Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

sen, als die Abc-Schüler und die am Buchstabiren waren; die-
ser Theil des Schulamts war Stilling viel zu langweilig.
Des Sonntags Morgens versammelten sich die Schulkinder
um ihren angenehmen Lehrer, und so wanderte er mit seinem
Gefolge unter den schönsten Erzählungen nach Florenburg
in die Kirche, und nach der Predigt in eben der Ordnung wie-
der nach Haus.

Die Zellberger waren indessen mit Stilling recht gut
zufrieden, sie sahen, daß ihre Kinder lernten, ohne viel ge-
züchtigt zu werden; verschiedene hatten sogar ihre Freude an
all den schönen Geschichten, welche ihnen ihre Kinder zu er-
zählen wußten. Besonders liebte ihn Krüger außerordent-
lich, denn er konnte Vieles mit ihm aus dem Paralacelsus
reden (so sprach der Jäger das Wort Paracelsus aus);
er hatte eine altdeutsche Uebersetzung seiner Schriften, und
da er ein sklavischer Verehrer aller der Männer war, von de-
nen er glaubte, daß sie den Stein Lapis gehabt hätten, so
waren ihm Jakob Böhms, Graf Bernhards und des
Paracelsus Schriften große Heiligthümer. Stilling
selber fand Geschmack darinnen, nicht blos wegen des Steins
der Weisen, sondern weil er ganz hohe und herrliche Begriffe,
besonders im Böhm, zu finden glaubte; wenn sie das Wort:
Rad der ewigen Essenzien oder auch schielen der
Blitz
und andre mehr aussprachen, so empfanden sie eine
ganz besondere Erhebung des Gemüths. Ganze Stunden lang
forschten sie in magischen Figuren, bis sie manchmal Anfang
und Ende verloren und meinten, die vor ihnen liegenden Zau-
berbilder lebten und bewegten sich; das war dann so rechte
Seelenfreude, im Taumel groteske Ideen zu haben und leb-
haft zu empfinden.

Allein dieses paradiesische Leben war von kurzer Dauer. Herr
Pastor Stollbein und Herr Förster Krüger waren Todt-
feinde. Dieses kam daher: Stollbein war ein unumschränk-
ter Monarsch in seinem Kirchspiel; sein geheimes Raths-
Collegium, ich meine das Consistorium, bestand aus lauter
Männern, die er selber angeordnet hatte und von denen er
voraus wußte, daß sie einfältig genug waren, immer Ja zu

ſen, als die Abc-Schuͤler und die am Buchſtabiren waren; die-
ſer Theil des Schulamts war Stilling viel zu langweilig.
Des Sonntags Morgens verſammelten ſich die Schulkinder
um ihren angenehmen Lehrer, und ſo wanderte er mit ſeinem
Gefolge unter den ſchoͤnſten Erzaͤhlungen nach Florenburg
in die Kirche, und nach der Predigt in eben der Ordnung wie-
der nach Haus.

Die Zellberger waren indeſſen mit Stilling recht gut
zufrieden, ſie ſahen, daß ihre Kinder lernten, ohne viel ge-
zuͤchtigt zu werden; verſchiedene hatten ſogar ihre Freude an
all den ſchoͤnen Geſchichten, welche ihnen ihre Kinder zu er-
zaͤhlen wußten. Beſonders liebte ihn Kruͤger außerordent-
lich, denn er konnte Vieles mit ihm aus dem Paralacelſus
reden (ſo ſprach der Jaͤger das Wort Paracelſus aus);
er hatte eine altdeutſche Ueberſetzung ſeiner Schriften, und
da er ein ſklaviſcher Verehrer aller der Maͤnner war, von de-
nen er glaubte, daß ſie den Stein Lapis gehabt haͤtten, ſo
waren ihm Jakob Boͤhms, Graf Bernhards und des
Paracelſus Schriften große Heiligthuͤmer. Stilling
ſelber fand Geſchmack darinnen, nicht blos wegen des Steins
der Weiſen, ſondern weil er ganz hohe und herrliche Begriffe,
beſonders im Boͤhm, zu finden glaubte; wenn ſie das Wort:
Rad der ewigen Eſſenzien oder auch ſchielen der
Blitz
und andre mehr ausſprachen, ſo empfanden ſie eine
ganz beſondere Erhebung des Gemuͤths. Ganze Stunden lang
forſchten ſie in magiſchen Figuren, bis ſie manchmal Anfang
und Ende verloren und meinten, die vor ihnen liegenden Zau-
berbilder lebten und bewegten ſich; das war dann ſo rechte
Seelenfreude, im Taumel groteske Ideen zu haben und leb-
haft zu empfinden.

