Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. halten, jedenfalls ist sie eine der anziehendsten und dankbarsten,denen ich im ganzen Verlauf meines Werks begegnet bin. Es hat einen Reiz für mich, dem ich Nichts an die Seite zu stellen wüßte, dem menschlichen Geist nachzuschleichen auf den dunklen Pfaden seiner vorhistorischen Thätigkeit, die verfallenen und verschütteten Schachte, die er in den Schooß der Erde getrieben, wieder zu öffnen und damit den Beweis zu liefern, daß an die- sen Stellen bereits vor Jahrtausenden rege Arbeit und umsich- tiges, planvolles Schaffen herrschte, daß diese unterirdische Welt, dieser Unterbau des gesammten Rechts nicht das Werk einer blind waltenden Naturkraft, sondern das Verdienst und die freie That des denkenden Geistes ist. Je mehr die elemen- tare Art der Arbeit und der Oberbau, der sie unserm Auge ent- zieht, den entgegengesetzten Schein hervorzurufen vermag, und je mehr es bisher versäumt worden ist, in diese Tiefen hinabzu- steigen, um so lohnender ist es, wenn es gelingt, dem mensch- lichen Geist zurückzuerobern, was sein eigen ist. Davon wird uns auch der Umstand nicht abhalten dürfen, daß die römischen Juristen selber sich bis zu diesen Tiefen nicht hinabgelassen haben, daß sie sich, um im Bilde zu bleiben, auf den Tagbau, d. i. auf die offen zu Tage liegenden praktischen Parthieen des Rechts beschränkt haben -- ein Beispiel, das von uns Neueren nur zu getreulich befolgt worden ist. Es lag einmal nicht in ihrer Weise, auf dem Wege historischer oder rechtsphilosophischer Un- tersuchung bis zu den letzten Quellen des Rechts zurückzugehen oder auch nur einmal den Apparat, mit dem sie arbeiteten, ihre allgemeinen Anschauungen, ihre Methode zum Gegenstand der Betrachtung zu machen. Selbst eine Kritik des bestehenden Rechts vom legislativ-politischen Standpunkt aus sucht man bei ihnen vergebens, sie war eben in zu hohem Grade ein leben- diges Stück von ihnen selbst, als daß sie es für nöthig gefun- den hätten, sie zu Papier zu bringen. Aber für alles das, was sie verabsäumt, haben sie uns das Material gegeben, es nach- zuholen. Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. halten, jedenfalls iſt ſie eine der anziehendſten und dankbarſten,denen ich im ganzen Verlauf meines Werks begegnet bin. Es hat einen Reiz für mich, dem ich Nichts an die Seite zu ſtellen wüßte, dem menſchlichen Geiſt nachzuſchleichen auf den dunklen Pfaden ſeiner vorhiſtoriſchen Thätigkeit, die verfallenen und verſchütteten Schachte, die er in den Schooß der Erde getrieben, wieder zu öffnen und damit den Beweis zu liefern, daß an die- ſen Stellen bereits vor Jahrtauſenden rege Arbeit und umſich- tiges, planvolles Schaffen herrſchte, daß dieſe unterirdiſche Welt, dieſer Unterbau des geſammten Rechts nicht das Werk einer blind waltenden Naturkraft, ſondern das Verdienſt und die freie That des denkenden Geiſtes iſt. Je mehr die elemen- tare Art der Arbeit und der Oberbau, der ſie unſerm Auge ent- zieht, den entgegengeſetzten Schein hervorzurufen vermag, und je mehr es bisher verſäumt worden iſt, in dieſe Tiefen hinabzu- ſteigen, um ſo lohnender iſt es, wenn es gelingt, dem menſch- lichen Geiſt zurückzuerobern, was ſein eigen iſt. Davon wird uns auch der Umſtand nicht abhalten dürfen, daß die römiſchen Juriſten ſelber ſich bis zu dieſen Tiefen nicht hinabgelaſſen haben, daß ſie ſich, um im Bilde zu bleiben, auf den Tagbau, d. i. auf die offen zu Tage liegenden praktiſchen Parthieen des Rechts beſchränkt haben — ein Beiſpiel, das von uns Neueren nur zu getreulich befolgt worden iſt. Es lag einmal nicht in ihrer Weiſe, auf dem Wege hiſtoriſcher oder rechtsphiloſophiſcher Un- terſuchung bis zu den letzten Quellen des Rechts zurückzugehen oder auch nur einmal den Apparat, mit dem ſie arbeiteten, ihre allgemeinen Anſchauungen, ihre Methode zum Gegenſtand der Betrachtung zu machen. Selbſt eine Kritik des beſtehenden Rechts vom legislativ-politiſchen Standpunkt aus ſucht man bei ihnen vergebens, ſie war eben in zu hohem Grade ein leben- diges Stück von ihnen ſelbſt, als daß ſie es für nöthig gefun- den hätten, ſie zu Papier zu bringen. Aber für alles das, was ſie verabſäumt, haben ſie uns das Material gegeben, es nach- zuholen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0314" n="298"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.