Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite
B. Das Rechtsgeschäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53.

Dieser Satz, daß das Rechtsgeschäft in der Person des Han-
delnden seine Wirkungen äußern müsse, gilt auch in Bezug auf
das Verhältniß des Erblassers zum Erben. Die letztwilligen
Verpflichtungen, die jener diesem auferlegt, entstehen erst in der
Person des letztern, dagegen die durch Rechtsgeschäft unter Leben-
den begründeten Verpflichtungen und Forderungen müssen ihren
Ursprung umgekehrt noch in der Person des Erblassers nehmen,
lassen sich also nicht auf die Zeit nach seinem Tode stellen. 226)

Hiermit ist das Ziel, das wir uns gesteckt haben, erreicht,
und es ist jetzt an der Zeit, die einzelnen zerstreuten Züge, die
uns theils die gegenwärtige, theils frühere Darstellungen,
wie namentlich die über den Formalismus, zu dem Bilde des
alten Rechtsgeschäfts geliefert haben, zu einem Totalein-
druck zusammen zu fassen. Wie alles, was aus den Händen
der alten Jurisprudenz hervorgegangen ist, so trägt auch das
Rechtsgeschäft den Charakter schärfst ausgeprägter Individuali-
tät. Das ist keine bloße Willensmasse, die das souveräne Be-
lieben der Partheien zusammen gegossen hat, und die erst der
Kunst des Richters harrt, um geschieden zu werden: Kauf,
Miethe, Eigenthum, Servituten, Pfandrecht, Verzicht u. s. w.
in einem Gemenge durcheinander, sondern das sind Indivi-
duen
, wie die alten Actionen, äußerlich und innerlich,
genau begränzt nach Seiten des Inhalts, den sie aufnehmen
dürfen, unfähig etwas anderes zuzulassen, als was ihr Begriff
ihnen verstattet. Mit dem Moment, mit dem sie ins Dasein tre-
ten, fertig und vollendet, schließen sie sich eben so streng gegen
die Vergangenheit wie die Zukunft ab; gegen jene, indem sie

226) Gaj. III. 100 ... inelegans visum est, ex heredis persona in-
cipere obligationem. L. 36 §. 1 ad leg. Aq. (9. 2)
. Wie diese Regel später
durch ein pactum de non petendo in personam und eine darauf gegründete
exceptio umgangen werden konnte (L. 33 de pact. 2. 14 L. 10 de pact.
dot.
23. 4) und aus diesem Grunde ganz verständigerweise von Justinian in
der L. un. Cod. Ut actiones (4. 11) aufgehoben ward, gehört nicht mehr
hierher.
B. Das Rechtsgeſchäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53.

Dieſer Satz, daß das Rechtsgeſchäft in der Perſon des Han-
delnden ſeine Wirkungen äußern müſſe, gilt auch in Bezug auf
das Verhältniß des Erblaſſers zum Erben. Die letztwilligen
Verpflichtungen, die jener dieſem auferlegt, entſtehen erſt in der
Perſon des letztern, dagegen die durch Rechtsgeſchäft unter Leben-
den begründeten Verpflichtungen und Forderungen müſſen ihren
Urſprung umgekehrt noch in der Perſon des Erblaſſers nehmen,
laſſen ſich alſo nicht auf die Zeit nach ſeinem Tode ſtellen. 226)

Hiermit iſt das Ziel, das wir uns geſteckt haben, erreicht,
und es iſt jetzt an der Zeit, die einzelnen zerſtreuten Züge, die
uns theils die gegenwärtige, theils frühere Darſtellungen,
wie namentlich die über den Formalismus, zu dem Bilde des
alten Rechtsgeſchäfts geliefert haben, zu einem Totalein-
druck zuſammen zu faſſen. Wie alles, was aus den Händen
der alten Jurisprudenz hervorgegangen iſt, ſo trägt auch das
Rechtsgeſchäft den Charakter ſchärfſt ausgeprägter Individuali-
tät. Das iſt keine bloße Willensmaſſe, die das ſouveräne Be-
lieben der Partheien zuſammen gegoſſen hat, und die erſt der
Kunſt des Richters harrt, um geſchieden zu werden: Kauf,
Miethe, Eigenthum, Servituten, Pfandrecht, Verzicht u. ſ. w.
in einem Gemenge durcheinander, ſondern das ſind Indivi-
duen
, wie die alten Actionen, äußerlich und innerlich,
genau begränzt nach Seiten des Inhalts, den ſie aufnehmen
dürfen, unfähig etwas anderes zuzulaſſen, als was ihr Begriff
ihnen verſtattet. Mit dem Moment, mit dem ſie ins Daſein tre-
ten, fertig und vollendet, ſchließen ſie ſich eben ſo ſtreng gegen
die Vergangenheit wie die Zukunft ab; gegen jene, indem ſie

