im Geiste durch die Kindschaft Gottes wieder gewinnen zu wollen. Aber derselbe Kampf entgegengesetzter Principien, welcher durch jene Reaction im Gebiete des Staates zur Ruhe gekommen ist, beginnt nur um so heftiger im innern Gebiete des Geistes. Und hier tritt als Vorkämpfer der einen, nämlich der an der göttlichen Auctorität des Christen- thums streng festhaltenden Parthei, als ein solch leitender Genius tritt noch einmal der Geist Stilling's auf.
Es ist nämlich -- wenn wir zuerst auf die positive Seite der religiösen Weltansicht Stilling's sehen -- Eine große Idee, welche diesen Mann beseelte, und von welcher alle seine Schriften erfüllt sind, die nämlich: daß Gott kindlich auf ihn Vertrauenden auf eine unmittelbare und außerordentliche Weise durch eine alle menschliche Be- rechnung übertreffende und von dem gewöhnlichen gesetz- und naturgemäßen Gange der Dinge ganz abweichende Schickung aus jeder Noth des Lebens helfe. Diese Idee tritt in ihrer Eigenthümlichkeit und bestimmten Aus- prägung besonders in dem Glauben hervor, daß ein in der Noth zu Gott geschicktes Gebet nicht etwa bloß eine innere Erhörung durch höhere Stärkung des Geistes finde, sondern, wofern es mit den Rathschlüssen Gottes übereinstimmt, eine äußere göttliche Hilfeleistung durch wunderbare Errettung aus leiblicher Noth, Krankheit, Armuth etc. zur Folge habe.
Was aber Stilling zu dem großen Volksschriftsteller machte, der er war, was allen seinen Darstellungen Leben- digkeit und eine unwiderstehliche Kraft der Ueberzeugung verleiht, das ist die Einheit seiner ganzen Persönlichkeit mit seinem schriftstellerischen Werke. Es bewährte sich an ihm das alte Sprüchwort: Was vom Herzen kommt, das dringt zum Herzen. Stilling war im eigentlichen Sinne des Wortes eine religiöse Individualität. Die lebendige Verwirklichung jenes Grundgedankens, von wel- chem alle seine Schriften beseelt sind, ist sein eigenes Leben. Nicht nur im Allgemeinen, sondern auch in den einzelnen Scenen ist seine Autobiographie eine wahre Ver- körperung jenes religiösen Grundgedankens zu nennen, so daß man geneigt wäre, in ihr einen religiösen Roman zu
im Geiſte durch die Kindſchaft Gottes wieder gewinnen zu wollen. Aber derſelbe Kampf entgegengeſetzter Principien, welcher durch jene Reaction im Gebiete des Staates zur Ruhe gekommen iſt, beginnt nur um ſo heftiger im innern Gebiete des Geiſtes. Und hier tritt als Vorkämpfer der einen, nämlich der an der göttlichen Auctorität des Chriſten- thums ſtreng feſthaltenden Parthei, als ein ſolch leitender Genius tritt noch einmal der Geiſt Stilling’s auf.
Es iſt nämlich — wenn wir zuerſt auf die poſitive Seite der religiöſen Weltanſicht Stilling’s ſehen — Eine große Idee, welche dieſen Mann beſeelte, und von welcher alle ſeine Schriften erfüllt ſind, die nämlich: daß Gott kindlich auf ihn Vertrauenden auf eine unmittelbare und außerordentliche Weiſe durch eine alle menſchliche Be- rechnung übertreffende und von dem gewöhnlichen geſetz- und naturgemäßen Gange der Dinge ganz abweichende Schickung aus jeder Noth des Lebens helfe. Dieſe Idee tritt in ihrer Eigenthümlichkeit und beſtimmten Aus- prägung beſonders in dem Glauben hervor, daß ein in der Noth zu Gott geſchicktes Gebet nicht etwa bloß eine innere Erhörung durch höhere Stärkung des Geiſtes finde, ſondern, wofern es mit den Rathſchlüſſen Gottes übereinſtimmt, eine äußere göttliche Hilfeleiſtung durch wunderbare Errettung aus leiblicher Noth, Krankheit, Armuth ꝛc. zur Folge habe.
