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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
letztern deferirten mütterlichen Erbschaft ihm selber zu gute komme,
dieselbe nicht in das Vermögen des Vaters und damit in die
Hände der Gläubiger oder des Fiscus bringe? Wer wird es
nicht billigen, daß eine Frau den Wunsch hegt, ihren Nachlaß
statt den reichen Agnaten lieber ihren bedürftigen Cognaten zu-
zuwenden? Das Recht selber wies sie auf eine Scheinehe hin
(§. 58).

Der Grund, warum in unserm heutigen Leben Emancipa-
tionen, Arrogationen und Adoptionen eine so große Seltenheit
bilden, während sie in Rom zur Tagesordnung gehörten, liegt
lediglich darin, daß unsere heutige rechtliche Organisation der
Familienverhältnisse eine gesundere geworden, und daß selbst das
sekundäre Interesse derselben für eine Reihe sonstiger Verhältnisse
hinweggefallen ist. 347) Ich wüßte nicht, was man heutzutage
Großes durch sie erreichen könnte, das nicht auch auf anderm
Wege zu erzielen wäre.

Der so eben geschilderte Krebsschaden der römischen Familie
ward zur vollsten Blüthe gebracht durch ein Gesetz, welches
gerade die Bestimmung hatte, ihr neue Kraft einzuflößen: die
lex Julia und Papia Poppaea. Indem dies Gesetz, ganz im
Styl des Polizeistaates des vorigen Jahrhunderts, vermögens-
rechtliche Belohnungen und Strafen in Anwendung brachte, um
auf die Eingehung von Ehen und die Fruchtbarkeit der Gatten
hinzuwirken, vermehrte es damit nur das Gewicht der äußern
Zwecke und Rücksichten, die schon bis dahin sich wie ein Blei-
gewicht an die Familie geheftet und die sittliche Spontaneität
ihrer Bewegung gelähmt hatten. Es ist hier nicht der Ort, die
tiefe Unsittlichkeit dieses Gesetzes, das selbst der Wittwe und der

347) z. B. für die Confiscation. Den Kindern ward ein Theil des
väterlichen Vermögens gelassen, Grund genug, um eine Adoption vorzu-
nehmen, L. 7 §. 2 de bonis damn. (48. 20). Ferner für das Erbrecht; wen
man nicht zum Erben einsetzen konnte, den konnte man möglicherweise adop-
tiren und ihm auf diese Weise die Erbschaft zuwenden. Für die Befreiung
von Communallasten: L. 15 §. 3 ad Munic. (50. 1).

Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
letztern deferirten mütterlichen Erbſchaft ihm ſelber zu gute komme,
dieſelbe nicht in das Vermögen des Vaters und damit in die
Hände der Gläubiger oder des Fiscus bringe? Wer wird es
nicht billigen, daß eine Frau den Wunſch hegt, ihren Nachlaß
ſtatt den reichen Agnaten lieber ihren bedürftigen Cognaten zu-
zuwenden? Das Recht ſelber wies ſie auf eine Scheinehe hin
(§. 58).

Der Grund, warum in unſerm heutigen Leben Emancipa-
tionen, Arrogationen und Adoptionen eine ſo große Seltenheit
bilden, während ſie in Rom zur Tagesordnung gehörten, liegt
lediglich darin, daß unſere heutige rechtliche Organiſation der
Familienverhältniſſe eine geſundere geworden, und daß ſelbſt das
ſekundäre Intereſſe derſelben für eine Reihe ſonſtiger Verhältniſſe
hinweggefallen iſt. 347) Ich wüßte nicht, was man heutzutage
Großes durch ſie erreichen könnte, das nicht auch auf anderm
Wege zu erzielen wäre.