Allein dieſes paradieſiſche Leben war von kurzer Dauer. Herr
Paſtor Stollbein und Herr Foͤrſter Kruͤger waren Todt-
feinde. Dieſes kam daher: Stollbein war ein unumſchraͤnk-
ter Monarſch in ſeinem Kirchſpiel; ſein geheimes Raths-
Collegium, ich meine das Conſiſtorium, beſtand aus lauter
Maͤnnern, die er ſelber angeordnet hatte und von denen er
voraus wußte, daß ſie einfaͤltig genug waren, immer Ja zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0125" n="117"/>
&#x017F;en, als die Abc-Schu&#x0364;ler und die am Buch&#x017F;tabiren waren; die-<lb/>
&#x017F;er Theil des Schulamts war <hi rendition="#g">Stilling</hi> viel zu langweilig.<lb/>
Des Sonntags Morgens ver&#x017F;ammelten &#x017F;ich die Schulkinder<lb/>
um ihren angenehmen Lehrer, und &#x017F;o wanderte er mit &#x017F;einem<lb/>
Gefolge unter den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Erza&#x0364;hlungen nach <hi rendition="#g">Florenburg</hi><lb/>
in die Kirche, und nach der Predigt in eben der Ordnung wie-<lb/>
der nach Haus.</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#g">Zellberger</hi> waren inde&#x017F;&#x017F;en mit <hi rendition="#g">Stilling</hi> recht gut<lb/>
zufrieden, &#x017F;ie &#x017F;ahen, daß ihre Kinder lernten, ohne viel ge-<lb/>
zu&#x0364;chtigt zu werden; ver&#x017F;chiedene hatten &#x017F;ogar ihre Freude an<lb/>
all den &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;chichten, welche ihnen ihre Kinder zu er-<lb/>
za&#x0364;hlen wußten. Be&#x017F;onders liebte ihn <hi rendition="#g">Kru&#x0364;ger</hi> außerordent-<lb/>
lich, denn er konnte Vieles mit ihm aus dem <hi rendition="#g">Paralacel&#x017F;us</hi><lb/>
reden (&#x017F;o &#x017F;prach der Ja&#x0364;ger das Wort <hi rendition="#g">Paracel&#x017F;us</hi> aus);<lb/>
er hatte eine altdeut&#x017F;che Ueber&#x017F;etzung &#x017F;einer Schriften, und<lb/>
da er ein &#x017F;klavi&#x017F;cher Verehrer aller der Ma&#x0364;nner war, von de-<lb/>
nen er glaubte, daß &#x017F;ie den Stein <hi rendition="#aq">Lapis</hi> gehabt ha&#x0364;tten, &#x017F;o<lb/>
waren ihm <hi rendition="#g">Jakob Bo&#x0364;hms</hi>, Graf <hi rendition="#g">Bernhards</hi> und des<lb/><hi rendition="#g">Paracel&#x017F;us</hi> Schriften große Heiligthu&#x0364;mer. <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
&#x017F;elber fand Ge&#x017F;chmack darinnen, nicht blos wegen des Steins<lb/>
der Wei&#x017F;en, &#x017F;ondern weil er ganz hohe und herrliche Begriffe,<lb/>
be&#x017F;onders im <hi rendition="#g">Bo&#x0364;hm</hi>, zu finden glaubte; wenn &#x017F;ie das Wort:<lb/><hi rendition="#g">Rad der ewigen E&#x017F;&#x017F;enzien</hi> oder auch <hi rendition="#g">&#x017F;chielen der<lb/>
Blitz</hi> und andre mehr aus&#x017F;prachen, &#x017F;o empfanden &#x017F;ie eine<lb/>
ganz be&#x017F;ondere Erhebung des Gemu&#x0364;ths. Ganze Stunden lang<lb/>
for&#x017F;chten &#x017F;ie in magi&#x017F;chen Figuren, bis &#x017F;ie manchmal Anfang<lb/>
und Ende verloren und meinten, die vor ihnen liegenden Zau-<lb/>
berbilder lebten und bewegten &#x017F;ich; das war dann &#x017F;o rechte<lb/>