226) Gaj. III. 100 … inelegans visum est, ex heredis persona in-
cipere obligationem. L. 36 §. 1 ad leg. Aq. (9. 2)
. Wie dieſe Regel ſpäter
durch ein pactum de non petendo in personam und eine darauf gegründete
exceptio umgangen werden konnte (L. 33 de pact. 2. 14 L. 10 de pact.
dot.
23. 4) und aus dieſem Grunde ganz verſtändigerweiſe von Juſtinian in
der L. un. Cod. Ut actiones (4. 11) aufgehoben ward, gehört nicht mehr
hierher.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <pb facs="#f0183" n="167"/>
                        <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">B.</hi> Das Rechtsge&#x017F;chäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53.</fw><lb/>
                        <p>Die&#x017F;er Satz, daß das Rechtsge&#x017F;chäft in der Per&#x017F;on des Han-<lb/>
delnden &#x017F;eine Wirkungen äußern mü&#x017F;&#x017F;e, gilt auch in Bezug auf<lb/>
das Verhältniß des Erbla&#x017F;&#x017F;ers zum Erben. Die <hi rendition="#g">letztwilligen</hi><lb/>
Verpflichtungen, die jener die&#x017F;em auferlegt, ent&#x017F;tehen er&#x017F;t in der<lb/>
Per&#x017F;on des letztern, dagegen die durch Rechtsge&#x017F;chäft unter Leben-<lb/>
den begründeten Verpflichtungen und Forderungen mü&#x017F;&#x017F;en ihren<lb/>
Ur&#x017F;prung umgekehrt noch in der Per&#x017F;on des Erbla&#x017F;&#x017F;ers nehmen,<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich al&#x017F;o nicht auf die Zeit nach &#x017F;einem Tode &#x017F;tellen. <note place="foot" n="226)"><hi rendition="#aq">Gaj. III. 100 &#x2026; inelegans visum est, ex heredis persona in-<lb/>
cipere obligationem. L. 36 §. 1 ad leg. Aq. (9. 2)</hi>. Wie die&#x017F;e Regel &#x017F;päter<lb/>
durch ein <hi rendition="#aq">pactum de non petendo in personam</hi> und eine darauf gegründete<lb/><hi rendition="#aq">exceptio</hi> umgangen werden konnte (<hi rendition="#aq">L. 33 de pact. 2. 14 L. 10 de pact.<lb/>
dot.</hi> 23. 4) und aus die&#x017F;em Grunde ganz ver&#x017F;tändigerwei&#x017F;e von Ju&#x017F;tinian in<lb/>
der <hi rendition="#aq">L. un. Cod. Ut actiones (4. 11)</hi> aufgehoben ward, gehört nicht mehr<lb/>
hierher.</note></p><lb/>
                        <p>Hiermit i&#x017F;t das Ziel, das wir uns ge&#x017F;teckt haben, erreicht,<lb/>
und es i&#x017F;t jetzt an der Zeit, die einzelnen zer&#x017F;treuten Züge, die<lb/>
uns theils die gegenwärtige, theils frühere Dar&#x017F;tellungen,<lb/>
wie namentlich die über den Formalismus, zu dem Bilde des<lb/>
alten Rechtsge&#x017F;chäfts geliefert haben, zu <hi rendition="#g">einem</hi> Totalein-<lb/>
druck zu&#x017F;ammen zu fa&#x017F;&#x017F;en. Wie alles, was aus den Händen<lb/>
der alten Jurisprudenz hervorgegangen i&#x017F;t, &#x017F;o trägt auch das<lb/>
Rechtsge&#x017F;chäft den Charakter &#x017F;chärf&#x017F;t ausgeprägter Individuali-<lb/>
tät. Das i&#x017F;t keine bloße Willensma&#x017F;&#x017F;e, die das &#x017F;ouveräne Be-<lb/>
lieben der Partheien zu&#x017F;ammen gego&#x017F;&#x017F;en hat, und die er&#x017F;t der<lb/>
Kun&#x017F;t des Richters harrt, um ge&#x017F;chieden zu werden: Kauf,<lb/>
