Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie.
sen Dienst die nöthigen Mittel zur Bestreitung der sacra bis zu
seinem Lebensende vorstreckten, oder der wohl gar wegen notori-
scher Armuth oder Gebrechlichkeit die Erfüllung dieser Verpflich-
tung einfach von sich abzulehnen im Stande war. Am billigsten
kam die Frau dazu, wenn sie sich auf dem Sklavenmarkt im
eigentlichen Sinne des Wortes einen solchen Lastträger kaufte;
sie ließ ihn frei und führte mit ihm als ihrem Freigelassenen,
dem sie keine guten Worte und kein Geld zu geben hatte,386) die
obige Farce auf. Ein Todeskandidat, wie sie ihn nöthig hatte,
war für wenig Geld zu haben, die Verwendung für diese Rolle
eines "senex coemptionalis" war die einzige, für die er noch zu
gebrauchen war. Niemand machte der Frau Concurrenz.387)

Die Geschlechtsvormundschaft der Agnaten hatte bekannt-
lich den ausgesprochenen Zweck, dieselben zu Wächtern über das

386) Das civile Seitenstück zu diesem sacralen Lastträger ist der von
seinem Herrn in der Absicht, um auf ihn den Schimpf des Concurses abzu-
laden, zum Erben eingesetzte eigne oder zu dem Zweck ebenfalls erst gekaufte
Sklave. Gaj. II. 154.
387) In dieser Weise vereinigen sich meiner Ansicht nach die "senes ad
coemptiones faciendas reperti"
bei Cic. pro Murena 12 mit den als
Sklaven gedachten "senes coemptionales" bei Cic. ad fam. VII 29 und
Plaut. Bacch. IV. 9, 52 -- eine Vereinigung, deren Möglichkeit Savigny
a. a. O. S. 181 schwerlich vorgeschwebt haben wird, als er den Gedanken,
beide Arten von senes auf denselben Zweck zu beziehen, so entschieden ver-
warf. Die "senes coemptionales" sollen "alte unbrauchbare" Sklaven ge-
wesen sein, die man "in größerer Anzahl" gekauft oder sie bei dem Kauf eines
jungen mit in den Kauf gegeben habe. Es wird nicht nöthig sein, das Un-
haltbare dieser mit einer völlig unerfindlichen Bedeutung von "coemptionalis"
(co -- emere
= zusammen kaufen) operirenden Erklärung nachzuweisen, es
genüge die einfache Frage: wozu hätte Jemand solche Invaliden in größerer
Anzahl kaufen sollen? Etwa um ein Spital anzulegen, sie füttern und be-
graben zu lassen? Die einzige Brauchbarkeit und damit der einzige Handels-
werth, den sie denkbarer Weise haben konnten, war der als senes coemptionales
in dem von mir im Text entwickelten Sinn. Die diesen senes von Manchen
beigelegte symbolische Bedeutung (um die mangelnde Ernstlichkeit der Ehe
anzudeuten) verträgt sich als accessorischer Zweck sehr wohl damit.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
ſen Dienſt die nöthigen Mittel zur Beſtreitung der sacra bis zu
ſeinem Lebensende vorſtreckten, oder der wohl gar wegen notori-
ſcher Armuth oder Gebrechlichkeit die Erfüllung dieſer Verpflich-
tung einfach von ſich abzulehnen im Stande war. Am billigſten
kam die Frau dazu, wenn ſie ſich auf dem Sklavenmarkt im
eigentlichen Sinne des Wortes einen ſolchen Laſtträger kaufte;
ſie ließ ihn frei und führte mit ihm als ihrem Freigelaſſenen,
dem ſie keine guten Worte und kein Geld zu geben hatte,386) die
obige Farce auf. Ein Todeskandidat, wie ſie ihn nöthig hatte,
war für wenig Geld zu haben, die Verwendung für dieſe Rolle
eines »senex coemptionalis« war die einzige, für die er noch zu
gebrauchen war. Niemand machte der Frau Concurrenz.387)

Die Geſchlechtsvormundſchaft der Agnaten hatte bekannt-
lich den ausgeſprochenen Zweck, dieſelben zu Wächtern über das

386) Das civile Seitenſtück zu dieſem ſacralen Laſtträger iſt der von
ſeinem Herrn in der Abſicht, um auf ihn den Schimpf des Concurſes abzu-
laden, zum Erben eingeſetzte eigne oder zu dem Zweck ebenfalls erſt gekaufte
Sklave. Gaj. II. 154.
