ten, so ging er mit seinen Sängern heraus an den Preisin- ger Hügel, da setzten sie sich ins Dunkel und sangen, daß es durch Berg und Thal erscholl; dann gingen Mann, Weib und Kinder im Dorf vor die Thür, standen und horchten; sie segneten ihren Schulmeister, gingen dann hinein, gaben sich die Hand und legten sich schlafen. Oft kam er mit sei- nem Gefolge hinter Schmolls Haus in den Baumhof, und dann sangen sie sauft und still; entweder: Odusüße Lust! oder: Jesus ist mein Freudenlicht! oder: die Nacht ist vor der Thür! und was dergleichen schöne Lieder mehr waren: dann gingen die Mädchen ohne Licht oben auf ihre Kam- mer, setzten sich hin und versanken in Empfindung. Oft fand er sie noch so sitzen, wenn er nach Hause kam und schlafen gehen wollte; denn alle Kammern im Hause waren gemein- schaftlich, der Schulmeister hatte überall freien Zutritt. Nie- mand war weniger sorgfältiger für ihre Töchtern, als Frau Schmoll; und sie war glückselig, daß sie es auch nicht nöthig hatte. Wenn er dann Maria und Anna so in einem finstern Winkel mit geschlossenen Augen fand, so gings ihm durchs Herz. Sie seufzte dann tief, drückte ihm die Hand und sagte: Mir ists wohl von Eurem Singen! Dann erwiederte er oft: Laßt uns fromm seyn, liebe Mädchen! im Himmel wollen wir erst recht singen! und dann ging er flüchtig fort und legte sich schlafen; er fühlte wohl oft das Herz pochen, aber er hatte nicht Acht darauf. Ob die Mädchen mit dem Trost auf jene Welt so völlig zufrieden gewesen, das läßt sich nicht wohl ausmachen, weil sie sich nie darüber erklärt haben.
Des Morgens vor der Schule und des Mittags vor und nach derselben arbeitete er die Geographie und Wolf's Anfangs- gründe der Mathematik ganz durch; auch fand er Gelegenheit, seine Kenntnisse in der Sonnenuhrkunst noch höher zu treiben, denn er hatte in der Schule, deren Fenster eins gerade gegen Mittag stand, oben unter der Decke mit schwarzer Oelfarbe eine Sonnenuhr gemalt, so groß als die Decke war, in die- selbe hatte er die zwölf himmlischen Zeichen genau eingetragen und jedes in seine dreißig Grad eingetheilt; oben im Zenith der Uhr, oberhalb dem Fenster, stand mit römischen, zierlich
ten, ſo ging er mit ſeinen Saͤngern heraus an den Preiſin- ger Huͤgel, da ſetzten ſie ſich ins Dunkel und ſangen, daß es durch Berg und Thal erſcholl; dann gingen Mann, Weib und Kinder im Dorf vor die Thuͤr, ſtanden und horchten; ſie ſegneten ihren Schulmeiſter, gingen dann hinein, gaben ſich die Hand und legten ſich ſchlafen. Oft kam er mit ſei- nem Gefolge hinter Schmolls Haus in den Baumhof, und dann ſangen ſie ſauft und ſtill; entweder: Oduſuͤße Luſt! oder: Jeſus iſt mein Freudenlicht! oder: die Nacht iſt vor der Thuͤr! und was dergleichen ſchoͤne Lieder mehr waren: dann gingen die Maͤdchen ohne Licht oben auf ihre Kam- mer, ſetzten ſich hin und verſanken in Empfindung. Oft fand er ſie noch ſo ſitzen, wenn er nach Hauſe kam und ſchlafen gehen wollte; denn alle Kammern im Hauſe waren gemein- ſchaftlich, der Schulmeiſter hatte uͤberall freien Zutritt. Nie- mand war weniger ſorgfaͤltiger fuͤr ihre Toͤchtern, als Frau Schmoll; und ſie war gluͤckſelig, daß ſie es auch nicht noͤthig hatte. Wenn er dann Maria und Anna ſo in einem finſtern Winkel mit geſchloſſenen Augen fand, ſo gings ihm durchs Herz. Sie ſeufzte dann tief, druͤckte ihm die Hand und ſagte: Mir iſts wohl von Eurem Singen! Dann erwiederte er oft: Laßt uns fromm ſeyn, liebe Maͤdchen! im Himmel wollen wir erſt recht ſingen! und dann ging er fluͤchtig fort und legte ſich ſchlafen; er fuͤhlte wohl oft das Herz pochen, aber er hatte nicht Acht darauf. Ob die Maͤdchen mit dem Troſt auf jene Welt ſo voͤllig zufrieden geweſen, das laͤßt ſich nicht wohl ausmachen, weil ſie ſich nie daruͤber erklaͤrt haben.
