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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Die Aufgabe -- Antheil der juristischen Logik am Recht. §. 59.

Hat denn aber unsere moderne Jurisprudenz dies nicht be-
reits längst gethan? An Zeit hat es ihr doch wahrlich nicht ge-
fehlt! Ich muß mir gefallen lassen der Anmaßung bezüchtigt zu
werden, aber ich kann nicht anders als sagen: in dieser Rich-
tung hat sie so gut wie Nichts geleistet. Es hat mich bei den
Untersuchungen, die ich im Folgenden anstellen werde, kaum je
das Gefühl verlassen, daß ich meinen Fuß auf völlig unbetretenes
Land setzte, daß hier Lager verborgen liegen, von deren Reich-
thum wir bisher kaum eine Ahnung gehabt, und von denen es
mir begreiflicherweise nur beschieden sein wird, den kleinsten Theil
zu heben und auch diesen sicherlich versetzt mit vielen Schlacken.
Die historische Jurisprudenz hält regelmäßig ihre Aufgabe für
gelöst, wenn sie das Aeußere der historischen Erscheinung ermit-
telt hat; wo die Quellen aufhören, glaubt auch sie aufhören zu
müssen, über das Aeußere gehen aber, wie bemerkt, die Quellen
selber selten hinaus. Der Rechtsphilosophie dagegen, welche
den Beruf gehabt hätte ins Innere zu dringen, ist jene Aufgabe
zu historisch, und man kann jedenfalls dem Philosophen von
Fach keinen Vorwurf daraus machen, daß er sich rücksichtlich des
positiven und juristischen Materials auf den Juristen verläßt.
Diese seine Abhängigkeit von Letzterem hat freilich für die Rechts-
philosophie böse Früchte getragen, der geistige Bann, mit dem
das römische Recht uns positive Juristen so leicht bestrickt, hat
sich auch auf sie mit ausgedehnt, indem sie Begriffe, denen der
Jurist einmal gewohnt ist, eine absolute Wahrheit zuzuschreiben,
wie z. B. dem des römischen Eigenthums, in derselben Eigen-
schaft gläubig aus seiner Hand entgegennahm. Diesen Bann
zu brechen, das Historische, Römische, das durch Zweckmäßig-
keitsrücksichten oder andere Einflüsse Bedingte in diesen Begriffen
nachzuweisen und damit einen Maßstab zu gewinnen für ihren
Werth, ist eine der Hauptaufgaben der folgenden Untersuchungen.
Machen wir uns zunächst klar, worauf der Bann beruht.

Er läßt sich mit einem Worte bezeichnen. Es ist das Blend-
werk der juristischen Dialektik, welche dem Positiven den Nim-

Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.

Hat denn aber unſere moderne Jurisprudenz dies nicht be-
reits längſt gethan? An Zeit hat es ihr doch wahrlich nicht ge-
fehlt! Ich muß mir gefallen laſſen der Anmaßung bezüchtigt zu
werden, aber ich kann nicht anders als ſagen: in dieſer Rich-
tung hat ſie ſo gut wie Nichts geleiſtet. Es hat mich bei den
Unterſuchungen, die ich im Folgenden anſtellen werde, kaum je
das Gefühl verlaſſen, daß ich meinen Fuß auf völlig unbetretenes
Land ſetzte, daß hier Lager verborgen liegen, von deren Reich-
thum wir bisher kaum eine Ahnung gehabt, und von denen es
mir begreiflicherweiſe nur beſchieden ſein wird, den kleinſten Theil
zu heben und auch dieſen ſicherlich verſetzt mit vielen Schlacken.
Die hiſtoriſche Jurisprudenz hält regelmäßig ihre Aufgabe für
gelöſt, wenn ſie das Aeußere der hiſtoriſchen Erſcheinung ermit-
telt hat; wo die Quellen aufhören, glaubt auch ſie aufhören zu
müſſen, über das Aeußere gehen aber, wie bemerkt, die Quellen
ſelber ſelten hinaus. Der Rechtsphiloſophie dagegen, welche
den Beruf gehabt hätte ins Innere zu dringen, iſt jene Aufgabe
zu hiſtoriſch, und man kann jedenfalls dem Philoſophen von
Fach keinen Vorwurf daraus machen, daß er ſich rückſichtlich des
poſitiven und juriſtiſchen Materials auf den Juriſten verläßt.
Dieſe ſeine Abhängigkeit von Letzterem hat freilich für die Rechts-
philoſophie böſe Früchte getragen, der geiſtige Bann, mit dem
das römiſche Recht uns poſitive Juriſten ſo leicht beſtrickt, hat
ſich auch auf ſie mit ausgedehnt, indem ſie Begriffe, denen der
Juriſt einmal gewohnt iſt, eine abſolute Wahrheit zuzuſchreiben,
wie z. B. dem des römiſchen Eigenthums, in derſelben Eigen-
ſchaft gläubig aus ſeiner Hand entgegennahm. Dieſen Bann
zu brechen, das Hiſtoriſche, Römiſche, das durch Zweckmäßig-
keitsrückſichten oder andere Einflüſſe Bedingte in dieſen Begriffen
nachzuweiſen und damit einen Maßſtab zu gewinnen für ihren
Werth, iſt eine der Hauptaufgaben der folgenden Unterſuchungen.
Machen wir uns zunächſt klar, worauf der Bann beruht.