Seelenfreude, im Taumel groteske Ideen zu haben und leb-<lb/>
haft zu empfinden.</p><lb/>
            <p>Allein die&#x017F;es paradie&#x017F;i&#x017F;che Leben war von kurzer Dauer. Herr<lb/>
Pa&#x017F;tor <hi rendition="#g">Stollbein</hi> und Herr Fo&#x0364;r&#x017F;ter <hi rendition="#g">Kru&#x0364;ger</hi> waren Todt-<lb/>
feinde. Die&#x017F;es kam daher: <hi rendition="#g">Stollbein</hi> war ein unum&#x017F;chra&#x0364;nk-<lb/>
ter Monar&#x017F;ch in &#x017F;einem Kirch&#x017F;piel; &#x017F;ein geheimes Raths-<lb/>
Collegium, ich meine das Con&#x017F;i&#x017F;torium, be&#x017F;tand aus lauter<lb/>
Ma&#x0364;nnern, die er &#x017F;elber angeordnet hatte und von denen er<lb/>
voraus wußte, daß &#x017F;ie einfa&#x0364;ltig genug waren, immer Ja zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0125] ſen, als die Abc-Schuͤler und die am Buchſtabiren waren; die- ſer Theil des Schulamts war Stilling viel zu langweilig. Des Sonntags Morgens verſammelten ſich die Schulkinder um ihren angenehmen Lehrer, und ſo wanderte er mit ſeinem Gefolge unter den ſchoͤnſten Erzaͤhlungen nach Florenburg in die Kirche, und nach der Predigt in eben der Ordnung wie- der nach Haus. Die Zellberger waren indeſſen mit Stilling recht gut zufrieden, ſie ſahen, daß ihre Kinder lernten, ohne viel ge- zuͤchtigt zu werden; verſchiedene hatten ſogar ihre Freude an all den ſchoͤnen Geſchichten, welche ihnen ihre Kinder zu er- zaͤhlen wußten. Beſonders liebte ihn Kruͤger außerordent- lich, denn er konnte Vieles mit ihm aus dem Paralacelſus reden (ſo ſprach der Jaͤger das Wort Paracelſus aus); er hatte eine altdeutſche Ueberſetzung ſeiner Schriften, und da er ein ſklaviſcher Verehrer aller der Maͤnner war, von de- nen er glaubte, daß ſie den Stein Lapis gehabt haͤtten, ſo waren ihm Jakob Boͤhms, Graf Bernhards und des Paracelſus Schriften große Heiligthuͤmer. Stilling ſelber fand Geſchmack darinnen, nicht blos wegen des Steins der Weiſen, ſondern weil er ganz hohe und herrliche Begriffe, beſonders im Boͤhm, zu finden glaubte; wenn ſie das Wort: Rad der ewigen Eſſenzien oder auch ſchielen der Blitz und andre mehr ausſprachen, ſo empfanden ſie eine ganz beſondere Erhebung des Gemuͤths. Ganze Stunden lang forſchten ſie in magiſchen Figuren, bis ſie manchmal Anfang und Ende verloren und meinten, die vor ihnen liegenden Zau- berbilder lebten und bewegten ſich; das war dann ſo rechte Seelenfreude, im Taumel groteske Ideen zu haben und leb- haft zu empfinden. Allein dieſes paradieſiſche Leben war von kurzer Dauer. Herr Paſtor Stollbein und Herr Foͤrſter Kruͤger waren Todt- feinde. Dieſes kam daher: Stollbein war ein unumſchraͤnk- ter Monarſch in ſeinem Kirchſpiel; ſein geheimes Raths- Collegium, ich meine das Conſiſtorium, beſtand aus lauter Maͤnnern, die er ſelber angeordnet hatte und von denen er voraus wußte, daß ſie einfaͤltig genug waren, immer Ja zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/125
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/125>, abgerufen am 15.05.2024.