Der ſo eben geſchilderte Krebsſchaden der römiſchen Familie
ward zur vollſten Blüthe gebracht durch ein Geſetz, welches
gerade die Beſtimmung hatte, ihr neue Kraft einzuflößen: die
lex Julia und Papia Poppaea. Indem dies Geſetz, ganz im
Styl des Polizeiſtaates des vorigen Jahrhunderts, vermögens-
rechtliche Belohnungen und Strafen in Anwendung brachte, um
auf die Eingehung von Ehen und die Fruchtbarkeit der Gatten
hinzuwirken, vermehrte es damit nur das Gewicht der äußern
Zwecke und Rückſichten, die ſchon bis dahin ſich wie ein Blei-
gewicht an die Familie geheftet und die ſittliche Spontaneität
ihrer Bewegung gelähmt hatten. Es iſt hier nicht der Ort, die
tiefe Unſittlichkeit dieſes Geſetzes, das ſelbſt der Wittwe und der

347) z. B. für die Confiscation. Den Kindern ward ein Theil des
väterlichen Vermögens gelaſſen, Grund genug, um eine Adoption vorzu-
nehmen, L. 7 §. 2 de bonis damn. (48. 20). Ferner für das Erbrecht; wen
man nicht zum Erben einſetzen konnte, den konnte man möglicherweiſe adop-
tiren und ihm auf dieſe Weiſe die Erbſchaft zuwenden. Für die Befreiung
von Communallaſten: L. 15 §. 3 ad Munic. (50. 1).
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[253/0269] Die Schleichwege des Lebens. §. 57. letztern deferirten mütterlichen Erbſchaft ihm ſelber zu gute komme, dieſelbe nicht in das Vermögen des Vaters und damit in die Hände der Gläubiger oder des Fiscus bringe? Wer wird es nicht billigen, daß eine Frau den Wunſch hegt, ihren Nachlaß ſtatt den reichen Agnaten lieber ihren bedürftigen Cognaten zu- zuwenden? Das Recht ſelber wies ſie auf eine Scheinehe hin (§. 58). Der Grund, warum in unſerm heutigen Leben Emancipa- tionen, Arrogationen und Adoptionen eine ſo große Seltenheit bilden, während ſie in Rom zur Tagesordnung gehörten, liegt lediglich darin, daß unſere heutige rechtliche Organiſation der Familienverhältniſſe eine geſundere geworden, und daß ſelbſt das ſekundäre Intereſſe derſelben für eine Reihe ſonſtiger Verhältniſſe hinweggefallen iſt. 347) Ich wüßte nicht, was man heutzutage Großes durch ſie erreichen könnte, das nicht auch auf anderm Wege zu erzielen wäre. Der ſo eben geſchilderte Krebsſchaden der römiſchen Familie ward zur vollſten Blüthe gebracht durch ein Geſetz, welches gerade die Beſtimmung hatte, ihr neue Kraft einzuflößen: die lex Julia und Papia Poppaea. Indem dies Geſetz, ganz im Styl des Polizeiſtaates des vorigen Jahrhunderts, vermögens- rechtliche Belohnungen und Strafen in Anwendung brachte, um auf die Eingehung von Ehen und die Fruchtbarkeit der Gatten hinzuwirken, vermehrte es damit nur das Gewicht der äußern Zwecke und Rückſichten, die ſchon bis dahin ſich wie ein Blei- gewicht an die Familie geheftet und die ſittliche Spontaneität ihrer Bewegung gelähmt hatten. Es iſt hier nicht der Ort, die tiefe Unſittlichkeit dieſes Geſetzes, das ſelbſt der Wittwe und der 347) z. B. für die Confiscation. Den Kindern ward ein Theil des väterlichen Vermögens gelaſſen, Grund genug, um eine Adoption vorzu- nehmen, L. 7 §. 2 de bonis damn. (48. 20). Ferner für das Erbrecht; wen man nicht zum Erben einſetzen konnte, den konnte man möglicherweiſe adop- tiren und ihm auf dieſe Weiſe die Erbſchaft zuwenden. Für die Befreiung von Communallaſten: L. 15 §. 3 ad Munic. (50. 1).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/269>, abgerufen am 21.11.2024.