mit der Sprache heraus!
Der im Bisherigen entwickelte hiſtoriſche Grund für die
Univerſalität oder die attractive Kraft des Teſtaments verlor
mit Einführung des Mancipationsteſtaments ſeine Bedeutung.
Wenn gleichwohl die römiſche Jurisprudenz noch geraume Zeit an
dieſem Gedanken feſthielt, ſo vermag ich die Urſache davon nicht
lediglich in dem Conſervativismus der Römer zu erblicken — hat
ja ſelbſt unſer heutiges Recht ihn in der Geſtalt, die er im ſpätern
römiſchen angenommen hat, nämlich in ſeiner Beſchränkung auf
die Erbeseinſetzung adoptirt. Vielmehr müſſen praktiſche Mo-
tive hinzugekommen ſein, und ſie bieten ſich ungeſucht dar in der
aus einer Zerſplitterung der einzelnen letztwilligen Akte leicht ſich
183) L. 2 Cod. si contra jus (I, 22) .... in tacendi fraude.
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