Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

rerem Ausbruch der Liebe zu geben. Sie waren Beide sittsam
und blöde, und deßwegen weit davon entfernt, sich an ihn
zu entdecken. Frau Schmoll saß dann, spielte mit ihrer
schwarzen papiernen Schnupftabacksdose auf dem Schoos,
und dachte nach, unter welche Sorte Menschen der Schulmei-
ster wohl eigentlich gehören möchte; fromm und brav war er
in ihren Augen und recht gottesfürchtig dazu; allein da er
von allem redete, nur nicht von Sachen, womit Brod zu ver-
dienen war, so sagte sie oft, wenn er zur Thüre hinaus ging:
der arme Schelm, was will noch aus ihm werden! Das kann
man nicht wissen, versetzte denn wohl Maria zuweilen, ich
glaube, er wird noch ein vornehmer Mann in der Welt. Die
Mutter lachte und erwiederte oft: Gott laß es ihm wohl ge-
hen! er ist ein recht lieber Bursche; auf einmal wurden ihre
Töchter lebendig.

Ich darf behaupten, daß Stilling die Preisinger
Schule nach Pflicht und Ordnung bediente; er suchte nun,
bei reifern Jahren und Einsichten, seinen Ruhm in Unter-
weisung der Jugend zu befestigen. Allein es war Schade,
daß es nicht aus natürlicher Neigung herfloß. Wenn er eben
sowohl nur acht Stunden des Tages zum Schneiderhandwerk,
als zum Schulamt hätte verwenden dürfen, so wäre er ge-
wiß noch lieber am Handwerk geblieben: denn das war für
ihn ruhiger und nicht so vieler Verantwortung unterworfen.
Um sich nun die Schule angenehmer zu machen, erdachte er
allerhand Mittel, wie er mit leichterer Mühe die Schüler zum
Lernen aufmuntern möchte. Er führte eine Rangordnung ein,
die sich auf die größere Geschicklichkeit bezog, er fand allerhand
Wettspiele im Schreiben, Lesen und Buchstabiren; und da
er ein großer Liebhaber vom Singen und der Musik war, so
suchte er schöne geistliche Lieder zusammen, lernte selber die
Musiknoten mit leichter Mühe und führte das vierstimmige
Singen ein. Dadurch wurde nun ganz Preisingen voller
Leben und Gesang. Des Abends vor dem Essen hielt er eine
Rechenstunde und nach derselben eine Singstunde. Wenn
dann der Mond so still und feierlich durch die Bäume schim-
merte, und die Sterne vom blauen Himmel herunter äugel-

rerem Ausbruch der Liebe zu geben. Sie waren Beide ſittſam
und bloͤde, und deßwegen weit davon entfernt, ſich an ihn
zu entdecken. Frau Schmoll ſaß dann, ſpielte mit ihrer
ſchwarzen papiernen Schnupftabacksdoſe auf dem Schoos,
und dachte nach, unter welche Sorte Menſchen der Schulmei-
ſter wohl eigentlich gehoͤren moͤchte; fromm und brav war er
in ihren Augen und recht gottesfuͤrchtig dazu; allein da er
von allem redete, nur nicht von Sachen, womit Brod zu ver-
dienen war, ſo ſagte ſie oft, wenn er zur Thuͤre hinaus ging:
der arme Schelm, was will noch aus ihm werden! Das kann
man nicht wiſſen, verſetzte denn wohl Maria zuweilen, ich
glaube, er wird noch ein vornehmer Mann in der Welt. Die
Mutter lachte und erwiederte oft: Gott laß es ihm wohl ge-
hen! er iſt ein recht lieber Burſche; auf einmal wurden ihre
Toͤchter lebendig.

Ich darf behaupten, daß Stilling die Preiſinger
Schule nach Pflicht und Ordnung bediente; er ſuchte nun,
bei reifern Jahren und Einſichten, ſeinen Ruhm in Unter-
weiſung der Jugend zu befeſtigen. Allein es war Schade,
daß es nicht aus natuͤrlicher Neigung herfloß. Wenn er eben
ſowohl nur acht Stunden des Tages zum Schneiderhandwerk,
als zum Schulamt haͤtte verwenden duͤrfen, ſo waͤre er ge-
wiß noch lieber am Handwerk geblieben: denn das war fuͤr
ihn ruhiger und nicht ſo vieler Verantwortung unterworfen.
