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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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A. Der Proceß. Unzulässigkeit der Klagencumulation. §. 51.
bedeutete einen besondern Proceß, nicht also, wie bei uns,
bloß ein materielles Klagerecht. Die Unterscheidung der vor-
handenen Klagen im einzelnen Fall hat auch für uns ein hohes
Interesse, aber regelmäßig nur das der richtigen materiellen
Classification und Beurtheilung des Anspruchs, nicht aber ein
processualisches, denn unser heutiger Proceß verstattet die Cumu-
lation mehrer Klagen in einem Proceß. Während er sie nun
selbst da zuläßt, wo die mehren Klagen in gar keinem innern
oder äußern Nexus stehen, z. B. wo sie sich auf völlig verschie-
dene Gründe stützen und völlig verschiedene Zwecke verfolgen,
schließt der römische Proceß die Cumulation selbst da aus, wo
zwischen den mehren Klagen die engste Verwandtschaft besteht.
Er behandelt die Klagen nicht wie wir, bloß als materiell recht-
liche Begriffe, als Klagrechte, sondern als processualische
Individuen
, die auch da, wo sie mit andern zusammentreffen,
ihre Individualität behaupten und bethätigen.

Mit dieser Behauptung steht die herrschende Lehre in Wider-
spruch, welche eine Klagencumulation schon nach römischem
Recht für zulässig erklärt. Die Stellen, auf die sie sich beruft,
sprechen zum Theil von der gleich zeitigen Anstellung mehrer
Klagen und Ueberweisung derselben an einen und denselben
Richter, allein so wenig wie heutzutage die gleichzeitige Erhe-
bung mehrer Klagen vor einem und demselben Richter, wenn
sie durch ebensoviel verschiedene Akte erfolgt, als Klagen vor-
handen sind, unter den Gesichtspunkt der Cumulation fällt,
ebensowenig im römischen Proceß. Die verschiedenen Klagen
schmolzen hier wegen der bloßen Identität des Richters und der
Partheien nicht zu einem Proceß zusammen, 15) sondern jede

15) Wenn Plank Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten S. 67 sich im ent-
gegengesetzten Sinn ausdrückt, so ist das nur eine Verschiedenheit des Aus-
drucks
, denn er selbst erkennt S. 69 an, "daß die Verbindung an der juri-
stischen
Beurtheilung jedes einzelnen Rechtsstreites nichts ändere, vielmehr
nur factisch gewisse Vortheile gewähre."
Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 3

A. Der Proceß. Unzuläſſigkeit der Klagencumulation. §. 51.
bedeutete einen beſondern Proceß, nicht alſo, wie bei uns,
bloß ein materielles Klagerecht. Die Unterſcheidung der vor-
handenen Klagen im einzelnen Fall hat auch für uns ein hohes
Intereſſe, aber regelmäßig nur das der richtigen materiellen
Claſſification und Beurtheilung des Anſpruchs, nicht aber ein
proceſſualiſches, denn unſer heutiger Proceß verſtattet die Cumu-
lation mehrer Klagen in einem Proceß. Während er ſie nun
ſelbſt da zuläßt, wo die mehren Klagen in gar keinem innern
oder äußern Nexus ſtehen, z. B. wo ſie ſich auf völlig verſchie-
dene Gründe ſtützen und völlig verſchiedene Zwecke verfolgen,
ſchließt der römiſche Proceß die Cumulation ſelbſt da aus, wo
zwiſchen den mehren Klagen die engſte Verwandtſchaft beſteht.
Er behandelt die Klagen nicht wie wir, bloß als materiell recht-
liche Begriffe, als Klagrechte, ſondern als proceſſualiſche
Individuen
, die auch da, wo ſie mit andern zuſammentreffen,
ihre Individualität behaupten und bethätigen.

