Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. tigkeit seines Anspruches nicht mißbrauche d. h. denselben nichtgeltend mache, bevor er seinerseits erfüllt hatte, so fügte er sei- nem Versprechen eine darauf gerichtete Bedingung hinzu (centum dare spondes, si equum dederim? equum dare spondes, si centum dederim?). Ebenso wenig werden wir darüber ein Wort zu verlieren haben, daß der Grund dieser Manipulation nicht mit Stahl in der Beschränktheit der ethischen, der Verbin- dung der Pflicht mit dem Recht widerstrebenden Auffassung der Römer, sondern in den Zweckmäßigkeitsgründen zu suchen ist, denen die Analytik des Rechts überhaupt ihren Ursprung ver- dankt. Die einseitige Obligation ist nicht bloß die einfachste Obligationsform im analytischen Sinn, sondern auch im prak- tischen Sinn, d. h. die am leichtesten zu handhabende (§. 55). Jahrhunderte lang hindurch hatten die Römer keine andere C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. tigkeit ſeines Anſpruches nicht mißbrauche d. h. denſelben nichtgeltend mache, bevor er ſeinerſeits erfüllt hatte, ſo fügte er ſei- nem Verſprechen eine darauf gerichtete Bedingung hinzu (centum dare spondes, si equum dederim? equum dare spondes, si centum dederim?). Ebenſo wenig werden wir darüber ein Wort zu verlieren haben, daß der Grund dieſer Manipulation nicht mit Stahl in der Beſchränktheit der ethiſchen, der Verbin- dung der Pflicht mit dem Recht widerſtrebenden Auffaſſung der Römer, ſondern in den Zweckmäßigkeitsgründen zu ſuchen iſt, denen die Analytik des Rechts überhaupt ihren Urſprung ver- dankt. Die einſeitige Obligation iſt nicht bloß die einfachſte Obligationsform im analytiſchen Sinn, ſondern auch im prak- tiſchen Sinn, d. h. die am leichteſten zu handhabende (§. 55). Jahrhunderte lang hindurch hatten die Römer keine andere <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0207" n="191"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">C.</hi> Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.</fw><lb/> tigkeit ſeines Anſpruches nicht mißbrauche d. h. denſelben nicht<lb/> geltend mache, bevor er ſeinerſeits erfüllt hatte, ſo fügte er ſei-<lb/> nem Verſprechen eine darauf gerichtete Bedingung hinzu (<hi rendition="#aq">centum<lb/> dare spondes, si equum dederim? equum dare spondes, si<lb/> centum dederim?</hi>). Ebenſo wenig werden wir darüber ein<lb/> Wort zu verlieren haben, daß der Grund dieſer Manipulation<lb/> nicht mit Stahl in der Beſchränktheit der ethiſchen, der Verbin-<lb/> dung der Pflicht mit dem Recht widerſtrebenden Auffaſſung der<lb/> Römer, ſondern in den Zweckmäßigkeitsgründen zu ſuchen iſt,<lb/> denen die Analytik des Rechts überhaupt ihren Urſprung ver-<lb/> dankt. Die einſeitige Obligation iſt nicht bloß die einfachſte<lb/> Obligationsform im analytiſchen Sinn, ſondern auch im prak-<lb/> tiſchen Sinn, d. h. die am leichteſten zu handhabende (§. 55).</p><lb/> <p>Jahrhunderte lang hindurch hatten die Römer keine andere<lb/> Obligation gekannt, als die einſeitige, Jahrhunderte lang hatten<lb/> ſie ſich daran gewöhnt die ſubſtantiell zweiſeitigen Geſchäfte des<lb/> Lebens, wie Kauf, Miethe, Societät in die Form von zwei ein-<lb/> ſeitigen Verträgen zu bringen, in ihnen juriſtiſch nicht einen<lb/> einzigen, ſondern zwei Contracte zu erblicken. Aenderte ſich dies<lb/> nun mit einem Mal, als das Erforderniß der beſondern <hi rendition="#g">Form</hi><lb/> dieſer