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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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eure Kinder so ungezogene Bengels sind, wie ich vermuthe,
so werd' ich Mittel wissen, ihnen andere Sitten beizubringen;
das könnt ihr ihnen sagen, wenn ihr nach Haus kommt! Die
Fuhrleute sahen sich an, und bloß um ihrer Kinder willen lie-
ßen sie ihn zufrieden.

Des Abends spät um neun Uhr kam er zu Dorlingen an.
Steifmann betrachtete ihn vom Haupt bis zu Fuß, so auch
seine Frau, Kinder und Gesinde. Man gab ihm zu essen,
und darauf legte er sich schlafen. Als er des Morgens früh
erwachte, erschrack er sehr, denn er sah die Sonne, seinem
Begriff nach, in Westen aufgehen, sie rückte gegen Norden in
die Höhe und ging des Abends in Osten unter. Das wollte
ihm gar nicht in den Kopf; und doch hatte er so viel von der
Astronomie und Geographie begriffen, daß er wohl wußte,
die Zellberger und Tiefenbacher Sonne sey eben dieselbe,
die auch zu Dorlingenleuchte. Dieser seltsame Vorfall ver-
rückte ihm sein Concept, und jetzt wünschte er von Herzen,
seines Oheims Johann Compas zu haben, um zu sehen,
ob auch die Magnetnadel mit der Sonne einig sey, ihn zu
betrügen. Er fand zwar endlich die Ursache dieser Erschei-
nung; er war den vorigen Abend spät angekommen und hatte
die allmählige Krümmung des Thals nicht bemerkt. Allein
er konnte doch seine Einbildung nicht bemeistern; alle Aussich-
ten in die rohen und öden Gegenden kamen ihm auch aus die-
sem Grunde traurig und fatal vor.

Steifmann war reich, er hatte viel Geld, Güter, Och-
sen, Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine, dazu seine Stahl-
fabrik, worin Waaren verfertigt wurden, mit denen er Hand-
lung trieb. Er hatte jetzt nur erst die zweite Frau, hernach
aber hat er die dritte oder wohl gar die vierte geheirathet;
das Glück war ihm so günstig, daß er verschiedene Frauen
nach einander nehmen konnte, wenigstens schien ihm das Ster-
ben und Wiedernehmen der Weiber eine besondere Belustigung
zu seyn. Die jetzige Frau war ein gutes Schaf, ihr Mann
redete oft gar erbaulich mit ihr von den Tugenden seiner ersten
Frau, so daß sie aus großer Empfindung des Herzens oft
blutige Thränen weinte. Sonst war er gar nicht zum Zorn

eure Kinder ſo ungezogene Bengels ſind, wie ich vermuthe,
ſo werd’ ich Mittel wiſſen, ihnen andere Sitten beizubringen;
das koͤnnt ihr ihnen ſagen, wenn ihr nach Haus kommt! Die
Fuhrleute ſahen ſich an, und bloß um ihrer Kinder willen lie-
ßen ſie ihn zufrieden.

Des Abends ſpaͤt um neun Uhr kam er zu Dorlingen an.
Steifmann betrachtete ihn vom Haupt bis zu Fuß, ſo auch
ſeine Frau, Kinder und Geſinde. Man gab ihm zu eſſen,
und darauf legte er ſich ſchlafen. Als er des Morgens fruͤh
erwachte, erſchrack er ſehr, denn er ſah die Sonne, ſeinem
Begriff nach, in Weſten aufgehen, ſie ruͤckte gegen Norden in
die Hoͤhe und ging des Abends in Oſten unter. Das wollte
ihm gar nicht in den Kopf; und doch hatte er ſo viel von der
Aſtronomie und Geographie begriffen, daß er wohl wußte,
die Zellberger und Tiefenbacher Sonne ſey eben dieſelbe,
die auch zu Dorlingenleuchte. Dieſer ſeltſame Vorfall ver-
ruͤckte ihm ſein Concept, und jetzt wuͤnſchte er von Herzen,
ſeines Oheims Johann Compas zu haben, um zu ſehen,
ob auch die Magnetnadel mit der Sonne einig ſey, ihn zu
betruͤgen. Er fand zwar endlich die Urſache dieſer Erſchei-
nung; er war den vorigen Abend ſpaͤt angekommen und hatte
die allmaͤhlige Kruͤmmung des Thals nicht bemerkt. Allein
er konnte doch ſeine Einbildung nicht bemeiſtern; alle Ausſich-
ten in die rohen und oͤden Gegenden kamen ihm auch aus die-
ſem Grunde traurig und fatal vor.

