Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. bus des Logischen zu geben versteht, welche, indem sie dasVorhandene vor unserm Urtheil als vernünftig zu rechtfertigen sucht, dabei nicht den Weg einschlägt, daß sie die historische, praktische oder ethische Berechtigung desselben nachweist, sondern den, daß sie mit Hülfe von Gesichtspunkten, die erst für diesen Zweck erfunden sind, die logische Nothwendigkeit desselben darzuthun versucht. Es hat einmal etwas höchst Ver- lockendes, ja man möchte sagen es ist eine im Wesen der Juris- prudenz selber tief begründete Versuchung, daß sie den realen Mächten gegenüber, mit denen sie sich in die Schöpfung des Rechts zu theilen hat, die Autonomie des juristischen Denkens zur möglichsten Geltung zu bringen und auch das Positive zur idealen Höhe einer logischjuristischen Wahrheit zu erheben sucht. Gerade in der Gegenwart hat diese Richtung einen höchst be- denklichen Grad erreicht -- bedenklich aus dem Grunde, weil diese Scheinbegründung, diese logische Selbsttäuschung von den wahren Quellen, in denen die letzten Gründe der Rechtssätze zu suchen, und damit vom wahren Verständniß des Rechts über- haupt abführt. Sollte man doch nach manchen neuern Erschei- nungen fast glauben, als sei das Recht im Wesentlichen nichts als eine Schöpfung der juristischen Dialektik, zu deren Ver- ständniß praktische Anschauungen überall nicht nöthig seien, ein Tummelplatz für die Fanatiker des Gedankens. Geblendet durch den Glanz des Logischen, der das römische Recht bedeckt und jedem, der sich ihm naht, zuerst in die Augen fällt, wird das Wahrnehmungsvermögen des Auges, wenn nicht die frische Luft des Lebens es wieder kräftigt, nur zu leicht für alles an- dere abgestumpft; statt der wirklichen Welt, in der die realen Mächte des Lebens regieren, erblickt es ausschließlich nur noch die Fata Morgana einer Welt, in der der abstracte Gedanke das Scepter führt. Da schwingt sich denn der Begriff zur Rolle des Demiurgen auf: Er hat die Welt des Rechts ge- macht, Er regiert sie. An die Stelle der realen Kräfte, welche im Schooße des Rechts walten, setzt sich die Dialektik des Be- Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. bus des Logiſchen zu geben verſteht, welche, indem ſie dasVorhandene vor unſerm Urtheil als vernünftig zu rechtfertigen ſucht, dabei nicht den Weg einſchlägt, daß ſie die hiſtoriſche, praktiſche oder ethiſche Berechtigung deſſelben nachweiſt, ſondern den, daß ſie mit Hülfe von Geſichtspunkten, die erſt für dieſen Zweck erfunden ſind, die logiſche Nothwendigkeit deſſelben darzuthun verſucht. Es hat einmal etwas höchſt Ver- lockendes, ja man möchte ſagen es iſt eine im Weſen der Juris- prudenz ſelber tief begründete Verſuchung, daß ſie den realen Mächten gegenüber, mit denen ſie ſich in die Schöpfung des Rechts zu theilen hat, die Autonomie des juriſtiſchen Denkens zur möglichſten Geltung zu bringen und auch das Poſitive zur idealen Höhe einer logiſchjuriſtiſchen Wahrheit zu erheben ſucht. Gerade in der Gegenwart hat dieſe Richtung einen höchſt be- denklichen Grad erreicht — bedenklich aus dem Grunde, weil dieſe Scheinbegründung, dieſe logiſche Selbſttäuſchung von den wahren Quellen, in denen die letzten Gründe der Rechtsſätze zu ſuchen, und damit vom wahren Verſtändniß des Rechts über- haupt abführt. Sollte man doch nach manchen neuern Erſchei- nungen faſt glauben, als ſei das Recht im Weſentlichen nichts als eine Schöpfung der juriſtiſchen Dialektik, zu deren Ver- ſtändniß praktiſche Anſchauungen überall nicht nöthig ſeien, ein Tummelplatz für die Fanatiker des Gedankens. Geblendet durch den Glanz des Logiſchen, der das römiſche Recht bedeckt und jedem, der ſich ihm naht, zuerſt in die Augen fällt, wird das Wahrnehmungsvermögen des Auges, wenn nicht die friſche Luft des Lebens es wieder kräftigt, nur zu leicht für alles an- dere abgeſtumpft; ſtatt der wirklichen Welt, in der die realen Mächte des Lebens regieren, erblickt es ausſchließlich nur noch die Fata Morgana einer Welt, in der der abſtracte Gedanke das Scepter führt. Da ſchwingt ſich denn der Begriff zur Rolle des Demiurgen auf: Er hat die Welt des Rechts ge- macht, Er regiert ſie. An die Stelle der realen Kräfte, welche im Schooße des Rechts walten, ſetzt ſich die Dialektik des Be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0316" n="300"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. 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Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
bus des Logiſchen zu geben verſteht, welche, indem ſie das
Vorhandene vor unſerm Urtheil als vernünftig zu rechtfertigen
ſucht, dabei nicht den Weg einſchlägt, daß ſie die hiſtoriſche,
praktiſche oder ethiſche Berechtigung deſſelben nachweiſt,
ſondern den, daß ſie mit Hülfe von Geſichtspunkten, die erſt
für dieſen Zweck erfunden ſind, die logiſche Nothwendigkeit
deſſelben darzuthun verſucht. Es hat einmal etwas höchſt Ver-
lockendes, ja man möchte ſagen es iſt eine im Weſen der Juris-
prudenz ſelber tief begründete Verſuchung, daß ſie den realen
Mächten gegenüber, mit denen ſie ſich in die Schöpfung des
Rechts zu theilen hat, die Autonomie des juriſtiſchen Denkens
zur möglichſten Geltung zu bringen und auch das Poſitive zur
idealen Höhe einer logiſchjuriſtiſchen Wahrheit zu erheben ſucht.
Gerade in der Gegenwart hat dieſe Richtung einen höchſt be-
denklichen Grad erreicht — bedenklich aus dem Grunde, weil
dieſe Scheinbegründung, dieſe logiſche Selbſttäuſchung von den
wahren Quellen, in denen die letzten Gründe der Rechtsſätze zu
ſuchen, und damit vom wahren Verſtändniß des Rechts über-
haupt abführt. Sollte man doch nach manchen neuern Erſchei-
nungen faſt glauben, als ſei das Recht im Weſentlichen nichts
als eine Schöpfung der juriſtiſchen Dialektik, zu deren Ver-
ſtändniß praktiſche Anſchauungen überall nicht nöthig ſeien,
ein Tummelplatz für die Fanatiker des Gedankens. Geblendet
durch den Glanz des Logiſchen, der das römiſche Recht bedeckt
und jedem, der ſich ihm naht, zuerſt in die Augen fällt, wird
das Wahrnehmungsvermögen des Auges, wenn nicht die friſche
Luft des Lebens es wieder kräftigt, nur zu leicht für alles an-
dere abgeſtumpft; ſtatt der wirklichen Welt, in der die realen
Mächte des Lebens regieren, erblickt es ausſchließlich nur noch
die Fata Morgana einer Welt, in der der abſtracte Gedanke
das Scepter führt. Da ſchwingt ſich denn der Begriff zur
Rolle des Demiurgen auf: Er hat die Welt des Rechts ge-
macht, Er regiert ſie. An die Stelle der realen Kräfte, welche
im Schooße des Rechts walten, ſetzt ſich die Dialektik des Be-
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