Verträge: die Stipulationsform hinwegfiel, ſahen ſie<lb/> dieſe Geſchäfte jetzt mit völlig andern Augen an? Jene Aende-<lb/> rung in der Form ſchloß dies keineswegs in ſich, die Frage nach<lb/> der juriſtiſchen Structur des Geſchäfts war von der Formfrage<lb/> völlig unabhängig, und ein ſolcher totaler Umſchwung in der<lb/> ganzen Vorſtellungs- und Auffaſſungsweiſe ohne zwingende<lb/> Gründe würde durchaus der Weiſe der römiſchen Juriſten, dem<lb/> Continuitätsgeſetz der römiſchen Rechtsentwickelung widerſpro-<lb/> chen haben. Und er iſt auch nicht erfolgt. An die Stelle<lb/> der <hi rendition="#aq">stipulatio emti</hi> und <hi rendition="#aq">venditi, locati</hi> und <hi rendition="#aq">conducti</hi> trat nicht<lb/> ein ſolches zweiſeitiges Geſchäft, wie wir Neuern es uns unter<lb/> dem Kauf- und Miethcontract vorzuſtellen pflegen, ſondern die<lb/><hi rendition="#aq">emtio</hi> <hi rendition="#g">und</hi> <hi rendition="#aq">venditio,</hi> die <hi rendition="#aq">locatio</hi> <hi rendition="#g">und</hi> <hi rendition="#aq">conductio;</hi> m. a. W. jene<lb/> beiden Geſchäfte behielten ihre alte Structur bei, ſie blieben<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [191/0207]
C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
tigkeit ſeines Anſpruches nicht mißbrauche d. h. denſelben nicht
geltend mache, bevor er ſeinerſeits erfüllt hatte, ſo fügte er ſei-
nem Verſprechen eine darauf gerichtete Bedingung hinzu (centum
dare spondes, si equum dederim? equum dare spondes, si
centum dederim?). Ebenſo wenig werden wir darüber ein
Wort zu verlieren haben, daß der Grund dieſer Manipulation
nicht mit Stahl in der Beſchränktheit der ethiſchen, der Verbin-
dung der Pflicht mit dem Recht widerſtrebenden Auffaſſung der
Römer, ſondern in den Zweckmäßigkeitsgründen zu ſuchen iſt,
denen die Analytik des Rechts überhaupt ihren Urſprung ver-
dankt. Die einſeitige Obligation iſt nicht bloß die einfachſte
Obligationsform im analytiſchen Sinn, ſondern auch im prak-
tiſchen Sinn, d. h. die am leichteſten zu handhabende (§. 55).
Jahrhunderte lang hindurch hatten die Römer keine andere
Obligation gekannt, als die einſeitige, Jahrhunderte lang hatten
ſie ſich daran gewöhnt die ſubſtantiell zweiſeitigen Geſchäfte des
Lebens, wie Kauf, Miethe, Societät in die Form von zwei ein-
ſeitigen Verträgen zu bringen, in ihnen juriſtiſch nicht einen
einzigen, ſondern zwei Contracte zu erblicken. Aenderte ſich dies
nun mit einem Mal, als das Erforderniß der beſondern Form
dieſer Verträge: die Stipulationsform hinwegfiel, ſahen ſie
dieſe Geſchäfte jetzt mit völlig andern Augen an? Jene Aende-
rung in der Form ſchloß dies keineswegs in ſich, die Frage nach
der juriſtiſchen Structur des Geſchäfts war von der Formfrage
völlig unabhängig, und ein ſolcher totaler Umſchwung in der
ganzen Vorſtellungs- und Auffaſſungsweiſe ohne zwingende
Gründe würde durchaus der Weiſe der römiſchen Juriſten, dem
Continuitätsgeſetz der römiſchen Rechtsentwickelung widerſpro-
chen haben. Und er iſt auch nicht erfolgt. An die Stelle
der stipulatio emti und venditi, locati und conducti trat nicht
ein ſolches zweiſeitiges Geſchäft, wie wir Neuern es uns unter
dem Kauf- und Miethcontract vorzuſtellen pflegen, ſondern die
emtio und venditio, die locatio und conductio; m. a. W. jene
beiden Geſchäfte behielten ihre alte Structur bei, ſie blieben
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