Um ſich nun die Schule angenehmer zu machen, erdachte er
allerhand Mittel, wie er mit leichterer Muͤhe die Schuͤler zum
Lernen aufmuntern moͤchte. Er fuͤhrte eine Rangordnung ein,
die ſich auf die groͤßere Geſchicklichkeit bezog, er fand allerhand
Wettſpiele im Schreiben, Leſen und Buchſtabiren; und da
er ein großer Liebhaber vom Singen und der Muſik war, ſo
ſuchte er ſchoͤne geiſtliche Lieder zuſammen, lernte ſelber die
Muſiknoten mit leichter Muͤhe und fuͤhrte das vierſtimmige
Singen ein. Dadurch wurde nun ganz Preiſingen voller
Leben und Geſang. Des Abends vor dem Eſſen hielt er eine
Rechenſtunde und nach derſelben eine Singſtunde. Wenn
dann der Mond ſo ſtill und feierlich durch die Baͤume ſchim-
merte, und die Sterne vom blauen Himmel herunter aͤugel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0145" n="137"/>
rerem Ausbruch der Liebe zu geben. Sie waren Beide &#x017F;itt&#x017F;am<lb/>
und blo&#x0364;de, und deßwegen weit davon entfernt, &#x017F;ich an ihn<lb/>
zu entdecken. Frau <hi rendition="#g">Schmoll</hi> &#x017F;aß dann, &#x017F;pielte mit ihrer<lb/>
&#x017F;chwarzen papiernen Schnupftabacksdo&#x017F;e auf dem Schoos,<lb/>
und dachte nach, unter welche Sorte Men&#x017F;chen der Schulmei-<lb/>
&#x017F;ter wohl eigentlich geho&#x0364;ren mo&#x0364;chte; fromm und brav war er<lb/>
in ihren Augen und recht gottesfu&#x0364;rchtig dazu; allein da er<lb/>
von allem redete, nur nicht von Sachen, womit Brod zu ver-<lb/>
dienen war, &#x017F;o &#x017F;agte &#x017F;ie oft, wenn er zur Thu&#x0364;re hinaus ging:<lb/>
der arme Schelm, was will noch aus ihm werden! Das kann<lb/>
man nicht wi&#x017F;&#x017F;en, ver&#x017F;etzte denn wohl <hi rendition="#g">Maria</hi> zuweilen, ich<lb/>
glaube, er wird noch ein vornehmer Mann in der Welt. Die<lb/>
Mutter lachte und erwiederte oft: Gott laß es ihm wohl ge-<lb/>
hen! er i&#x017F;t ein recht lieber Bur&#x017F;che; auf einmal wurden ihre<lb/>
To&#x0364;chter lebendig.</p><lb/>
            <p>Ich darf behaupten, daß <hi rendition="#g">Stilling</hi> die <hi rendition="#g">Prei&#x017F;inger</hi><lb/>
Schule nach Pflicht und Ordnung bediente; er &#x017F;uchte nun,<lb/>
bei reifern Jahren und Ein&#x017F;ichten, &#x017F;einen Ruhm in Unter-<lb/>
wei&#x017F;ung der Jugend zu befe&#x017F;tigen. Allein es war Schade,<lb/>
daß es nicht aus natu&#x0364;rlicher Neigung herfloß. Wenn er eben<lb/>
&#x017F;owohl nur acht Stunden des Tages zum Schneiderhandwerk,<lb/>
als zum Schulamt ha&#x0364;tte verwenden du&#x0364;rfen, &#x017F;o wa&#x0364;re er ge-<lb/>
wiß noch lieber am Handwerk geblieben: denn das war fu&#x0364;r<lb/>
ihn ruhiger und nicht &#x017F;o vieler Verantwortung unterworfen.<lb/>
Um &#x017F;ich nun die Schule angenehmer zu machen, erdachte er<lb/>
allerhand Mittel, wie er mit leichterer Mu&#x0364;he die Schu&#x0364;ler zum<lb/>
Lernen aufmuntern mo&#x0364;chte. Er fu&#x0364;hrte eine Rangordnung ein,<lb/>
die &#x017F;ich auf die gro&#x0364;ßere Ge&#x017F;chicklichkeit bezog, er fand allerhand<lb/>
Wett&#x017F;piele im Schreiben, Le&#x017F;en und Buch&#x017F;tabiren; und da<lb/>
