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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Die künstlichen Mittel. §. 58.
folger den Mark Aurel und als dessen, also als seinen Enkel,
den Verus adoptire und diesem seine Tochter gebe. Ersteres
geschah, gleichwohl aber wurden die beiden letztern im Leben als
Brüder betrachtet (nach ihrem Tode die "Divi fratres"), unge-
achtet juristisch genommen der eine der Vater des andern war.
Verus erhielt statt der ihm von seinem Adoptiv-Urgroßvater
Hadrian zugedachten Tochter seines Adoptiv-Großvaters Pius
schließlich die Tochter seines Adoptivvaters oder Bruders Mark
Aurel zur Braut, während dieser wiederum die Tochter seines
eignen Adoptivvaters zur Frau nahm.408) Wer mag bei dieser
Verkehrung der gewohnten Ordnung der Familie noch an wirk-
liche Familienverhältnisse denken! Es waren Verabredungen rein
politischer Art, bei denen die Adoption nur den Namen hergab,
um die Reihe der Regierungsnachfolger zu bestimmen, ohne daß
man ihr auf die Privatverhältnisse weder einen hinderlichen noch
förderlichen Einfluß eingeräumt hätte.409) Kurz es war ein neuer
Begriff: die "adoptio regia",410) bei der daher auch die alten For-
men, die früher noch beobachtet waren, bald andern Platz machten.
Hadrian erfuhr seine Ernennung zum Nachfolger von Seiten des
Trajan erst durch Uebersendung des Patents, als er in Spanien
war.411) Ob wohl irgend einer der Juristen, wenn derselbe dort

408) Spart. Hadrian. c. 22. Ael. Verus c. 6. Capitol. Verus c. 3. Ant.
Phil. c.
5. Juristisch war allerdings die Adoption des Schwiegersohnes
dadurch möglich zu machen, daß der Vater die Tochter vorher aus der Gewalt
entließ. L. 17 §. 1 de R. N. (23. 1) (nicht entgegen L. 25 i. f. de adopt.
1. 7) -- ein leeres Spiel mit den Familienverhältnissen, das von den im
Text genannten Personen schwerlich aufgeführt worden ist. Mark Aurel war,
als er den Verus adoptirte, 18 Jahre alt, wenige Jahre älter, als letzterer.
Capit. Ant. Phil. c. 5. Capitol. Ant. Pius c. 7 .. fratrem sibi parti-
cipem in imperio designavit .. et quasi pater (ejus) esset et Verum eum
appellavit addito Antonini nomine filiamque suam Lucillam fratri de-
spondit. id. Ant. Philos. c.
5.
409) So hinterließ Ant. Pius sein Vermögen nicht seinem Adoptivsohn,
sondern seiner natürlichen Tochter. Capitol. Pius c. 12.
410) So bezeichnet sie Capit. Ant. Phil. c. 5.
411) Spart. Hadr. c. 4.

Die künſtlichen Mittel. §. 58.
folger den Mark Aurel und als deſſen, alſo als ſeinen Enkel,
den Verus adoptire und dieſem ſeine Tochter gebe. Erſteres
geſchah, gleichwohl aber wurden die beiden letztern im Leben als
Brüder betrachtet (nach ihrem Tode die „Divi fratres“), unge-
achtet juriſtiſch genommen der eine der Vater des andern war.
Verus erhielt ſtatt der ihm von ſeinem Adoptiv-Urgroßvater
Hadrian zugedachten Tochter ſeines Adoptiv-Großvaters Pius
ſchließlich die Tochter ſeines Adoptivvaters oder Bruders Mark
Aurel zur Braut, während dieſer wiederum die Tochter ſeines
eignen Adoptivvaters zur Frau nahm.408) Wer mag bei dieſer
Verkehrung der gewohnten Ordnung der Familie noch an wirk-
liche Familienverhältniſſe denken! Es waren Verabredungen rein
politiſcher Art, bei denen die Adoption nur den Namen hergab,
um die Reihe der Regierungsnachfolger zu beſtimmen, ohne daß
man ihr auf die Privatverhältniſſe weder einen hinderlichen noch
förderlichen Einfluß eingeräumt hätte.409) Kurz es war ein neuer
Begriff: die „adoptio regia“,410) bei der daher auch die alten For-
men, die früher noch beobachtet waren, bald andern Platz machten.
Hadrian erfuhr ſeine Ernennung zum Nachfolger von Seiten des
Trajan erſt durch Ueberſendung des Patents, als er in Spanien
war.411) Ob wohl irgend einer der Juriſten, wenn derſelbe dort