387) In dieſer Weiſe vereinigen ſich meiner Anſicht nach die „senes ad
coemptiones faciendas reperti“
bei Cic. pro Murena 12 mit den als
Sklaven gedachten „senes coemptionales“ bei Cic. ad fam. VII 29 und
Plaut. Bacch. IV. 9, 52 — eine Vereinigung, deren Möglichkeit Savigny
a. a. O. S. 181 ſchwerlich vorgeſchwebt haben wird, als er den Gedanken,
beide Arten von senes auf denſelben Zweck zu beziehen, ſo entſchieden ver-
warf. Die „senes coemptionales“ ſollen „alte unbrauchbare“ Sklaven ge-
weſen ſein, die man „in größerer Anzahl“ gekauft oder ſie bei dem Kauf eines
jungen mit in den Kauf gegeben habe. Es wird nicht nöthig ſein, das Un-
haltbare dieſer mit einer völlig unerfindlichen Bedeutung von „coemptionalis“
(co — emere
= zuſammen kaufen) operirenden Erklärung nachzuweiſen, es
genüge die einfache Frage: wozu hätte Jemand ſolche Invaliden in größerer
Anzahl kaufen ſollen? Etwa um ein Spital anzulegen, ſie füttern und be-
graben zu laſſen? Die einzige Brauchbarkeit und damit der einzige Handels-
werth, den ſie denkbarer Weiſe haben konnten, war der als senes coemptionales
in dem von mir im Text entwickelten Sinn. Die dieſen senes von Manchen
beigelegte ſymboliſche Bedeutung (um die mangelnde Ernſtlichkeit der Ehe
anzudeuten) verträgt ſich als acceſſoriſcher Zweck ſehr wohl damit.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0284" n="268"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III. B.</hi> Die juri&#x017F;ti&#x017F;che Oekonomie.</fw><lb/>
&#x017F;en Dien&#x017F;t die nöthigen Mittel zur Be&#x017F;treitung der <hi rendition="#aq">sacra</hi> bis zu<lb/>
&#x017F;einem Lebensende vor&#x017F;treckten, oder der wohl gar wegen notori-<lb/>
&#x017F;cher Armuth oder Gebrechlichkeit die Erfüllung die&#x017F;er Verpflich-<lb/>
tung einfach von &#x017F;ich abzulehnen im Stande war. Am billig&#x017F;ten<lb/>
kam die Frau dazu, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auf dem Sklavenmarkt im<lb/>
eigentlichen Sinne des Wortes einen &#x017F;olchen La&#x017F;tträger <hi rendition="#g">kaufte</hi>;<lb/>
&#x017F;ie ließ ihn frei und führte mit ihm als ihrem Freigela&#x017F;&#x017F;enen,<lb/>
dem &#x017F;ie keine guten Worte und kein Geld zu geben hatte,<note place="foot" n="386)">Das civile Seiten&#x017F;tück zu die&#x017F;em &#x017F;acralen La&#x017F;tträger i&#x017F;t der von<lb/>
&#x017F;einem Herrn in der Ab&#x017F;icht, um auf ihn den Schimpf des Concur&#x017F;es abzu-<lb/>
laden, zum Erben einge&#x017F;etzte eigne oder zu dem Zweck ebenfalls er&#x017F;t gekaufte<lb/>
Sklave. <hi rendition="#aq">Gaj. II.</hi> 154.</note> die<lb/>
obige Farce auf. Ein Todeskandidat, wie &#x017F;ie ihn nöthig hatte,<lb/>
war für wenig Geld zu haben, die Verwendung für die&#x017F;e Rolle<lb/>
eines <hi rendition="#aq">»senex coemptionalis«</hi> war die einzige, für die er noch zu<lb/>
gebrauchen war. Niemand machte der Frau Concurrenz.<note place="foot" n="387)">In die&#x017F;er Wei&#x017F;e vereinigen &#x017F;ich meiner An&#x017F;icht nach die <hi rendition="#aq">&#x201E;senes ad<lb/>
coemptiones faciendas reperti&#x201C;</hi> bei <hi rendition="#aq">Cic. pro Murena</hi> 12 mit den als<lb/><hi rendition="#g">Sklaven</hi> gedachten <hi rendition="#aq">&#x201E;senes coemptionales&#x201C;</hi> bei <hi rendition="#aq">Cic. ad fam. VII</hi> 29 und<lb/><hi rendition="#aq">Plaut. Bacch. IV.</hi> 9, 52 &#x2014; eine Vereinigung, deren Möglichkeit <hi rendition="#g">Savigny</hi><lb/>
a. a. O. S. 181 &#x017F;chwerlich vorge&#x017F;chwebt haben wird, als er den Gedanken,<lb/>
beide Arten von <hi rendition="#aq">senes</hi> auf den&#x017F;elben Zweck zu beziehen, &#x017F;o ent&#x017F;chieden ver-<lb/>
warf. Die <hi rendition="#aq">&#x201E;senes coemptionales&#x201C;</hi> &#x017F;ollen &#x201E;alte unbrauchbare&#x201C; Sklaven ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ein, die man &#x201E;in größerer Anzahl&#x201C; gekauft oder &#x017F;ie bei dem Kauf eines<lb/>
