Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Die künstlichen Mittel. §. 58. Caput mortuum desselben, hervorgegangen aus demselben Motivund in ganz ähnlicher Weise operirend. Was das Scheingeschäft auf dem weitläuftigeren Wege der Handlung, beschafft sie auf dem einfacheren des Gedankens, beide thun dem Verhältniß, das sie ergreifen, Gewalt an, um es über das Prokrustesbett bereits vorhandener Geschäfte, Begriffe, Klagen zu spannen. Nur darin möchte ein Unterschied beider gelegen sein, daß wäh- rend das Scheingeschäft in unserm obigen Sinn vorzugsweise im römischen Verkehr, weniger im Proceß zur Erscheinung ge- langte, die Fiction gerade im Proceß die reichste Verwendung fand, welches letztere sich auch im englischen Rechte wiederholt. Der Uebergang des Legis-Actionen-Processes in den Formular- proceß scheint vorzugsweise durch sie vermittelt worden zu sein.423) Die Form, die sie in dem Processe annahm, war eine doppelte: die eines Zwischensatzes und eines Vordersatzes, im erstern Fall enthielt die Formel bloß die eine, sich überall wiederholende Be- dingung: si paret, im zweiten eine Doppelbedingung;424) diese letztere Form möchte ich für die ältere halten. Ueber den angeblichen historischen Ursprung der Fiction 423) Keller, Civilproceß §. 25 Note 298 (Aufl. 3 S. 98). Was De- melius S. 51 fl. dagegen einwendet, hat mich nicht überzeugt. 424) Beispiel der ersten Art bei Gaj. IV 37: Si paret ope consilio Dionis Graeci Lucio Titio furtum factum esse paterae aureae, quam ob rem eum, si civis Romanus esset, pro fure damnum decidere opor- teret etc. Beispiel der zweiten bei Gaj. IV 34: Si A. A. Lucio Titio heres esset, tum si paret fundum, de quo agitur, ex jure Quiritium ejus esse oportere. 19*
Die künſtlichen Mittel. §. 58. Caput mortuum deſſelben, hervorgegangen aus demſelben Motivund in ganz ähnlicher Weiſe operirend. Was das Scheingeſchäft auf dem weitläuftigeren Wege der Handlung, beſchafft ſie auf dem einfacheren des Gedankens, beide thun dem Verhältniß, das ſie ergreifen, Gewalt an, um es über das Prokruſtesbett bereits vorhandener Geſchäfte, Begriffe, Klagen zu ſpannen. Nur darin möchte ein Unterſchied beider gelegen ſein, daß wäh- rend das Scheingeſchäft in unſerm obigen Sinn vorzugsweiſe im römiſchen Verkehr, weniger im Proceß zur Erſcheinung ge- langte, die Fiction gerade im Proceß die reichſte Verwendung fand, welches letztere ſich auch im engliſchen Rechte wiederholt. Der Uebergang des Legis-Actionen-Proceſſes in den Formular- proceß ſcheint vorzugsweiſe durch ſie vermittelt worden zu ſein.423) Die Form, die ſie in dem Proceſſe annahm, war eine doppelte: die eines Zwiſchenſatzes und eines Vorderſatzes, im erſtern Fall enthielt die Formel bloß die eine, ſich überall wiederholende Be- dingung: si paret, im zweiten eine Doppelbedingung;424) dieſe letztere Form möchte ich für die ältere halten. Ueber den angeblichen hiſtoriſchen Urſprung der Fiction 423) Keller, Civilproceß §. 25 Note 298 (Aufl. 3 S. 98). Was De- melius S. 51 fl. dagegen einwendet, hat mich nicht überzeugt. 424) Beiſpiel der erſten Art bei Gaj. IV 37: Si paret ope consilio Dionis Graeci Lucio Titio furtum factum esse paterae aureae, quam ob rem eum, si civis Romanus esset, pro fure damnum decidere opor- teret etc. Beiſpiel der zweiten bei Gaj. IV 34: Si A. A. Lucio Titio heres esset, tum si paret fundum, de quo agitur, ex jure Quiritium ejus esse oportere. 19*
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Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Caput mortuum deſſelben, hervorgegangen aus demſelben Motiv
und in ganz ähnlicher Weiſe operirend. Was das Scheingeſchäft
auf dem weitläuftigeren Wege der Handlung, beſchafft ſie auf
dem einfacheren des Gedankens, beide thun dem Verhältniß,
das ſie ergreifen, Gewalt an, um es über das Prokruſtesbett
bereits vorhandener Geſchäfte, Begriffe, Klagen zu ſpannen.
Nur darin möchte ein Unterſchied beider gelegen ſein, daß wäh-
rend das Scheingeſchäft in unſerm obigen Sinn vorzugsweiſe
im römiſchen Verkehr, weniger im Proceß zur Erſcheinung ge-
langte, die Fiction gerade im Proceß die reichſte Verwendung
fand, welches letztere ſich auch im engliſchen Rechte wiederholt.
Der Uebergang des Legis-Actionen-Proceſſes in den Formular-
proceß ſcheint vorzugsweiſe durch ſie vermittelt worden zu ſein. 423)
Die Form, die ſie in dem Proceſſe annahm, war eine doppelte:
die eines Zwiſchenſatzes und eines Vorderſatzes, im erſtern Fall
enthielt die Formel bloß die eine, ſich überall wiederholende Be-
dingung: si paret, im zweiten eine Doppelbedingung; 424) dieſe
letztere Form möchte ich für die ältere halten.
Ueber den angeblichen hiſtoriſchen Urſprung der Fiction
auf dem Gebiet des geiſtlichen Rechts habe ich mich ſchon oben
S. 271 gelegentlich ausgeſprochen. Ihr ſpäteres Schickſal war
ganz das des Scheingeſchäfts, ſie ſtarb nach und nach ab, und mit
dem Bedürfniß verlor ſich auch das Verſtändniß; die vereinzelten
Spuren, die Juſtinian noch vorfand, regten die ganze Galle ſeines
Unmuths und ſeiner Entrüſtung über eine ſo unſinnige Ver-
irrung des Alterthums in ihm auf, und er rottete ſie mit Stumpf
423) Keller, Civilproceß §. 25 Note 298 (Aufl. 3 S. 98). Was De-
melius S. 51 fl. dagegen einwendet, hat mich nicht überzeugt.
424) Beiſpiel der erſten Art bei Gaj. IV 37: Si paret ope consilio
Dionis Graeci Lucio Titio furtum factum esse paterae aureae, quam ob
rem eum, si civis Romanus esset, pro fure damnum decidere opor-
teret etc. Beiſpiel der zweiten bei Gaj. IV 34: Si A. A. Lucio Titio heres
esset, tum si paret fundum, de quo agitur, ex jure Quiritium ejus esse
oportere.
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