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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie.
einzige Abweichung bestand darin, daß der Nachdruck des Ge-
schäfts hier nicht auf der Person des Coemptionators, sondern
auf der des Dritten ruhte, der die Frau freiließ und dadurch ihr
Vormund ward. Daß die Frau sich zu dieser Rolle eine solche
Persönlichkeit aussuchte, deren sie sich in allen Dingen versichert
halten konnte, bedarf ebensowenig der Bemerkung, als daß schon
die bloße Androhung jenes Aktes ausreichen konnte, um einen
starrsinnigen Agnaten geschmeidiger zu machen oder ihn zur
Cession der Tutel an die von der Frau gewünschte Person zu be-
stimmen.

Der Nachlaß einer Frau, die in ihrer ursprünglichen oder
der angeheiratheten Familie verblieben war, fiel ihren Verwand-
ten zu und konnte ihnen durch Testament nicht entzogen werden,
selbst dann nicht, als mit dem Aufkommen des testamentum per
aes et libram
das formelle Hinderniß, das dem Testament der
Frau bis dahin entgegengestanden hatte, beseitigt worden war.
Dieselbe Rücksicht aber, welche dieser Beschränkung und zu-
gleich der Geschlechtsvormundschaft der Agnaten zu Grunde lag:
die Erhaltung des Vermögens im Mannsstamm, brachte es mit
sich, einer Frau, die durch capitis deminutio aus dem Ver-
bande ihrer Familie geschieden und sui juris geworden war, um-
gekehrt das Recht der Testamentserrichtung einzuräumen, um ihr
dadurch das Mittel zu gewähren, ihren Nachlaß an ihre ur-
sprünglichen Verwandten zurückzubringen. An diesen Satz: daß
eine derartige capitis deminutio der Frau das Recht der Testa-
mentserrichtung verschaffe, knüpfte man an, als man auch jene
dem weiblichen Geschlecht gezogene Schranke beseitigen wollte.
Es kam darauf an, die Frau in ein Scheinmancipium zu bringen,
um damit die Freilassung derselben zu ermöglichen. Da aber
eine gewaltfreie Person sich weder selber ins Mancipium geben,
noch auch durch ihre Tutoren hineingebracht werden konnte, so
bedurfte es zu dem Ende des Durchganges durch eins der Ge-
waltverhältnisse, mit denen das Recht des Verkaufs ins Manci-
pium verbunden war, die manus oder die väterliche Gewalt, und

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
einzige Abweichung beſtand darin, daß der Nachdruck des Ge-
ſchäfts hier nicht auf der Perſon des Coemptionators, ſondern
auf der des Dritten ruhte, der die Frau freiließ und dadurch ihr
Vormund ward. Daß die Frau ſich zu dieſer Rolle eine ſolche
Perſönlichkeit ausſuchte, deren ſie ſich in allen Dingen verſichert
halten konnte, bedarf ebenſowenig der Bemerkung, als daß ſchon
die bloße Androhung jenes Aktes ausreichen konnte, um einen
ſtarrſinnigen Agnaten geſchmeidiger zu machen oder ihn zur
Ceſſion der Tutel an die von der Frau gewünſchte Perſon zu be-
ſtimmen.

Der Nachlaß einer Frau, die in ihrer urſprünglichen oder
der angeheiratheten Familie verblieben war, fiel ihren Verwand-
ten zu und konnte ihnen durch Teſtament nicht entzogen werden,
ſelbſt dann nicht, als mit dem Aufkommen des testamentum per
aes et libram
das formelle Hinderniß, das dem Teſtament der
Frau bis dahin entgegengeſtanden hatte, beſeitigt worden war.
Dieſelbe Rückſicht aber, welche dieſer Beſchränkung und zu-
gleich der Geſchlechtsvormundſchaft der Agnaten zu Grunde lag:
die Erhaltung des Vermögens im Mannsſtamm, brachte es mit
ſich, einer Frau, die durch capitis deminutio aus dem Ver-
bande ihrer Familie geſchieden und sui juris geworden war, um-
gekehrt das Recht der Teſtamentserrichtung einzuräumen, um ihr
dadurch das Mittel zu gewähren, ihren Nachlaß an ihre ur-
ſprünglichen Verwandten zurückzubringen. An dieſen Satz: daß
eine derartige capitis deminutio der Frau das Recht der Teſta-
mentserrichtung verſchaffe, knüpfte man an, als man auch jene
dem weiblichen Geſchlecht gezogene Schranke beſeitigen wollte.
Es kam darauf an, die Frau in ein Scheinmancipium zu bringen,
um damit die Freilaſſung derſelben zu ermöglichen. Da aber
eine gewaltfreie Perſon ſich weder ſelber ins Mancipium geben,
noch auch durch ihre Tutoren hineingebracht werden konnte, ſo
bedurfte es zu dem Ende des Durchganges durch eins der Ge-
waltverhältniſſe, mit denen das Recht des Verkaufs ins Manci-
pium verbunden war, die manus oder die väterliche Gewalt, und

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[270/0286] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. einzige Abweichung beſtand darin, daß der Nachdruck des Ge- ſchäfts hier nicht auf der Perſon des Coemptionators, ſondern auf der des Dritten ruhte, der die Frau freiließ und dadurch ihr Vormund ward. Daß die Frau ſich zu dieſer Rolle eine ſolche Perſönlichkeit ausſuchte, deren ſie ſich in allen Dingen verſichert halten konnte, bedarf ebenſowenig der Bemerkung, als daß ſchon die bloße Androhung jenes Aktes ausreichen konnte, um einen ſtarrſinnigen Agnaten geſchmeidiger zu machen oder ihn zur Ceſſion der Tutel an die von der Frau gewünſchte Perſon zu be- ſtimmen. Der Nachlaß einer Frau, die in ihrer urſprünglichen oder der angeheiratheten Familie verblieben war, fiel ihren Verwand- ten zu und konnte ihnen durch Teſtament nicht entzogen werden, ſelbſt dann nicht, als mit dem Aufkommen des testamentum per aes et libram das formelle Hinderniß, das dem Teſtament der Frau bis dahin entgegengeſtanden hatte, beſeitigt worden war. Dieſelbe Rückſicht aber, welche dieſer Beſchränkung und zu- gleich der Geſchlechtsvormundſchaft der Agnaten zu Grunde lag: die Erhaltung des Vermögens im Mannsſtamm, brachte es mit ſich, einer Frau, die durch capitis deminutio aus dem Ver- bande ihrer Familie geſchieden und sui juris geworden war, um- gekehrt das Recht der Teſtamentserrichtung einzuräumen, um ihr dadurch das Mittel zu gewähren, ihren Nachlaß an ihre ur- ſprünglichen Verwandten zurückzubringen. An dieſen Satz: daß eine derartige capitis deminutio der Frau das Recht der Teſta- mentserrichtung verſchaffe, knüpfte man an, als man auch jene dem weiblichen Geſchlecht gezogene Schranke beſeitigen wollte. Es kam darauf an, die Frau in ein Scheinmancipium zu bringen, um damit die Freilaſſung derſelben zu ermöglichen. Da aber eine gewaltfreie Perſon ſich weder ſelber ins Mancipium geben, noch auch durch ihre Tutoren hineingebracht werden konnte, ſo bedurfte es zu dem Ende des Durchganges durch eins der Ge- waltverhältniſſe, mit denen das Recht des Verkaufs ins Manci- pium verbunden war, die manus oder die väterliche Gewalt, und

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/286>, abgerufen am 24.11.2024.