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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
zu den oben S. 29 charakterisirten gehört, und in der ein Jurist
der guten alten Zeit einen nicht geringeren Verstoß gegen die
Elementarbegriffe seiner Kunst gefunden haben würde, als ein
musikalischer Purist des vorigen Jahrhunderts in Quintengängen
und so vielen musikalischen Freiheiten, welche die neuern Musiker
sich herausnehmen. Man könnte mir den Einwand machen,
warum das ältere Recht nicht wenigstens da, wo jene beiden
Ansprüche zufälligerweise ganz zusammenfielen, verstattet habe,
sie in einer Klage geltend zu machen. Als Antwort diene:
erstens daß die Frage: ob sie zusammenfallen, erst im Proceß
selbst festgestellt werden kann, und sodann, daß, wenn man die
Scheidung der Klagen von dem zufälligen Zusammen-
oder Auseinanderfallen hätte abhängig machen wollen, der
Zweck und Grundgedanke des Klagensystems vereitelt worden
wäre; denn derselbe besteht ja gerade darin, daß da, wo im ein-
zelnen Falle mehre Ansprüche zusammentreffen, das strenge Aus-
einanderhalten der materiellen Gesichtspunkte durch proces-
sualische
Scheidung derselben gesichert werden soll.

Ein anderes Beispiel möge dies unterstützen. Bekanntlich ist
ein Miteigenthum ohne Societät und eine Societät ohne Mit-
eigenthum möglich, oder in der Sprache der Klagen aus-
gedrückt: es gibt außer der act. pro socio noch eine act. com-
muni dividundo.
Wenn nun beide Rechtsverhältnisse in den-
selben Personen zusammentreffen, begründet durch einen und
denselben Akt der Eingehung der Societät, so könnte man glau-
ben, daß eine Klage dafür ausreiche. Allein angenommen,
man hätte sich dafür entschieden, so wäre man, wenn der eine
von beiden Miteigenthümern seinen Antheil veräußert hätte,
sofort wieder in die Nothwendigkeit versetzt worden, zwei Kla-
gen zuzulassen, denn der Anspruch auf Theilung (die act. comm.
div.
) geht activ und passiv auf den Singularsuccessor über,
während Recht und Verbindlichkeit aus dem Societätsvertrag
(die act. pro socio) bei dem Gesellschafter verbleibt. Jeder die-
ser beiden Ansprüche geht seine eignen Wege und hat seine eigne

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
zu den oben S. 29 charakteriſirten gehört, und in der ein Juriſt
der guten alten Zeit einen nicht geringeren Verſtoß gegen die
Elementarbegriffe ſeiner Kunſt gefunden haben würde, als ein
muſikaliſcher Puriſt des vorigen Jahrhunderts in Quintengängen
und ſo vielen muſikaliſchen Freiheiten, welche die neuern Muſiker
ſich herausnehmen. Man könnte mir den Einwand machen,
warum das ältere Recht nicht wenigſtens da, wo jene beiden
Anſprüche zufälligerweiſe ganz zuſammenfielen, verſtattet habe,
ſie in einer Klage geltend zu machen. Als Antwort diene:
erſtens daß die Frage: ob ſie zuſammenfallen, erſt im Proceß
ſelbſt feſtgeſtellt werden kann, und ſodann, daß, wenn man die
Scheidung der Klagen von dem zufälligen Zuſammen-
oder Auseinanderfallen hätte abhängig machen wollen, der
Zweck und Grundgedanke des Klagenſyſtems vereitelt worden
wäre; denn derſelbe beſteht ja gerade darin, daß da, wo im ein-
zelnen Falle mehre Anſprüche zuſammentreffen, das ſtrenge Aus-
einanderhalten der materiellen Geſichtspunkte durch proceſ-
ſualiſche
Scheidung derſelben geſichert werden ſoll.

Ein anderes Beiſpiel möge dies unterſtützen. Bekanntlich iſt
ein Miteigenthum ohne Societät und eine Societät ohne Mit-
eigenthum möglich, oder in der Sprache der Klagen aus-
gedrückt: es gibt außer der act. pro socio noch eine act. com-
muni dividundo.
Wenn nun beide Rechtsverhältniſſe in den-
ſelben Perſonen zuſammentreffen, begründet durch einen und
denſelben Akt der Eingehung der Societät, ſo könnte man glau-
ben, daß eine Klage dafür ausreiche. Allein angenommen,
man hätte ſich dafür entſchieden, ſo wäre man, wenn der eine
von beiden Miteigenthümern ſeinen Antheil veräußert hätte,
ſofort wieder in die Nothwendigkeit verſetzt worden, zwei Kla-
gen zuzulaſſen, denn der Anſpruch auf Theilung (die act. comm.
div.
) geht activ und paſſiv auf den Singularſucceſſor über,
während Recht und Verbindlichkeit aus dem Societätsvertrag
(die act. pro socio) bei dem Geſellſchafter verbleibt. Jeder die-
ſer beiden Anſprüche geht ſeine eignen Wege und hat ſeine eigne

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[42/0058] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. zu den oben S. 29 charakteriſirten gehört, und in der ein Juriſt der guten alten Zeit einen nicht geringeren Verſtoß gegen die Elementarbegriffe ſeiner Kunſt gefunden haben würde, als ein muſikaliſcher Puriſt des vorigen Jahrhunderts in Quintengängen und ſo vielen muſikaliſchen Freiheiten, welche die neuern Muſiker ſich herausnehmen. Man könnte mir den Einwand machen, warum das ältere Recht nicht wenigſtens da, wo jene beiden Anſprüche zufälligerweiſe ganz zuſammenfielen, verſtattet habe, ſie in einer Klage geltend zu machen. Als Antwort diene: erſtens daß die Frage: ob ſie zuſammenfallen, erſt im Proceß ſelbſt feſtgeſtellt werden kann, und ſodann, daß, wenn man die Scheidung der Klagen von dem zufälligen Zuſammen- oder Auseinanderfallen hätte abhängig machen wollen, der Zweck und Grundgedanke des Klagenſyſtems vereitelt worden wäre; denn derſelbe beſteht ja gerade darin, daß da, wo im ein- zelnen Falle mehre Anſprüche zuſammentreffen, das ſtrenge Aus- einanderhalten der materiellen Geſichtspunkte durch proceſ- ſualiſche Scheidung derſelben geſichert werden ſoll. Ein anderes Beiſpiel möge dies unterſtützen. Bekanntlich iſt ein Miteigenthum ohne Societät und eine Societät ohne Mit- eigenthum möglich, oder in der Sprache der Klagen aus- gedrückt: es gibt außer der act. pro socio noch eine act. com- muni dividundo. Wenn nun beide Rechtsverhältniſſe in den- ſelben Perſonen zuſammentreffen, begründet durch einen und denſelben Akt der Eingehung der Societät, ſo könnte man glau- ben, daß eine Klage dafür ausreiche. Allein angenommen, man hätte ſich dafür entſchieden, ſo wäre man, wenn der eine von beiden Miteigenthümern ſeinen Antheil veräußert hätte, ſofort wieder in die Nothwendigkeit verſetzt worden, zwei Kla- gen zuzulaſſen, denn der Anſpruch auf Theilung (die act. comm. div.) geht activ und paſſiv auf den Singularſucceſſor über, während Recht und Verbindlichkeit aus dem Societätsvertrag (die act. pro socio) bei dem Geſellſchafter verbleibt. Jeder die- ſer beiden Anſprüche geht ſeine eignen Wege und hat ſeine eigne

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/58>, abgerufen am 24.11.2024.