Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Die künstlichen Mittel. §. 58. Vermögen der Frau zu bestellen, und dadurch ihnen das Mittelzu gewähren, ihre eventuellen Erbansprüche selber zu sichern. Eine solche Einrichtung, die der Frau im Wesentlichen die Stel- lung einer Nießbraucherin anwies, hatte für die Auffassung der alten Zeit nichts Widerstrebendes, mit den freiern Ideen der spä- tern Zeit vertrug sie sich nicht. Die Form, in der letztere ihre Opposition dagegen praktisch bethätigte und die endliche Auf- hebung des Instituts unter Claudius vorbereitete, war die von Cicero388) als eine Erfindung der Juristen bezeichnete Coemptio zum Zweck des Wechsels der Tutel.389) Die Anlage derselben be- ruhte darauf, daß durch die mit der coemptio verbundene capitis deminutio die legitima tutela der Agnaten unterging, und daß der, welcher eine eines Tutors bedürftige Person aus dem Mancipium freiließ, als Quasipatron ihr Vormund ward. Die stillschweigende Voraussetzung ihrer Wirksamkeit war die nöthi- genfalls durch Zwang zu realisirende Verpflichtung der Agnaten zur Ertheilung der Auctoritas bei einer Manusehe ihrer Pfleg- befohlenen.390) Ohne diese Voraussetzung würde das Mittel, um an Stelle des unbequemen Agnaten einen gefügigen andern Vormund zu erhalten, nur dann zum Ziel geführt haben, wenn jener selber damit einverstanden gewesen wäre, für diesen Fall aber gab es eine einfachere Form: die in jure cessio der tutela legitima.391) Der Hergang war ganz der oben beschriebene, die 388) Cic. pro Mur. 12 .. hi invenerunt genera tutorum, qui potestate mulierum continerentur. 389) Rudorff das Recht der Vormundschaft B. 1 S. 231--234. 390) Ob schon nach älterem Recht, darüber s. B. 2 S. 195. Die coemptio testamenti faciendi gratia macht ganz dieselbe Voraussetzung nöthig. Wel- cher Agnat würde freiwillig seine Zustimmung zu einem Akt ertheilt haben, dessen ausgesprochener Zweck es war, ihn seines Intestaterbrechts zu berauben? Zu den Fällen, wo nach Gaj. I. 190 der Geschlechtstutor saepe etiam in- vitus auctor fieri a praetore cogitur, wird auch die coemptio fiduciae causa gehört haben. 391) Ulp. XI 6--8.
Die künſtlichen Mittel. §. 58. Vermögen der Frau zu beſtellen, und dadurch ihnen das Mittelzu gewähren, ihre eventuellen Erbanſprüche ſelber zu ſichern. Eine ſolche Einrichtung, die der Frau im Weſentlichen die Stel- lung einer Nießbraucherin anwies, hatte für die Auffaſſung der alten Zeit nichts Widerſtrebendes, mit den freiern Ideen der ſpä- tern Zeit vertrug ſie ſich nicht. Die Form, in der letztere ihre Oppoſition dagegen praktiſch bethätigte und die endliche Auf- hebung des Inſtituts unter Claudius vorbereitete, war die von Cicero388) als eine Erfindung der Juriſten bezeichnete Coemptio zum Zweck des Wechſels der Tutel.389) Die Anlage derſelben be- ruhte darauf, daß durch die mit der coemptio verbundene capitis deminutio die legitima tutela der Agnaten unterging, und daß der, welcher eine eines Tutors bedürftige Perſon aus dem Mancipium freiließ, als Quaſipatron ihr Vormund ward. Die ſtillſchweigende Vorausſetzung ihrer Wirkſamkeit war die nöthi- genfalls durch Zwang zu realiſirende Verpflichtung der Agnaten zur Ertheilung der Auctoritas bei einer Manusehe ihrer Pfleg- befohlenen.390) Ohne dieſe Vorausſetzung würde das Mittel, um an Stelle des unbequemen Agnaten einen gefügigen andern Vormund zu erhalten, nur dann zum Ziel geführt haben, wenn jener ſelber damit einverſtanden geweſen wäre, für dieſen Fall aber gab es eine einfachere Form: die in jure cessio der tutela legitima.391) Der Hergang war ganz der oben beſchriebene, die 388) Cic. pro Mur. 12 .. hi invenerunt genera tutorum, qui potestate mulierum continerentur. 389) Rudorff das Recht der Vormundſchaft B. 1 S. 231—234. 390) Ob ſchon nach älterem Recht, darüber ſ. B. 2 S. 195. Die coemptio testamenti faciendi gratia macht ganz dieſelbe Vorausſetzung nöthig. Wel- cher Agnat würde freiwillig ſeine Zuſtimmung zu einem Akt ertheilt haben, deſſen ausgeſprochener Zweck es war, ihn ſeines Inteſtaterbrechts zu berauben? Zu den Fällen, wo nach Gaj. I. 190 der Geſchlechtstutor saepe etiam in- vitus auctor fieri a praetore cogitur, wird auch die coemptio fiduciae causa gehört haben. 391) Ulp. XI 6—8.
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Eine ſolche Einrichtung, die der Frau im Weſentlichen die Stel-
lung einer Nießbraucherin anwies, hatte für die Auffaſſung der
alten Zeit nichts Widerſtrebendes, mit den freiern Ideen der ſpä-
tern Zeit vertrug ſie ſich nicht. Die Form, in der letztere ihre
Oppoſition dagegen praktiſch bethätigte und die endliche Auf-
hebung des Inſtituts unter Claudius vorbereitete, war die von
Cicero 388) als eine Erfindung der Juriſten bezeichnete Coemptio
zum Zweck des Wechſels der Tutel. 389) Die Anlage derſelben be-
ruhte darauf, daß durch die mit der coemptio verbundene capitis
deminutio die legitima tutela der Agnaten unterging, und
daß der, welcher eine eines Tutors bedürftige Perſon aus dem
Mancipium freiließ, als Quaſipatron ihr Vormund ward. Die
ſtillſchweigende Vorausſetzung ihrer Wirkſamkeit war die nöthi-
genfalls durch Zwang zu realiſirende Verpflichtung der Agnaten
zur Ertheilung der Auctoritas bei einer Manusehe ihrer Pfleg-
befohlenen. 390) Ohne dieſe Vorausſetzung würde das Mittel,
um an Stelle des unbequemen Agnaten einen gefügigen andern
Vormund zu erhalten, nur dann zum Ziel geführt haben, wenn
jener ſelber damit einverſtanden geweſen wäre, für dieſen Fall
aber gab es eine einfachere Form: die in jure cessio der tutela
legitima. 391) Der Hergang war ganz der oben beſchriebene, die
388) Cic. pro Mur. 12 .. hi invenerunt genera tutorum, qui potestate
mulierum continerentur.
389) Rudorff das Recht der Vormundſchaft B. 1 S. 231—234.
390) Ob ſchon nach älterem Recht, darüber ſ. B. 2 S. 195. Die coemptio
testamenti faciendi gratia macht ganz dieſelbe Vorausſetzung nöthig. Wel-
cher Agnat würde freiwillig ſeine Zuſtimmung zu einem Akt ertheilt haben,
deſſen ausgeſprochener Zweck es war, ihn ſeines Inteſtaterbrechts zu berauben?
Zu den Fällen, wo nach Gaj. I. 190 der Geſchlechtstutor saepe etiam in-
vitus auctor fieri a praetore cogitur, wird auch die coemptio fiduciae causa
gehört haben.
391) Ulp. XI 6—8.
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