er ein großer Liebhaber vom Singen und der Mu&#x017F;ik war, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;uchte er &#x017F;cho&#x0364;ne gei&#x017F;tliche Lieder zu&#x017F;ammen, lernte &#x017F;elber die<lb/>
Mu&#x017F;iknoten mit leichter Mu&#x0364;he und fu&#x0364;hrte das vier&#x017F;timmige<lb/>
Singen ein. Dadurch wurde nun ganz <hi rendition="#g">Prei&#x017F;ingen</hi> voller<lb/>
Leben und Ge&#x017F;ang. Des Abends vor dem E&#x017F;&#x017F;en hielt er eine<lb/>
Rechen&#x017F;tunde und nach der&#x017F;elben eine Sing&#x017F;tunde. Wenn<lb/>
dann der Mond &#x017F;o &#x017F;till und feierlich durch die Ba&#x0364;ume &#x017F;chim-<lb/>
merte, und die Sterne vom blauen Himmel herunter a&#x0364;ugel-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0145] rerem Ausbruch der Liebe zu geben. Sie waren Beide ſittſam und bloͤde, und deßwegen weit davon entfernt, ſich an ihn zu entdecken. Frau Schmoll ſaß dann, ſpielte mit ihrer ſchwarzen papiernen Schnupftabacksdoſe auf dem Schoos, und dachte nach, unter welche Sorte Menſchen der Schulmei- ſter wohl eigentlich gehoͤren moͤchte; fromm und brav war er in ihren Augen und recht gottesfuͤrchtig dazu; allein da er von allem redete, nur nicht von Sachen, womit Brod zu ver- dienen war, ſo ſagte ſie oft, wenn er zur Thuͤre hinaus ging: der arme Schelm, was will noch aus ihm werden! Das kann man nicht wiſſen, verſetzte denn wohl Maria zuweilen, ich glaube, er wird noch ein vornehmer Mann in der Welt. Die Mutter lachte und erwiederte oft: Gott laß es ihm wohl ge- hen! er iſt ein recht lieber Burſche; auf einmal wurden ihre Toͤchter lebendig. Ich darf behaupten, daß Stilling die Preiſinger Schule nach Pflicht und Ordnung bediente; er ſuchte nun, bei reifern Jahren und Einſichten, ſeinen Ruhm in Unter- weiſung der Jugend zu befeſtigen. Allein es war Schade, daß es nicht aus natuͤrlicher Neigung herfloß. Wenn er eben ſowohl nur acht Stunden des Tages zum Schneiderhandwerk, als zum Schulamt haͤtte verwenden duͤrfen, ſo waͤre er ge- wiß noch lieber am Handwerk geblieben: denn das war fuͤr ihn ruhiger und nicht ſo vieler Verantwortung unterworfen. Um ſich nun die Schule angenehmer zu machen, erdachte er allerhand Mittel, wie er mit leichterer Muͤhe die Schuͤler zum Lernen aufmuntern moͤchte. Er fuͤhrte eine Rangordnung ein, die ſich auf die groͤßere Geſchicklichkeit bezog, er fand allerhand Wettſpiele im Schreiben, Leſen und Buchſtabiren; und da er ein großer Liebhaber vom Singen und der Muſik war, ſo ſuchte er ſchoͤne geiſtliche Lieder zuſammen, lernte ſelber die Muſiknoten mit leichter Muͤhe und fuͤhrte das vierſtimmige Singen ein. Dadurch wurde nun ganz Preiſingen voller Leben und Geſang. Des Abends vor dem Eſſen hielt er eine Rechenſtunde und nach derſelben eine Singſtunde. Wenn dann der Mond ſo ſtill und feierlich durch die Baͤume ſchim- merte, und die Sterne vom blauen Himmel herunter aͤugel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/145
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/145>, abgerufen am 23.11.2024.