Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. um den Nachtheilen der Ehelosigkeit zu entgehen, muß offenbarschon in alter Zeit häufig genug gewesen sein, denn der dagegen berechnete, von den Censoren auferlegte Eid, daß die Ehe in ernstlicher Absicht geschlossen sei, 344) kann jedenfalls nicht in dem zu diesem Verdacht so wenig Anlaß bietenden Fall des Carvilius Ruga zuerst zur Anwendung gelangt sein. Auch die strenge Untersuchung, die man bei der Arrogation anstellte, um einer mißbräuchlichen Anwendung zu steuern, so wie der dabei zu leistende, von Q. Mucius schwerlich erst erfundene, sondern nur besser formulirte Eid 345) weist darauf hin, daß rücksichtlich dieses Aktes eine solche Gefahr früh bestanden haben muß, und die ausgeprägte Gestalt, in der die Arrogation in dem bekannten Fall des Clodius als gewohnheitsrechtlich anerkannte Form zum Zweck des Uebertritts der Patricier zur Plebs zur Anwendung gelangt (§. 58), berechtigt zu dem Schluß, daß wenigstens diese Verwendung der Arrogation zu einem ihr völlig fremden Zweck im Leben bereits lange vorher Statt gefunden haben muß. Das Uebel, das diese Erscheinungen schon so früh zu Tage dann frei, und da sie dadurch römische Bürger wurden, hatte die Gemeinde ihren Anspruch an sie verloren. Wer keine Kinder besaß, fand für weniges irgend einen Proletarier, der sich von ihm lediglich zu dem Zwecke adoptiren ließ, um als "Kind" zurückgelassen zu werden! 344) Liberorum quaerendorum gratia se uxorem habiturum, Gell. IV. 3; oder die Frage: ex animi tui sententia, Cic. de orat. II. 64, Gell. IV. 20. Savigny, Vermischte Schriften I. S. 84 fl. Bestrafung der Scheinehe, Val. Max. VII. 7, 4. 345) Gell. V. 19. 346) L. 26 de jure fisci (49. 14).
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. um den Nachtheilen der Eheloſigkeit zu entgehen, muß offenbarſchon in alter Zeit häufig genug geweſen ſein, denn der dagegen berechnete, von den Cenſoren auferlegte Eid, daß die Ehe in ernſtlicher Abſicht geſchloſſen ſei, 344) kann jedenfalls nicht in dem zu dieſem Verdacht ſo wenig Anlaß bietenden Fall des Carvilius Ruga zuerſt zur Anwendung gelangt ſein. Auch die ſtrenge Unterſuchung, die man bei der Arrogation anſtellte, um einer mißbräuchlichen Anwendung zu ſteuern, ſo wie der dabei zu leiſtende, von Q. Mucius ſchwerlich erſt erfundene, ſondern nur beſſer formulirte Eid 345) weiſt darauf hin, daß rückſichtlich dieſes Aktes eine ſolche Gefahr früh beſtanden haben muß, und die ausgeprägte Geſtalt, in der die Arrogation in dem bekannten Fall des Clodius als gewohnheitsrechtlich anerkannte Form zum Zweck des Uebertritts der Patricier zur Plebs zur Anwendung gelangt (§. 58), berechtigt zu dem Schluß, daß wenigſtens dieſe Verwendung der Arrogation zu einem ihr völlig fremden Zweck im Leben bereits lange vorher Statt gefunden haben muß. Das Uebel, das dieſe Erſcheinungen ſchon ſo früh zu Tage dann frei, und da ſie dadurch römiſche Bürger wurden, hatte die Gemeinde ihren Anſpruch an ſie verloren. Wer keine Kinder beſaß, fand für weniges irgend einen Proletarier, der ſich von ihm lediglich zu dem Zwecke adoptiren ließ, um als „Kind“ zurückgelaſſen zu werden! 344) Liberorum quaerendorum gratia se uxorem habiturum, Gell. IV. 3; oder die Frage: ex animi tui sententia, Cic. de orat. II. 64, Gell. IV. 20. Savigny, Vermiſchte Schriften I. S. 84 fl. Beſtrafung der Scheinehe, Val. Max. VII. 7, 4. 345) Gell. V. 19. 346) L. 26 de jure fisci (49. 14).
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
um den Nachtheilen der Eheloſigkeit zu entgehen, muß offenbar
ſchon in alter Zeit häufig genug geweſen ſein, denn der dagegen
berechnete, von den Cenſoren auferlegte Eid, daß die Ehe in
ernſtlicher Abſicht geſchloſſen ſei, 344) kann jedenfalls nicht in dem
zu dieſem Verdacht ſo wenig Anlaß bietenden Fall des Carvilius
Ruga zuerſt zur Anwendung gelangt ſein. Auch die ſtrenge
Unterſuchung, die man bei der Arrogation anſtellte, um einer
mißbräuchlichen Anwendung zu ſteuern, ſo wie der dabei zu
leiſtende, von Q. Mucius ſchwerlich erſt erfundene, ſondern nur
beſſer formulirte Eid 345) weiſt darauf hin, daß rückſichtlich dieſes
Aktes eine ſolche Gefahr früh beſtanden haben muß, und die
ausgeprägte Geſtalt, in der die Arrogation in dem bekannten Fall
des Clodius als gewohnheitsrechtlich anerkannte Form zum
Zweck des Uebertritts der Patricier zur Plebs zur Anwendung
gelangt (§. 58), berechtigt zu dem Schluß, daß wenigſtens dieſe
Verwendung der Arrogation zu einem ihr völlig fremden Zweck
im Leben bereits lange vorher Statt gefunden haben muß.
Das Uebel, das dieſe Erſcheinungen ſchon ſo früh zu Tage
rief, ſaß tief, es lag in der rechtlichen Organiſation der römiſchen
Familienverhältniſſe ſelber. Indem dieſelben über Gebühr mit
vermögensrechtlichen und perſönlichen Folgen ausgeſtattet waren,
beſchworen ſie ſelber die Gefahr des Mißbrauchs herauf. Wer
kann es dem Vater verdenken, daß er ſeinen Sohn emancipirt, 346)
wenn dies der einzige Weg iſt, damit die Antretung der dem
343)
344) Liberorum quaerendorum gratia se uxorem habiturum, Gell.
IV. 3; oder die Frage: ex animi tui sententia, Cic. de orat. II. 64, Gell.
IV. 20. Savigny, Vermiſchte Schriften I. S. 84 fl. Beſtrafung der
Scheinehe, Val. Max. VII. 7, 4.
345) Gell. V. 19.
346) L. 26 de jure fisci (49. 14).
343) dann frei, und da ſie dadurch römiſche Bürger wurden, hatte die Gemeinde
ihren Anſpruch an ſie verloren. Wer keine Kinder beſaß, fand für weniges
irgend einen Proletarier, der ſich von ihm lediglich zu dem Zwecke adoptiren
ließ, um als „Kind“ zurückgelaſſen zu werden!
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