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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Ausdehnung zu verfolgen, es genügt, sie an einigen Haupt-
fällen klar zu machen.

Unter ihnen nimmt die erste Stelle ein die Behandlung des
obligatorischen Elements in der alten reivindicatio. In der
Reinheit ihrer Idee bildet die reivind. den schärfsten Gegensatz
zur actio in personam und zur Obligation, "non personam
obligat, sed rem persequitur",
230) wie es noch in spätere Zeit
von ihr heißt, wo freilich diese Bezeichnung ihre Wahrheit be-
reits zum größten Theil eingebüßt hatte, d. h. sie verfolgt ledig-
lich die Sache (agitur in rem), sie folgt ihr, wohin sie gelangt,
und begehrt Nichts von ihr, als was sie selber ohne vermittelnde
Thätigkeit des Beklagten zu gewähren vermag, die Sache haf-
tet, die Sache leistet, die Person des Beklagten hat nur die Be-
deutung, daß sie zwischen den Kläger und das Object seines
Anspruches in die Mitte tritt und durch den Proceß erst hinweg-
geschoben werden muß.

Diese ursprüngliche Idee der reivind. ist freilich im neuern
Recht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die moderne reivind. ist
durch und durch mit obligatorischen Elementen versetzt, ja man
könnte sagen: sie ist eine persönliche Klage geworden, die nur,
was sie ja mit manchen actiones in personam (s. g. in rem
scriptae
) theilt, passiv durch den Besitz bestimmt wird. Ihr obli-
gatorischer Charakter bethätigt sich nach drei Seiten: sie um-
faßt obligatorische Ansprüche aus der Zeit vor Beginn des Pro-
cesses, aus der Zeit während des Processes und solche, die
erst mit Beendigung des Processes entstehen. In der ersten
Richtung kann sie für den Kläger zwei, für den Beklagten
einen Anspruch verfolgen, für jenen nämlich den wegen dolus
praeteritus
und den wegen der Früchte, für diesen den wegen der
Impensen. Will man sie in Richtung auf den erstgenannten klä-
gerischen Anspruch beim rechten Namen nennen, so muß man
sagen: sie übt hier die Function einer Pönalklage, einer etwas

230) L. 2 Cod. si unus (8. 32).

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Ausdehnung zu verfolgen, es genügt, ſie an einigen Haupt-
fällen klar zu machen.

Unter ihnen nimmt die erſte Stelle ein die Behandlung des
obligatoriſchen Elements in der alten reivindicatio. In der
Reinheit ihrer Idee bildet die reivind. den ſchärfſten Gegenſatz
zur actio in personam und zur Obligation, „non personam
obligat, sed rem persequitur“,
230) wie es noch in ſpätere Zeit
von ihr heißt, wo freilich dieſe Bezeichnung ihre Wahrheit be-
reits zum größten Theil eingebüßt hatte, d. h. ſie verfolgt ledig-
lich die Sache (agitur in rem), ſie folgt ihr, wohin ſie gelangt,
und begehrt Nichts von ihr, als was ſie ſelber ohne vermittelnde
Thätigkeit des Beklagten zu gewähren vermag, die Sache haf-
tet, die Sache leiſtet, die Perſon des Beklagten hat nur die Be-
deutung, daß ſie zwiſchen den Kläger und das Object ſeines
Anſpruches in die Mitte tritt und durch den Proceß erſt hinweg-
geſchoben werden muß.

Dieſe urſprüngliche Idee der reivind. iſt freilich im neuern
Recht bis zur Unkenntlichkeit entſtellt. Die moderne reivind. iſt
durch und durch mit obligatoriſchen Elementen verſetzt, ja man
könnte ſagen: ſie iſt eine perſönliche Klage geworden, die nur,
was ſie ja mit manchen actiones in personam (ſ. g. in rem
scriptae
) theilt, paſſiv durch den Beſitz beſtimmt wird. Ihr obli-
gatoriſcher Charakter bethätigt ſich nach drei Seiten: ſie um-
faßt obligatoriſche Anſprüche aus der Zeit vor Beginn des Pro-
ceſſes, aus der Zeit während des Proceſſes und ſolche, die
erſt mit Beendigung des Proceſſes entſtehen. In der erſten
Richtung kann ſie für den Kläger zwei, für den Beklagten
einen Anſpruch verfolgen, für jenen nämlich den wegen dolus
praeteritus
und den wegen der Früchte, für dieſen den wegen der
Impenſen. Will man ſie in Richtung auf den erſtgenannten klä-
geriſchen Anſpruch beim rechten Namen nennen, ſo muß man
ſagen: ſie übt hier die Function einer Pönalklage, einer etwas

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[178/0194] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Ausdehnung zu verfolgen, es genügt, ſie an einigen Haupt- fällen klar zu machen. Unter ihnen nimmt die erſte Stelle ein die Behandlung des obligatoriſchen Elements in der alten reivindicatio. In der Reinheit ihrer Idee bildet die reivind. den ſchärfſten Gegenſatz zur actio in personam und zur Obligation, „non personam obligat, sed rem persequitur“, 230) wie es noch in ſpätere Zeit von ihr heißt, wo freilich dieſe Bezeichnung ihre Wahrheit be- reits zum größten Theil eingebüßt hatte, d. h. ſie verfolgt ledig- lich die Sache (agitur in rem), ſie folgt ihr, wohin ſie gelangt, und begehrt Nichts von ihr, als was ſie ſelber ohne vermittelnde Thätigkeit des Beklagten zu gewähren vermag, die Sache haf- tet, die Sache leiſtet, die Perſon des Beklagten hat nur die Be- deutung, daß ſie zwiſchen den Kläger und das Object ſeines Anſpruches in die Mitte tritt und durch den Proceß erſt hinweg- geſchoben werden muß. Dieſe urſprüngliche Idee der reivind. iſt freilich im neuern Recht bis zur Unkenntlichkeit entſtellt. Die moderne reivind. iſt durch und durch mit obligatoriſchen Elementen verſetzt, ja man könnte ſagen: ſie iſt eine perſönliche Klage geworden, die nur, was ſie ja mit manchen actiones in personam (ſ. g. in rem scriptae) theilt, paſſiv durch den Beſitz beſtimmt wird. Ihr obli- gatoriſcher Charakter bethätigt ſich nach drei Seiten: ſie um- faßt obligatoriſche Anſprüche aus der Zeit vor Beginn des Pro- ceſſes, aus der Zeit während des Proceſſes und ſolche, die erſt mit Beendigung des Proceſſes entſtehen. In der erſten Richtung kann ſie für den Kläger zwei, für den Beklagten einen Anſpruch verfolgen, für jenen nämlich den wegen dolus praeteritus und den wegen der Früchte, für dieſen den wegen der Impenſen. Will man ſie in Richtung auf den erſtgenannten klä- geriſchen Anſpruch beim rechten Namen nennen, ſo muß man ſagen: ſie übt hier die Function einer Pönalklage, einer etwas 230) L. 2 Cod. si unus (8. 32).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/194>, abgerufen am 21.11.2024.