</fw><lb/> halten, jedenfalls iſt ſie eine der anziehendſten und dankbarſten,<lb/> denen ich im ganzen Verlauf meines Werks begegnet bin. Es hat<lb/> einen Reiz für mich, dem ich Nichts an die Seite zu ſtellen<lb/> wüßte, dem menſchlichen Geiſt nachzuſchleichen auf den dunklen<lb/> Pfaden ſeiner vorhiſtoriſchen Thätigkeit, die verfallenen und<lb/> verſchütteten Schachte, die er in den Schooß der Erde getrieben,<lb/> wieder zu öffnen und damit den Beweis zu liefern, daß an die-<lb/> ſen Stellen bereits vor Jahrtauſenden rege Arbeit und umſich-<lb/> tiges, planvolles Schaffen herrſchte, daß dieſe unterirdiſche<lb/> Welt, dieſer Unterbau des geſammten Rechts nicht das Werk<lb/> einer blind waltenden Naturkraft, ſondern das Verdienſt und<lb/> die freie That des denkenden Geiſtes iſt. Je mehr die elemen-<lb/> tare Art der Arbeit und der Oberbau, der ſie unſerm Auge ent-<lb/> zieht, den entgegengeſetzten Schein hervorzurufen vermag, und<lb/> je mehr es bisher verſäumt worden iſt, in dieſe Tiefen hinabzu-<lb/> ſteigen, um ſo lohnender iſt es, wenn es gelingt, dem menſch-<lb/> lichen Geiſt zurückzuerobern, was ſein eigen iſt. Davon wird<lb/> uns auch der Umſtand nicht abhalten dürfen, daß die römiſchen<lb/> Juriſten ſelber ſich bis zu dieſen Tiefen nicht hinabgelaſſen haben,<lb/> daß ſie ſich, um im Bilde zu bleiben, auf den Tagbau, d. i. auf<lb/> die offen zu Tage liegenden praktiſchen Parthieen des Rechts<lb/> beſchränkt haben — ein Beiſpiel, das von uns Neueren nur<lb/> zu getreulich befolgt worden iſt. Es lag einmal nicht in ihrer<lb/> Weiſe, auf dem Wege hiſtoriſcher oder rechtsphiloſophiſcher Un-<lb/> terſuchung bis zu den letzten Quellen des Rechts zurückzugehen<lb/> oder auch nur einmal den Apparat, mit dem ſie arbeiteten, ihre<lb/> allgemeinen Anſchauungen, ihre Methode zum Gegenſtand der<lb/> Betrachtung zu machen. Selbſt eine Kritik des beſtehenden<lb/> Rechts vom legislativ-politiſchen Standpunkt aus ſucht man bei<lb/> ihnen vergebens, ſie war eben in zu hohem Grade ein leben-<lb/> diges Stück von ihnen ſelbſt, als daß ſie es für nöthig gefun-<lb/> den hätten, ſie zu Papier zu bringen. Aber für alles das, was<lb/> ſie verabſäumt, haben ſie uns das Material gegeben, es nach-<lb/> zuholen.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [298/0314]
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
halten, jedenfalls iſt ſie eine der anziehendſten und dankbarſten,
denen ich im ganzen Verlauf meines Werks begegnet bin. Es hat
einen Reiz für mich, dem ich Nichts an die Seite zu ſtellen
wüßte, dem menſchlichen Geiſt nachzuſchleichen auf den dunklen
Pfaden ſeiner vorhiſtoriſchen Thätigkeit, die verfallenen und
verſchütteten Schachte, die er in den Schooß der Erde getrieben,
wieder zu öffnen und damit den Beweis zu liefern, daß an die-
ſen Stellen bereits vor Jahrtauſenden rege Arbeit und umſich-
tiges, planvolles Schaffen herrſchte, daß dieſe unterirdiſche
Welt, dieſer Unterbau des geſammten Rechts nicht das Werk
einer blind waltenden Naturkraft, ſondern das Verdienſt und
die freie That des denkenden Geiſtes iſt. Je mehr die elemen-
tare Art der Arbeit und der Oberbau, der ſie unſerm Auge ent-
zieht, den entgegengeſetzten Schein hervorzurufen vermag, und
je mehr es bisher verſäumt worden iſt, in dieſe Tiefen hinabzu-
ſteigen, um ſo lohnender iſt es, wenn es gelingt, dem menſch-
lichen Geiſt zurückzuerobern, was ſein eigen iſt. Davon wird
uns auch der Umſtand nicht abhalten dürfen, daß die römiſchen
Juriſten ſelber ſich bis zu dieſen Tiefen nicht hinabgelaſſen haben,
daß ſie ſich, um im Bilde zu bleiben, auf den Tagbau, d. i. auf
die offen zu Tage liegenden praktiſchen Parthieen des Rechts
beſchränkt haben — ein Beiſpiel, das von uns Neueren nur
zu getreulich befolgt worden iſt. Es lag einmal nicht in ihrer
Weiſe, auf dem Wege hiſtoriſcher oder rechtsphiloſophiſcher Un-
terſuchung bis zu den letzten Quellen des Rechts zurückzugehen
oder auch nur einmal den Apparat, mit dem ſie arbeiteten, ihre
allgemeinen Anſchauungen, ihre Methode zum Gegenſtand der
Betrachtung zu machen. Selbſt eine Kritik des beſtehenden
Rechts vom legislativ-politiſchen Standpunkt aus ſucht man bei
ihnen vergebens, ſie war eben in zu hohem Grade ein leben-
diges Stück von ihnen ſelbſt, als daß ſie es für nöthig gefun-
den hätten, ſie zu Papier zu bringen. Aber für alles das, was
ſie verabſäumt, haben ſie uns das Material gegeben, es nach-
zuholen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |