Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Die Aufgabe -- Antheil der juristischen Logik am Recht. §. 59. die Begriffe sind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, son-dern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen, möge es logisch nothwendig oder unmöglich sein. Die Römer hätten verdient in Abdera zu wohnen, wenn sie es je anders gehalten, die Interessen des Lebens der Schul- dialektik zum Opfer gebracht hätten. Aber, wird man mir einwenden, die römischen Juristen selber 432) L. 7 de R. J. (50. 17) .. earumque rerum naturaliter inter se
pugna est. Beim Soldatentestament setzte man sich bekanntlich über diese naturalis pugna hinweg! Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59. die Begriffe ſind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, ſon-dern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl poſtulirt, hat zu geſchehen, möge es logiſch nothwendig oder unmöglich ſein. Die Römer hätten verdient in Abdera zu wohnen, wenn ſie es je anders gehalten, die Intereſſen des Lebens der Schul- dialektik zum Opfer gebracht hätten. Aber, wird man mir einwenden, die römiſchen Juriſten ſelber 432) L. 7 de R. J. (50. 17) .. earumque rerum naturaliter inter se
pugna est. Beim Soldatenteſtament ſetzte man ſich bekanntlich über dieſe naturalis pugna hinweg! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0319" n="303"/><fw place="top" type="header">Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.</fw><lb/> die Begriffe ſind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, ſon-<lb/> dern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl poſtulirt,<lb/> hat zu geſchehen, möge es logiſch nothwendig oder unmöglich<lb/> ſein. Die Römer hätten verdient in Abdera zu wohnen, wenn<lb/> ſie es je anders gehalten, die Intereſſen des Lebens der Schul-<lb/> dialektik zum Opfer gebracht hätten.</p><lb/> <p>Aber, wird man mir einwenden, die römiſchen Juriſten ſelber<lb/> operiren doch nicht ſelten mit dem Geſichtspunkt der logiſchen<lb/> Nothwendigkeit und Unmöglichkeit. Gewiß! Allein welche Be-<lb/> wandniß hatte es damit? Für den Schulgebrauch iſt es ganz<lb/> bequem, ſtatt der ausführlichen Darlegung der Verhältniſſe oder<lb/> der praktiſchen Gründe, denen ein Rechtsſatz <hi rendition="#g">wirklich</hi> ſeinen<lb/> Urſprung verdankt, einen Geſichtspunkt auszudenken, dem er ſich<lb/> als logiſche Conſequenz unterordnet, er gewinnt damit einen ge-<lb/> wiſſen Nimbus und prägt ſich leichter dem Gedächtniß ein, und<lb/> in dieſem Sinn wollen wir uns derartige Deductionen der römi-<lb/> ſchen Juriſten gern gefallen laſſen. Nur verlange man nicht, daß<lb/> wir in den Geſichtspunkten, die ſie zu dem Zweck hie und da<lb/> aufſtellen, den wirklichen Grund der Rechtsſätze und Begriffe<lb/> erblicken. Es ſind Rechenpfennige, Zahlmarken — ganz geeignet<lb/> für den Zweck, dem ſie dienen ſollen, aber nicht wirkliches Geld.<lb/> Immerhin möge alſo Pomponius den Satz: <hi rendition="#aq">nemo pro parte<lb/> testatus, pro parte intestatus decedere potest</hi> aus der natür-<lb/> lichen Unvereinbarkeit der beiden Begriffe der teſtamentariſchen<lb/> und Inteſtaterbfolge erklären,<note place="foot" n="432)"><hi rendition="#aq">L. 7 de R. J. (50. 17) .. earumque rerum naturaliter inter se<lb/> pugna est.</hi> Beim Soldatenteſtament ſetzte man ſich bekanntlich über dieſe<lb/><hi rendition="#aq">naturalis pugna</hi> hinweg!</note> nur ſoll uns Niemand glau-<lb/> ben machen, daß ein Geſichtspunkt, der erſt jenem Satz zu Liebe<lb/> erfunden iſt, und auf den kein Menſch verfallen würde, der den<lb/> Satz ſelber nicht kennt, den hiſtoriſchen Grund deſſelben ent-<lb/> halte. Sich bei einem ſolchen Geſichtspunkt beruhigen, und gar<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [303/0319]
Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.
die Begriffe ſind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, ſon-
dern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl poſtulirt,
hat zu geſchehen, möge es logiſch nothwendig oder unmöglich
ſein. Die Römer hätten verdient in Abdera zu wohnen, wenn
ſie es je anders gehalten, die Intereſſen des Lebens der Schul-
dialektik zum Opfer gebracht hätten.
Aber, wird man mir einwenden, die römiſchen Juriſten ſelber
operiren doch nicht ſelten mit dem Geſichtspunkt der logiſchen
Nothwendigkeit und Unmöglichkeit. Gewiß! Allein welche Be-
wandniß hatte es damit? Für den Schulgebrauch iſt es ganz
bequem, ſtatt der ausführlichen Darlegung der Verhältniſſe oder
der praktiſchen Gründe, denen ein Rechtsſatz wirklich ſeinen
Urſprung verdankt, einen Geſichtspunkt auszudenken, dem er ſich
als logiſche Conſequenz unterordnet, er gewinnt damit einen ge-
wiſſen Nimbus und prägt ſich leichter dem Gedächtniß ein, und
in dieſem Sinn wollen wir uns derartige Deductionen der römi-
ſchen Juriſten gern gefallen laſſen. Nur verlange man nicht, daß
wir in den Geſichtspunkten, die ſie zu dem Zweck hie und da
aufſtellen, den wirklichen Grund der Rechtsſätze und Begriffe
erblicken. Es ſind Rechenpfennige, Zahlmarken — ganz geeignet
für den Zweck, dem ſie dienen ſollen, aber nicht wirkliches Geld.
Immerhin möge alſo Pomponius den Satz: nemo pro parte
testatus, pro parte intestatus decedere potest aus der natür-
lichen Unvereinbarkeit der beiden Begriffe der teſtamentariſchen
und Inteſtaterbfolge erklären, 432) nur ſoll uns Niemand glau-
ben machen, daß ein Geſichtspunkt, der erſt jenem Satz zu Liebe
erfunden iſt, und auf den kein Menſch verfallen würde, der den
Satz ſelber nicht kennt, den hiſtoriſchen Grund deſſelben ent-
halte. Sich bei einem ſolchen Geſichtspunkt beruhigen, und gar
432) L. 7 de R. J. (50. 17) .. earumque rerum naturaliter inter se
pugna est. Beim Soldatenteſtament ſetzte man ſich bekanntlich über dieſe
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