Hausgeschäften, mit Singen und allerhand erlaubten Ergötz- lichkeiten zu. Stilling liebte zwar das Vergnügen, allein die Unthätigkeit des menschlichen Geistes war ihm zuwider, daher konnte er nicht begreifen, daß die Leute keine Lange- weile hatten. Doch befand er sich unvergleichlich in ihrer Gesellschaft; wenn er sich zuweilen in Betrachtung und Ge- schäften ermüdet hatte, so war es eine süße Erholung für ihn, mit ihnen umzugehen.
Stilling hatte noch an keine Frauenliebe gedacht; diese Leidenschaft und das Heirathen war in seinen Augen Eins, und Jedes ohne das andere ein Gräuel. Da er nun gewiß wußte, daß er keine von den Jungfern Schmoll heirathen konnte, indem keine weder einen Schneider, noch einen Schul- meister nehmen durfte, so unterdrückte er jeden Keim der Liebe, der so oft, besonders zu Maria, in seinem Herzen aufblü- hen wollte. Doch, was sage ich von Unterdrücken! wer ver- mag das aus eigener Kraft? Stillings Engel, der ihn lei- tete, kehrte die Pfeile von ihm ab, die auf ihn geschossen wurden. Die beiden Schwestern dachten indessen ganz anders; der Schulmeister gefiel ihnen im Herzen, er war in seiner ersten Blüthe, voll Feuer und Empfindung; denn ob er gleich ernst und still war, so gab es doch Augenblicke, wo sein Licht aus allen Winkeln des Herzens hervorglänzte; dann breitete sich sein Geist aus, er floß über von mittheilender, heiterer Freude, und dann war's gut seyn in seiner Gegenwart. Aber es gibt der Geister wenig, die da empfinden können; es ist so etwas Geistiges und Erhabenes, von roher lärmender Freude so Entferntes, daß die Wenigsten begreifen werden, was ich hier sagen will. Frau Schmoll und ihre Töchtern indessen fühlten's und empfanden's in aller seiner Kraft. Andere Leute, von gemeinem Schlag, saßen dann oft und horchten; der Eine rief: Paule, du rasest! der Andere saß und staunte, und der Dritte glaubte, er sey nicht recht gescheit. Die beiden Mädchen ruhten dann dort in einem dunkeln Winkel, um ihn ungestört beobachten zu können, sie schwiegen und hefteten ihre Augen auf ihn. Stilling merkte das mit tiefem Mit- leiden; allein er war fest entschlossen, keinen Anlaß zu meh-
Hausgeſchaͤften, mit Singen und allerhand erlaubten Ergoͤtz- lichkeiten zu. Stilling liebte zwar das Vergnuͤgen, allein die Unthaͤtigkeit des menſchlichen Geiſtes war ihm zuwider, daher konnte er nicht begreifen, daß die Leute keine Lange- weile hatten. Doch befand er ſich unvergleichlich in ihrer Geſellſchaft; wenn er ſich zuweilen in Betrachtung und Ge- ſchaͤften ermuͤdet hatte, ſo war es eine ſuͤße Erholung fuͤr ihn, mit ihnen umzugehen.