jungen mit in den Kauf gegeben habe. Es wird nicht nöthig &#x017F;ein, das Un-<lb/>
haltbare die&#x017F;er mit einer völlig unerfindlichen Bedeutung von <hi rendition="#aq">&#x201E;coemptionalis&#x201C;<lb/>
(co &#x2014; emere</hi> = zu&#x017F;ammen kaufen) operirenden Erklärung nachzuwei&#x017F;en, es<lb/>
genüge die einfache Frage: wozu hätte Jemand &#x017F;olche Invaliden in größerer<lb/>
Anzahl kaufen &#x017F;ollen? Etwa um ein Spital anzulegen, &#x017F;ie füttern und be-<lb/>
graben zu la&#x017F;&#x017F;en? Die einzige Brauchbarkeit und damit der einzige Handels-<lb/>
werth, den &#x017F;ie denkbarer Wei&#x017F;e haben konnten, war der als <hi rendition="#aq">senes coemptionales</hi><lb/>
in dem von mir im Text entwickelten Sinn. Die die&#x017F;en <hi rendition="#aq">senes</hi> von Manchen<lb/>
beigelegte &#x017F;ymboli&#x017F;che Bedeutung (um die mangelnde Ern&#x017F;tlichkeit der Ehe<lb/>
anzudeuten) verträgt &#x017F;ich als acce&#x017F;&#x017F;ori&#x017F;cher Zweck &#x017F;ehr wohl damit.</note></p><lb/>
                    <p>Die Ge&#x017F;chlechtsvormund&#x017F;chaft der Agnaten hatte bekannt-<lb/>
lich den ausge&#x017F;prochenen Zweck, die&#x017F;elben zu Wächtern über das<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0284] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. ſen Dienſt die nöthigen Mittel zur Beſtreitung der sacra bis zu ſeinem Lebensende vorſtreckten, oder der wohl gar wegen notori- ſcher Armuth oder Gebrechlichkeit die Erfüllung dieſer Verpflich- tung einfach von ſich abzulehnen im Stande war. Am billigſten kam die Frau dazu, wenn ſie ſich auf dem Sklavenmarkt im eigentlichen Sinne des Wortes einen ſolchen Laſtträger kaufte; ſie ließ ihn frei und führte mit ihm als ihrem Freigelaſſenen, dem ſie keine guten Worte und kein Geld zu geben hatte, 386) die obige Farce auf. Ein Todeskandidat, wie ſie ihn nöthig hatte, war für wenig Geld zu haben, die Verwendung für dieſe Rolle eines »senex coemptionalis« war die einzige, für die er noch zu gebrauchen war. Niemand machte der Frau Concurrenz. 387) Die Geſchlechtsvormundſchaft der Agnaten hatte bekannt- lich den ausgeſprochenen Zweck, dieſelben zu Wächtern über das 386) Das civile Seitenſtück zu dieſem ſacralen Laſtträger iſt der von ſeinem Herrn in der Abſicht, um auf ihn den Schimpf des Concurſes abzu- laden, zum Erben eingeſetzte eigne oder zu dem Zweck ebenfalls erſt gekaufte Sklave. Gaj. II. 154. 387) In dieſer Weiſe vereinigen ſich meiner Anſicht nach die „senes ad coemptiones faciendas reperti“ bei Cic. pro Murena 12 mit den als Sklaven gedachten „senes coemptionales“ bei Cic. ad fam. VII 29 und Plaut. Bacch. IV. 9, 52 — eine Vereinigung, deren Möglichkeit Savigny a. a. O. S. 181 ſchwerlich vorgeſchwebt haben wird, als er den Gedanken, beide Arten von senes auf denſelben Zweck zu beziehen, ſo entſchieden ver- warf. Die „senes coemptionales“ ſollen „alte unbrauchbare“ Sklaven ge- weſen ſein, die man „in größerer Anzahl“ gekauft oder ſie bei dem Kauf eines jungen mit in den Kauf gegeben habe. Es wird nicht nöthig ſein, das Un- haltbare dieſer mit einer völlig unerfindlichen Bedeutung von „coemptionalis“ (co — emere = zuſammen kaufen) operirenden Erklärung nachzuweiſen, es genüge die einfache Frage: wozu hätte Jemand ſolche Invaliden in größerer Anzahl kaufen ſollen? Etwa um ein Spital anzulegen, ſie füttern und be- graben zu laſſen? Die einzige Brauchbarkeit und damit der einzige Handels- werth, den ſie denkbarer Weiſe haben konnten, war der als senes coemptionales in dem von mir im Text entwickelten Sinn. Die dieſen senes von Manchen beigelegte ſymboliſche Bedeutung (um die mangelnde Ernſtlichkeit der Ehe anzudeuten) verträgt ſich als acceſſoriſcher Zweck ſehr wohl damit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/284
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/284>, abgerufen am 21.11.2024.