Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. gab es doch Gesetze und Einrichtungen, die durch das Fas undJus den Charakter unverletzlicher, unantastbarer Normen erhal- ten hatten, so z. B. die mit der Plebs vereinbarten leges sacra- tae? Unstreitig! Allein auch hier bewährt sich wiederum der feine Sinn für die Correctheit der juristischen Form. Ein Ge- setz, das sich nicht aufheben ließe, selbst wenn es noch so sehr mit dem Stempel göttlicher Weihe versehen wäre, ist in den Augen der Römer ein Unding. Das spätere Gesetz hebt das frühere auf -- das hatten schon die XII Tafeln bestimmt.305) Die beabsichtigte Unantastbarkeit des Gesetzes ward daher nicht in der Weise vermittelt, daß man seine Aufhebung für unmög- lich erklärt hätte, sondern daß man sie bloß verbot,306) und zwar mittelst Androhung von Strafen,307) die sich bei den leges sacratae bis zur sacratio capitis et familiae steigerten. Die im Gesetz vorgesehene Strafe traf den, der einen Antrag auf Auf- hebung desselben gestellt hatte, selbst dann, wenn das Volk sei- nen Antrag angenommen hatte, denn die Stellung desselben fiel noch unter die Herrschaft des alten Gesetzes, das neue wirkte erst von dem Moment, wo es erlassen war. Um sich gegen diese Gefahr zu sichern, fügte der Antragsteller dem Gesetzentwurf eine Clausel hinzu, durch die ihm Straflosigkeit zugesichert ward.308) Aber dies Mittel war kein völlig sicheres. Lehnte das Volk den Antrag ab, so war damit auch die Indemnitäts- 305) Liv. VII. 17, IX. 33, 34. 306) Cic. ad Att. III. 22 .. eam abrogari non oporteat und die Formel in Note 311. Diese Strafandrohung (die sanctio legis im prägnan- ten Sinn) war eine gewöhnliche Schlußclausel aller Gesetze, Cicero daselbst: neque enim ulla est, quae non ipsa se saepiat difficultate abrogationis. 307) Unter den Begriff des "contra oder adversus eas facere" (Cic. pro Balbo 14, Festus s. v. sacratae) fiel auch und zwar ganz vorzugsweise der Antrag auf Aufhebung des Gesetzes, s. die Formel in der Note 302: "contra alias leges ejus legis ergo (des neuen Gesetzes wegen d. h. um es durchzusetzen) factum sit". 308) Caput tralatitium de impunitate si quid contra alias leges ejus
legis ergo factum sit. Cic. ad Att. III. 22. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. gab es doch Geſetze und Einrichtungen, die durch das Fas undJus den Charakter unverletzlicher, unantaſtbarer Normen erhal- ten hatten, ſo z. B. die mit der Plebs vereinbarten leges sacra- tae? Unſtreitig! Allein auch hier bewährt ſich wiederum der feine Sinn für die Correctheit der juriſtiſchen Form. Ein Ge- ſetz, das ſich nicht aufheben ließe, ſelbſt wenn es noch ſo ſehr mit dem Stempel göttlicher Weihe verſehen wäre, iſt in den Augen der Römer ein Unding. Das ſpätere Geſetz hebt das frühere auf — das hatten ſchon die XII Tafeln beſtimmt.305) Die beabſichtigte Unantaſtbarkeit des Geſetzes ward daher nicht in der Weiſe vermittelt, daß man ſeine Aufhebung für unmög- lich erklärt hätte, ſondern daß man ſie bloß verbot,306) und zwar mittelſt Androhung von Strafen,307) die ſich bei den leges sacratae bis zur sacratio capitis et familiae ſteigerten. Die im Geſetz vorgeſehene Strafe traf den, der einen Antrag auf Auf- hebung deſſelben geſtellt hatte, ſelbſt dann, wenn das Volk ſei- nen Antrag angenommen hatte, denn die Stellung deſſelben fiel noch unter die Herrſchaft des alten Geſetzes, das neue wirkte erſt von dem Moment, wo es erlaſſen war. Um ſich gegen dieſe Gefahr zu ſichern, fügte der Antragſteller dem Geſetzentwurf eine Clauſel hinzu, durch die ihm Strafloſigkeit zugeſichert ward.308) Aber dies Mittel war kein völlig ſicheres. Lehnte das Volk den Antrag ab, ſo war damit auch die Indemnitäts- 305) Liv. VII. 17, IX. 33, 34. 