Stilling hatte noch an keine Frauenliebe gedacht; dieſe Leidenſchaft und das Heirathen war in ſeinen Augen Eins, und Jedes ohne das andere ein Graͤuel. Da er nun gewiß wußte, daß er keine von den Jungfern Schmoll heirathen konnte, indem keine weder einen Schneider, noch einen Schul- meiſter nehmen durfte, ſo unterdruͤckte er jeden Keim der Liebe, der ſo oft, beſonders zu Maria, in ſeinem Herzen aufbluͤ- hen wollte. Doch, was ſage ich von Unterdruͤcken! wer ver- mag das aus eigener Kraft? Stillings Engel, der ihn lei- tete, kehrte die Pfeile von ihm ab, die auf ihn geſchoſſen wurden. Die beiden Schweſtern dachten indeſſen ganz anders; der Schulmeiſter gefiel ihnen im Herzen, er war in ſeiner erſten Bluͤthe, voll Feuer und Empfindung; denn ob er gleich ernſt und ſtill war, ſo gab es doch Augenblicke, wo ſein Licht aus allen Winkeln des Herzens hervorglaͤnzte; dann breitete ſich ſein Geiſt aus, er floß uͤber von mittheilender, heiterer Freude, und dann war’s gut ſeyn in ſeiner Gegenwart. Aber es gibt der Geiſter wenig, die da empfinden koͤnnen; es iſt ſo etwas Geiſtiges und Erhabenes, von roher laͤrmender Freude ſo Entferntes, daß die Wenigſten begreifen werden, was ich hier ſagen will. Frau Schmoll und ihre Toͤchtern indeſſen fuͤhlten’s und empfanden’s in aller ſeiner Kraft. Andere Leute, von gemeinem Schlag, ſaßen dann oft und horchten; der Eine rief: Paule, du raſeſt! der Andere ſaß und ſtaunte, und der Dritte glaubte, er ſey nicht recht geſcheit. Die beiden Maͤdchen ruhten dann dort in einem dunkeln Winkel, um ihn ungeſtoͤrt beobachten zu koͤnnen, ſie ſchwiegen und hefteten ihre Augen auf ihn. Stilling merkte das mit tiefem Mit- leiden; allein er war feſt entſchloſſen, keinen Anlaß zu meh-
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Hausgeſchaͤften, mit Singen und allerhand erlaubten Ergoͤtz-
lichkeiten zu. Stilling liebte zwar das Vergnuͤgen, allein
die Unthaͤtigkeit des menſchlichen Geiſtes war ihm zuwider,
daher konnte er nicht begreifen, daß die Leute keine Lange-
weile hatten. Doch befand er ſich unvergleichlich in ihrer
Geſellſchaft; wenn er ſich zuweilen in Betrachtung und Ge-
ſchaͤften ermuͤdet hatte, ſo war es eine ſuͤße Erholung fuͤr
ihn, mit ihnen umzugehen.
Stilling hatte noch an keine Frauenliebe gedacht; dieſe
Leidenſchaft und das Heirathen war in ſeinen Augen Eins,
und Jedes ohne das andere ein Graͤuel. Da er nun gewiß
wußte, daß er keine von den Jungfern Schmoll heirathen
konnte, indem keine weder einen Schneider, noch einen Schul-
meiſter nehmen durfte, ſo unterdruͤckte er jeden Keim der Liebe,
der ſo oft, beſonders zu Maria, in ſeinem Herzen aufbluͤ-
hen wollte. Doch, was ſage ich von Unterdruͤcken! wer ver-
mag das aus eigener Kraft? Stillings Engel, der ihn lei-
tete, kehrte die Pfeile von ihm ab, die auf ihn geſchoſſen
wurden. Die beiden Schweſtern dachten indeſſen ganz anders;
der Schulmeiſter gefiel ihnen im Herzen, er war in ſeiner
erſten Bluͤthe, voll Feuer und Empfindung; denn ob er gleich
ernſt und ſtill war, ſo gab es doch Augenblicke, wo ſein Licht
aus allen Winkeln des Herzens hervorglaͤnzte; dann breitete
ſich ſein Geiſt aus, er floß uͤber von mittheilender, heiterer
Freude, und dann war’s gut ſeyn in ſeiner Gegenwart. Aber
es gibt der Geiſter wenig, die da empfinden koͤnnen; es iſt
ſo etwas Geiſtiges und Erhabenes, von roher laͤrmender Freude
ſo Entferntes, daß die Wenigſten begreifen werden, was ich
hier ſagen will. Frau Schmoll und ihre Toͤchtern indeſſen
fuͤhlten’s und empfanden’s in aller ſeiner Kraft. Andere Leute,
von gemeinem Schlag, ſaßen dann oft und horchten; der Eine
rief: Paule, du raſeſt! der Andere ſaß und ſtaunte, und
der Dritte glaubte, er ſey nicht recht geſcheit. Die beiden
Maͤdchen ruhten dann dort in einem dunkeln Winkel, um ihn
ungeſtoͤrt beobachten zu koͤnnen, ſie ſchwiegen und hefteten
ihre Augen auf ihn. Stilling merkte das mit tiefem Mit-
leiden; allein er war feſt entſchloſſen, keinen Anlaß zu meh-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/144>, abgerufen am 23.11.2024.
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