Was aber Stilling zu dem großen Volksſchriftſteller machte, der er war, was allen ſeinen Darſtellungen Leben- digkeit und eine unwiderſtehliche Kraft der Ueberzeugung verleiht, das iſt die Einheit ſeiner ganzen Perſönlichkeit mit ſeinem ſchriftſtelleriſchen Werke. Es bewährte ſich an ihm das alte Sprüchwort: Was vom Herzen kommt, das dringt zum Herzen. Stilling war im eigentlichen Sinne des Wortes eine religiöſe Individualität. Die lebendige Verwirklichung jenes Grundgedankens, von wel- chem alle ſeine Schriften beſeelt ſind, iſt ſein eigenes Leben. Nicht nur im Allgemeinen, ſondern auch in den einzelnen Scenen iſt ſeine Autobiographie eine wahre Ver- körperung jenes religiöſen Grundgedankens zu nennen, ſo daß man geneigt wäre, in ihr einen religiöſen Roman zu
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[6/0014]
im Geiſte durch die Kindſchaft Gottes wieder gewinnen zu
wollen. Aber derſelbe Kampf entgegengeſetzter Principien,
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Ruhe gekommen iſt, beginnt nur um ſo heftiger im innern
Gebiete des Geiſtes. Und hier tritt als Vorkämpfer der
einen, nämlich der an der göttlichen Auctorität des Chriſten-
thums ſtreng feſthaltenden Parthei, als ein ſolch leitender
Genius tritt noch einmal der Geiſt Stilling’s auf.
Es iſt nämlich — wenn wir zuerſt auf die poſitive
Seite der religiöſen Weltanſicht Stilling’s ſehen — Eine
große Idee, welche dieſen Mann beſeelte, und von welcher
alle ſeine Schriften erfüllt ſind, die nämlich: daß Gott
kindlich auf ihn Vertrauenden auf eine unmittelbare und
außerordentliche Weiſe durch eine alle menſchliche Be-
rechnung übertreffende und von dem gewöhnlichen geſetz-
und naturgemäßen Gange der Dinge ganz abweichende
Schickung aus jeder Noth des Lebens helfe. Dieſe Idee
tritt in ihrer Eigenthümlichkeit und beſtimmten Aus-
prägung beſonders in dem Glauben hervor, daß ein in der
Noth zu Gott geſchicktes Gebet nicht etwa bloß eine innere
Erhörung durch höhere Stärkung des Geiſtes finde, ſondern,
wofern es mit den Rathſchlüſſen Gottes übereinſtimmt, eine
äußere göttliche Hilfeleiſtung durch wunderbare Errettung
aus leiblicher Noth, Krankheit, Armuth ꝛc. zur Folge habe.
Was aber Stilling zu dem großen Volksſchriftſteller
machte, der er war, was allen ſeinen Darſtellungen Leben-
digkeit und eine unwiderſtehliche Kraft der Ueberzeugung
verleiht, das iſt die Einheit ſeiner ganzen Perſönlichkeit
mit ſeinem ſchriftſtelleriſchen Werke. Es bewährte ſich an
ihm das alte Sprüchwort: Was vom Herzen kommt, das
dringt zum Herzen. Stilling war im eigentlichen Sinne
des Wortes eine religiöſe Individualität. Die
lebendige Verwirklichung jenes Grundgedankens, von wel-
chem alle ſeine Schriften beſeelt ſind, iſt ſein eigenes
Leben. Nicht nur im Allgemeinen, ſondern auch in den
einzelnen Scenen iſt ſeine Autobiographie eine wahre Ver-
körperung jenes religiöſen Grundgedankens zu nennen, ſo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/14>, abgerufen am 21.11.2024.
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