Des Morgens vor der Schule und des Mittags vor und nach derſelben arbeitete er die Geographie und Wolf’s Anfangs- gruͤnde der Mathematik ganz durch; auch fand er Gelegenheit, ſeine Kenntniſſe in der Sonnenuhrkunſt noch hoͤher zu treiben, denn er hatte in der Schule, deren Fenſter eins gerade gegen Mittag ſtand, oben unter der Decke mit ſchwarzer Oelfarbe eine Sonnenuhr gemalt, ſo groß als die Decke war, in die- ſelbe hatte er die zwoͤlf himmliſchen Zeichen genau eingetragen und jedes in ſeine dreißig Grad eingetheilt; oben im Zenith der Uhr, oberhalb dem Fenſter, ſtand mit roͤmiſchen, zierlich
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ten, ſo ging er mit ſeinen Saͤngern heraus an den Preiſin-
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es durch Berg und Thal erſcholl; dann gingen Mann, Weib
und Kinder im Dorf vor die Thuͤr, ſtanden und horchten;
ſie ſegneten ihren Schulmeiſter, gingen dann hinein, gaben
ſich die Hand und legten ſich ſchlafen. Oft kam er mit ſei-
nem Gefolge hinter Schmolls Haus in den Baumhof, und
dann ſangen ſie ſauft und ſtill; entweder: Oduſuͤße Luſt!
oder: Jeſus iſt mein Freudenlicht! oder: die Nacht
iſt vor der Thuͤr! und was dergleichen ſchoͤne Lieder mehr
waren: dann gingen die Maͤdchen ohne Licht oben auf ihre Kam-
mer, ſetzten ſich hin und verſanken in Empfindung. Oft fand
er ſie noch ſo ſitzen, wenn er nach Hauſe kam und ſchlafen
gehen wollte; denn alle Kammern im Hauſe waren gemein-
ſchaftlich, der Schulmeiſter hatte uͤberall freien Zutritt. Nie-
mand war weniger ſorgfaͤltiger fuͤr ihre Toͤchtern, als Frau
Schmoll; und ſie war gluͤckſelig, daß ſie es auch nicht noͤthig
hatte. Wenn er dann Maria und Anna ſo in einem finſtern
Winkel mit geſchloſſenen Augen fand, ſo gings ihm durchs
Herz. Sie ſeufzte dann tief, druͤckte ihm die Hand und ſagte:
Mir iſts wohl von Eurem Singen! Dann erwiederte er oft:
Laßt uns fromm ſeyn, liebe Maͤdchen! im Himmel wollen
wir erſt recht ſingen! und dann ging er fluͤchtig fort und legte
ſich ſchlafen; er fuͤhlte wohl oft das Herz pochen, aber er hatte
nicht Acht darauf. Ob die Maͤdchen mit dem Troſt auf jene
Welt ſo voͤllig zufrieden geweſen, das laͤßt ſich nicht wohl
ausmachen, weil ſie ſich nie daruͤber erklaͤrt haben.
Des Morgens vor der Schule und des Mittags vor und nach
derſelben arbeitete er die Geographie und Wolf’s Anfangs-
gruͤnde der Mathematik ganz durch; auch fand er Gelegenheit,
ſeine Kenntniſſe in der Sonnenuhrkunſt noch hoͤher zu treiben,
denn er hatte in der Schule, deren Fenſter eins gerade gegen
Mittag ſtand, oben unter der Decke mit ſchwarzer Oelfarbe
eine Sonnenuhr gemalt, ſo groß als die Decke war, in die-
ſelbe hatte er die zwoͤlf himmliſchen Zeichen genau eingetragen
und jedes in ſeine dreißig Grad eingetheilt; oben im Zenith
der Uhr, oberhalb dem Fenſter, ſtand mit roͤmiſchen, zierlich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/146>, abgerufen am 23.11.2024.
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