Miethe, Eigenthum, Servituten, Pfandrecht, Verzicht u. &#x017F;. w.<lb/>
in einem Gemenge durcheinander, &#x017F;ondern das &#x017F;ind <hi rendition="#g">Indivi-<lb/>
duen</hi>, wie die alten Actionen, <hi rendition="#g">äußerlich</hi> und <hi rendition="#g">innerlich</hi>,<lb/>
genau begränzt nach Seiten des Inhalts, den &#x017F;ie aufnehmen<lb/>
dürfen, unfähig etwas anderes zuzula&#x017F;&#x017F;en, als was ihr Begriff<lb/>
ihnen ver&#x017F;tattet. Mit dem Moment, mit dem &#x017F;ie ins Da&#x017F;ein tre-<lb/>
ten, fertig und vollendet, &#x017F;chließen &#x017F;ie &#x017F;ich eben &#x017F;o &#x017F;treng gegen<lb/>
die Vergangenheit wie die Zukunft ab; gegen <hi rendition="#g">jene</hi>, indem &#x017F;ie<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0183] B. Das Rechtsgeſchäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53. Dieſer Satz, daß das Rechtsgeſchäft in der Perſon des Han- delnden ſeine Wirkungen äußern müſſe, gilt auch in Bezug auf das Verhältniß des Erblaſſers zum Erben. Die letztwilligen Verpflichtungen, die jener dieſem auferlegt, entſtehen erſt in der Perſon des letztern, dagegen die durch Rechtsgeſchäft unter Leben- den begründeten Verpflichtungen und Forderungen müſſen ihren Urſprung umgekehrt noch in der Perſon des Erblaſſers nehmen, laſſen ſich alſo nicht auf die Zeit nach ſeinem Tode ſtellen. 226) Hiermit iſt das Ziel, das wir uns geſteckt haben, erreicht, und es iſt jetzt an der Zeit, die einzelnen zerſtreuten Züge, die uns theils die gegenwärtige, theils frühere Darſtellungen, wie namentlich die über den Formalismus, zu dem Bilde des alten Rechtsgeſchäfts geliefert haben, zu einem Totalein- druck zuſammen zu faſſen. Wie alles, was aus den Händen der alten Jurisprudenz hervorgegangen iſt, ſo trägt auch das Rechtsgeſchäft den Charakter ſchärfſt ausgeprägter Individuali- tät. Das iſt keine bloße Willensmaſſe, die das ſouveräne Be- lieben der Partheien zuſammen gegoſſen hat, und die erſt der Kunſt des Richters harrt, um geſchieden zu werden: Kauf, Miethe, Eigenthum, Servituten, Pfandrecht, Verzicht u. ſ. w. in einem Gemenge durcheinander, ſondern das ſind Indivi- duen, wie die alten Actionen, äußerlich und innerlich, genau begränzt nach Seiten des Inhalts, den ſie aufnehmen dürfen, unfähig etwas anderes zuzulaſſen, als was ihr Begriff ihnen verſtattet. Mit dem Moment, mit dem ſie ins Daſein tre- ten, fertig und vollendet, ſchließen ſie ſich eben ſo ſtreng gegen die Vergangenheit wie die Zukunft ab; gegen jene, indem ſie 226) Gaj. III. 100 … inelegans visum est, ex heredis persona in- cipere obligationem. L. 36 §. 1 ad leg. Aq. (9. 2). Wie dieſe Regel ſpäter durch ein pactum de non petendo in personam und eine darauf gegründete exceptio umgangen werden konnte (L. 33 de pact. 2. 14 L. 10 de pact. dot. 23. 4) und aus dieſem Grunde ganz verſtändigerweiſe von Juſtinian in der L. un. Cod. Ut actiones (4. 11) aufgehoben ward, gehört nicht mehr hierher.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/183
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/183>, abgerufen am 21.11.2024.