Steifmann war reich, er hatte viel Geld, Guͤter, Och-
ſen, Kuͤhe, Schafe, Ziegen und Schweine, dazu ſeine Stahl-
fabrik, worin Waaren verfertigt wurden, mit denen er Hand-
lung trieb. Er hatte jetzt nur erſt die zweite Frau, hernach
aber hat er die dritte oder wohl gar die vierte geheirathet;
das Gluͤck war ihm ſo guͤnſtig, daß er verſchiedene Frauen
nach einander nehmen konnte, wenigſtens ſchien ihm das Ster-
ben und Wiedernehmen der Weiber eine beſondere Beluſtigung
zu ſeyn. Die jetzige Frau war ein gutes Schaf, ihr Mann
redete oft gar erbaulich mit ihr von den Tugenden ſeiner erſten
Frau, ſo daß ſie aus großer Empfindung des Herzens oft
blutige Thraͤnen weinte. Sonſt war er gar nicht zum Zorn

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[123/0131] eure Kinder ſo ungezogene Bengels ſind, wie ich vermuthe, ſo werd’ ich Mittel wiſſen, ihnen andere Sitten beizubringen; das koͤnnt ihr ihnen ſagen, wenn ihr nach Haus kommt! Die Fuhrleute ſahen ſich an, und bloß um ihrer Kinder willen lie- ßen ſie ihn zufrieden. Des Abends ſpaͤt um neun Uhr kam er zu Dorlingen an. Steifmann betrachtete ihn vom Haupt bis zu Fuß, ſo auch ſeine Frau, Kinder und Geſinde. Man gab ihm zu eſſen, und darauf legte er ſich ſchlafen. Als er des Morgens fruͤh erwachte, erſchrack er ſehr, denn er ſah die Sonne, ſeinem Begriff nach, in Weſten aufgehen, ſie ruͤckte gegen Norden in die Hoͤhe und ging des Abends in Oſten unter. Das wollte ihm gar nicht in den Kopf; und doch hatte er ſo viel von der Aſtronomie und Geographie begriffen, daß er wohl wußte, die Zellberger und Tiefenbacher Sonne ſey eben dieſelbe, die auch zu Dorlingenleuchte. Dieſer ſeltſame Vorfall ver- ruͤckte ihm ſein Concept, und jetzt wuͤnſchte er von Herzen, ſeines Oheims Johann Compas zu haben, um zu ſehen, ob auch die Magnetnadel mit der Sonne einig ſey, ihn zu betruͤgen. Er fand zwar endlich die Urſache dieſer Erſchei- nung; er war den vorigen Abend ſpaͤt angekommen und hatte die allmaͤhlige Kruͤmmung des Thals nicht bemerkt. Allein er konnte doch ſeine Einbildung nicht bemeiſtern; alle Ausſich- ten in die rohen und oͤden Gegenden kamen ihm auch aus die- ſem Grunde traurig und fatal vor. Steifmann war reich, er hatte viel Geld, Guͤter, Och- ſen, Kuͤhe, Schafe, Ziegen und Schweine, dazu ſeine Stahl- fabrik, worin Waaren verfertigt wurden, mit denen er Hand- lung trieb. Er hatte jetzt nur erſt die zweite Frau, hernach aber hat er die dritte oder wohl gar die vierte geheirathet; das Gluͤck war ihm ſo guͤnſtig, daß er verſchiedene Frauen nach einander nehmen konnte, wenigſtens ſchien ihm das Ster- ben und Wiedernehmen der Weiber eine beſondere Beluſtigung zu ſeyn. Die jetzige Frau war ein gutes Schaf, ihr Mann redete oft gar erbaulich mit ihr von den Tugenden ſeiner erſten Frau, ſo daß ſie aus großer Empfindung des Herzens oft blutige Thraͤnen weinte. Sonſt war er gar nicht zum Zorn

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/131>, abgerufen am 23.11.2024.