Er läßt ſich mit einem Worte bezeichnen. Es iſt das Blend-
werk der juriſtiſchen Dialektik, welche dem Poſitiven den Nim-

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[299/0315] Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59. Hat denn aber unſere moderne Jurisprudenz dies nicht be- reits längſt gethan? An Zeit hat es ihr doch wahrlich nicht ge- fehlt! Ich muß mir gefallen laſſen der Anmaßung bezüchtigt zu werden, aber ich kann nicht anders als ſagen: in dieſer Rich- tung hat ſie ſo gut wie Nichts geleiſtet. Es hat mich bei den Unterſuchungen, die ich im Folgenden anſtellen werde, kaum je das Gefühl verlaſſen, daß ich meinen Fuß auf völlig unbetretenes Land ſetzte, daß hier Lager verborgen liegen, von deren Reich- thum wir bisher kaum eine Ahnung gehabt, und von denen es mir begreiflicherweiſe nur beſchieden ſein wird, den kleinſten Theil zu heben und auch dieſen ſicherlich verſetzt mit vielen Schlacken. Die hiſtoriſche Jurisprudenz hält regelmäßig ihre Aufgabe für gelöſt, wenn ſie das Aeußere der hiſtoriſchen Erſcheinung ermit- telt hat; wo die Quellen aufhören, glaubt auch ſie aufhören zu müſſen, über das Aeußere gehen aber, wie bemerkt, die Quellen ſelber ſelten hinaus. Der Rechtsphiloſophie dagegen, welche den Beruf gehabt hätte ins Innere zu dringen, iſt jene Aufgabe zu hiſtoriſch, und man kann jedenfalls dem Philoſophen von Fach keinen Vorwurf daraus machen, daß er ſich rückſichtlich des poſitiven und juriſtiſchen Materials auf den Juriſten verläßt. Dieſe ſeine Abhängigkeit von Letzterem hat freilich für die Rechts- philoſophie böſe Früchte getragen, der geiſtige Bann, mit dem das römiſche Recht uns poſitive Juriſten ſo leicht beſtrickt, hat ſich auch auf ſie mit ausgedehnt, indem ſie Begriffe, denen der Juriſt einmal gewohnt iſt, eine abſolute Wahrheit zuzuſchreiben, wie z. B. dem des römiſchen Eigenthums, in derſelben Eigen- ſchaft gläubig aus ſeiner Hand entgegennahm. Dieſen Bann zu brechen, das Hiſtoriſche, Römiſche, das durch Zweckmäßig- keitsrückſichten oder andere Einflüſſe Bedingte in dieſen Begriffen nachzuweiſen und damit einen Maßſtab zu gewinnen für ihren Werth, iſt eine der Hauptaufgaben der folgenden Unterſuchungen. Machen wir uns zunächſt klar, worauf der Bann beruht. Er läßt ſich mit einem Worte bezeichnen. Es iſt das Blend- werk der juriſtiſchen Dialektik, welche dem Poſitiven den Nim-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/315>, abgerufen am 21.11.2024.