306) Cic. ad Att. III. 22 .. eam abrogari non oporteat und die Formel in Note 311. Dieſe Strafandrohung (die sanctio legis im prägnan- ten Sinn) war eine gewöhnliche Schlußclauſel aller Geſetze, Cicero daſelbſt: neque enim ulla est, quae non ipsa se saepiat difficultate abrogationis. 307) Unter den Begriff des „contra oder adversus eas facere“ (Cic. pro Balbo 14, Festus s. v. sacratae) fiel auch und zwar ganz vorzugsweiſe der Antrag auf Aufhebung des Geſetzes, ſ. die Formel in der Note 302: „contra alias leges ejus legis ergo (des neuen Geſetzes wegen d. h. um es durchzuſetzen) factum sit“. 308) Caput tralatitium de impunitate si quid contra alias leges ejus
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
gab es doch Geſetze und Einrichtungen, die durch das Fas und
Jus den Charakter unverletzlicher, unantaſtbarer Normen erhal-
ten hatten, ſo z. B. die mit der Plebs vereinbarten leges sacra-
tae? Unſtreitig! Allein auch hier bewährt ſich wiederum der
feine Sinn für die Correctheit der juriſtiſchen Form. Ein Ge-
ſetz, das ſich nicht aufheben ließe, ſelbſt wenn es noch ſo ſehr
mit dem Stempel göttlicher Weihe verſehen wäre, iſt in den
Augen der Römer ein Unding. Das ſpätere Geſetz hebt das
frühere auf — das hatten ſchon die XII Tafeln beſtimmt. 305)
Die beabſichtigte Unantaſtbarkeit des Geſetzes ward daher nicht
in der Weiſe vermittelt, daß man ſeine Aufhebung für unmög-
lich erklärt hätte, ſondern daß man ſie bloß verbot, 306) und
zwar mittelſt Androhung von Strafen, 307) die ſich bei den leges
sacratae bis zur sacratio capitis et familiae ſteigerten. Die im
Geſetz vorgeſehene Strafe traf den, der einen Antrag auf Auf-
hebung deſſelben geſtellt hatte, ſelbſt dann, wenn das Volk ſei-
nen Antrag angenommen hatte, denn die Stellung deſſelben
fiel noch unter die Herrſchaft des alten Geſetzes, das neue wirkte
erſt von dem Moment, wo es erlaſſen war. Um ſich gegen dieſe
Gefahr zu ſichern, fügte der Antragſteller dem Geſetzentwurf
eine Clauſel hinzu, durch die ihm Strafloſigkeit zugeſichert
ward. 308) Aber dies Mittel war kein völlig ſicheres. Lehnte
das Volk den Antrag ab, ſo war damit auch die Indemnitäts-
305) Liv. VII. 17, IX. 33, 34.
306) Cic. ad Att. III. 22 .. eam abrogari non oporteat und die
Formel in Note 311. Dieſe Strafandrohung (die sanctio legis im prägnan-
ten Sinn) war eine gewöhnliche Schlußclauſel aller Geſetze, Cicero daſelbſt:
neque enim ulla est, quae non ipsa se saepiat difficultate abrogationis.
307) Unter den Begriff des „contra oder adversus eas facere“ (Cic.
pro Balbo 14, Festus s. v. sacratae) fiel auch und zwar ganz vorzugsweiſe
der Antrag auf Aufhebung des Geſetzes, ſ. die Formel in der Note 302:
„contra alias leges ejus legis ergo (des neuen Geſetzes wegen d. h. um
es durchzuſetzen) factum sit“.
308) Caput tralatitium de impunitate si quid contra alias leges ejus
legis ergo factum sit. Cic. ad Att. III. 22.
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