Mit dieſer Behauptung ſteht die herrſchende Lehre in Wider-
ſpruch, welche eine Klagencumulation ſchon nach römiſchem
Recht für zuläſſig erklärt. Die Stellen, auf die ſie ſich beruft,
ſprechen zum Theil von der gleich zeitigen Anſtellung mehrer
Klagen und Ueberweiſung derſelben an einen und denſelben
Richter, allein ſo wenig wie heutzutage die gleichzeitige Erhe-
bung mehrer Klagen vor einem und demſelben Richter, wenn
ſie durch ebenſoviel verſchiedene Akte erfolgt, als Klagen vor-
handen ſind, unter den Geſichtspunkt der Cumulation fällt,
ebenſowenig im römiſchen Proceß. Die verſchiedenen Klagen
ſchmolzen hier wegen der bloßen Identität des Richters und der
Partheien nicht zu einem Proceß zuſammen, 15) ſondern jede

15) Wenn Plank Mehrheit der Rechtsſtreitigkeiten S. 67 ſich im ent-
gegengeſetzten Sinn ausdrückt, ſo iſt das nur eine Verſchiedenheit des Aus-
drucks
, denn er ſelbſt erkennt S. 69 an, „daß die Verbindung an der juri-
ſtiſchen
Beurtheilung jedes einzelnen Rechtsſtreites nichts ändere, vielmehr
nur factiſch gewiſſe Vortheile gewähre.“
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 3
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[33/0049] A. Der Proceß. Unzuläſſigkeit der Klagencumulation. §. 51. bedeutete einen beſondern Proceß, nicht alſo, wie bei uns, bloß ein materielles Klagerecht. Die Unterſcheidung der vor- handenen Klagen im einzelnen Fall hat auch für uns ein hohes Intereſſe, aber regelmäßig nur das der richtigen materiellen Claſſification und Beurtheilung des Anſpruchs, nicht aber ein proceſſualiſches, denn unſer heutiger Proceß verſtattet die Cumu- lation mehrer Klagen in einem Proceß. Während er ſie nun ſelbſt da zuläßt, wo die mehren Klagen in gar keinem innern oder äußern Nexus ſtehen, z. B. wo ſie ſich auf völlig verſchie- dene Gründe ſtützen und völlig verſchiedene Zwecke verfolgen, ſchließt der römiſche Proceß die Cumulation ſelbſt da aus, wo zwiſchen den mehren Klagen die engſte Verwandtſchaft beſteht. Er behandelt die Klagen nicht wie wir, bloß als materiell recht- liche Begriffe, als Klagrechte, ſondern als proceſſualiſche Individuen, die auch da, wo ſie mit andern zuſammentreffen, ihre Individualität behaupten und bethätigen. Mit dieſer Behauptung ſteht die herrſchende Lehre in Wider- ſpruch, welche eine Klagencumulation ſchon nach römiſchem Recht für zuläſſig erklärt. Die Stellen, auf die ſie ſich beruft, ſprechen zum Theil von der gleich zeitigen Anſtellung mehrer Klagen und Ueberweiſung derſelben an einen und denſelben Richter, allein ſo wenig wie heutzutage die gleichzeitige Erhe- bung mehrer Klagen vor einem und demſelben Richter, wenn ſie durch ebenſoviel verſchiedene Akte erfolgt, als Klagen vor- handen ſind, unter den Geſichtspunkt der Cumulation fällt, ebenſowenig im römiſchen Proceß. Die verſchiedenen Klagen ſchmolzen hier wegen der bloßen Identität des Richters und der Partheien nicht zu einem Proceß zuſammen, 15) ſondern jede 15) Wenn Plank Mehrheit der Rechtsſtreitigkeiten S. 67 ſich im ent- gegengeſetzten Sinn ausdrückt, ſo iſt das nur eine Verſchiedenheit des Aus- drucks, denn er ſelbſt erkennt S. 69 an, „daß die Verbindung an der juri- ſtiſchen Beurtheilung jedes einzelnen Rechtsſtreites nichts ändere, vielmehr nur factiſch gewiſſe Vortheile gewähre.“ Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 3

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/49>, abgerufen am 21.11.2024.