408) Spart. Hadrian. c. 22. Ael. Verus c. 6. Capitol. Verus c. 3. Ant.
Phil. c.
5. Juriſtiſch war allerdings die Adoption des Schwiegerſohnes
dadurch möglich zu machen, daß der Vater die Tochter vorher aus der Gewalt
entließ. L. 17 §. 1 de R. N. (23. 1) (nicht entgegen L. 25 i. f. de adopt.
1. 7) — ein leeres Spiel mit den Familienverhältniſſen, das von den im
Text genannten Perſonen ſchwerlich aufgeführt worden iſt. Mark Aurel war,
als er den Verus adoptirte, 18 Jahre alt, wenige Jahre älter, als letzterer.
Capit. Ant. Phil. c. 5. Capitol. Ant. Pius c. 7 .. fratrem sibi parti-
cipem in imperio designavit .. et quasi pater (ejus) esset et Verum eum
appellavit addito Antonini nomine filiamque suam Lucillam fratri de-
spondit. id. Ant. Philos. c.
5.
409) So hinterließ Ant. Pius ſein Vermögen nicht ſeinem Adoptivſohn,
ſondern ſeiner natürlichen Tochter. Capitol. Pius c. 12.
410) So bezeichnet ſie Capit. Ant. Phil. c. 5.
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[283/0299] Die künſtlichen Mittel. §. 58. folger den Mark Aurel und als deſſen, alſo als ſeinen Enkel, den Verus adoptire und dieſem ſeine Tochter gebe. Erſteres geſchah, gleichwohl aber wurden die beiden letztern im Leben als Brüder betrachtet (nach ihrem Tode die „Divi fratres“), unge- achtet juriſtiſch genommen der eine der Vater des andern war. Verus erhielt ſtatt der ihm von ſeinem Adoptiv-Urgroßvater Hadrian zugedachten Tochter ſeines Adoptiv-Großvaters Pius ſchließlich die Tochter ſeines Adoptivvaters oder Bruders Mark Aurel zur Braut, während dieſer wiederum die Tochter ſeines eignen Adoptivvaters zur Frau nahm. 408) Wer mag bei dieſer Verkehrung der gewohnten Ordnung der Familie noch an wirk- liche Familienverhältniſſe denken! Es waren Verabredungen rein politiſcher Art, bei denen die Adoption nur den Namen hergab, um die Reihe der Regierungsnachfolger zu beſtimmen, ohne daß man ihr auf die Privatverhältniſſe weder einen hinderlichen noch förderlichen Einfluß eingeräumt hätte. 409) Kurz es war ein neuer Begriff: die „adoptio regia“, 410) bei der daher auch die alten For- men, die früher noch beobachtet waren, bald andern Platz machten. Hadrian erfuhr ſeine Ernennung zum Nachfolger von Seiten des Trajan erſt durch Ueberſendung des Patents, als er in Spanien war. 411) Ob wohl irgend einer der Juriſten, wenn derſelbe dort 408) Spart. Hadrian. c. 22. Ael. Verus c. 6. Capitol. Verus c. 3. Ant. Phil. c. 5. Juriſtiſch war allerdings die Adoption des Schwiegerſohnes dadurch möglich zu machen, daß der Vater die Tochter vorher aus der Gewalt entließ. L. 17 §. 1 de R. N. (23. 1) (nicht entgegen L. 25 i. f. de adopt. 1. 7) — ein leeres Spiel mit den Familienverhältniſſen, das von den im Text genannten Perſonen ſchwerlich aufgeführt worden iſt. Mark Aurel war, als er den Verus adoptirte, 18 Jahre alt, wenige Jahre älter, als letzterer. Capit. Ant. Phil. c. 5. Capitol. Ant. Pius c. 7 .. fratrem sibi parti- cipem in imperio designavit .. et quasi pater (ejus) esset et Verum eum appellavit addito Antonini nomine filiamque suam Lucillam fratri de- spondit. id. Ant. Philos. c. 5. 409) So hinterließ Ant. Pius ſein Vermögen nicht ſeinem Adoptivſohn, ſondern ſeiner natürlichen Tochter. Capitol. Pius c. 12. 410) So bezeichnet ſie Capit. Ant. Phil. c. 5. 411) Spart. Hadr. c. 4.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/299>, abgerufen am 21.11.2024.