Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Stilling mußte sich mit Gewalt halten, daß er nicht
laut weinte und heulte. Sie stand oft gegen der Sonne
über, sah sie zärtlich an und sang dann: Sonne, noch
einmal blicke zurücke
! Ihr Ton war sanft, wie einer
Turteltaube, wenn sie vor dem Untergang der Sonne noch
einmal girrt. Ich wünschte, daß meine Leser nur die sanfte
harmonische Melodien dieses und anderer in dieser Geschichte
vorkommenden Lieder gehört hätten, sie würden dieselben dop-
pelt empfinden; doch werde ich sie vielleicht dereinsten auch
drucken lassen.

Endlich sprang sie wieder an seinen Arm und ging mit ihm
fort. Du weinst, Faramund! sagte sie, aber du beißest
mich doch nicht; heiß mich Lore, ich will dich Faramund
heißen, willst du? Ja! sagte Stilling mit Thränen, sey
du Lore, ich bin Faramund. Arme Lore, was wird die
Mutter sagen?

"Hab' ihr da so ein welkes Sträuschen gebunden, mein
"Faramund! aber du weinst?"

Ich weine um Lore.

"Lore ist ein gutes Mädchen. Bist du wohl in der Hölle
"gewesen, Faramund?"

Davor bewahre uns Gott.

Nun griff sie seine rechte Hand, legte sie unter ihre linke
Brust und sagte: Wie's da klopft! -- da ist die Hölle -- da
gehörst du hinein, Faramund! -- Sie knirschte auf den
Zähnen, sah wild um sich her. Ja! fuhr sie fort, du bist schon
darinnen! -- aber -- wie ein böser Engel! -- Hier hielt sie
ein, weinte. Nein, sagte sie, so nicht, so nicht!

Unter dergleichen Reden, die dem guten Stilling scharfe
Messer im Herzen waren, kamen sie nach Hause. So wie
sie über die Schwelle traten, kam Maria aus der Küche und
die Mutter aus der Stubenthür heraus. Anna flog der Mut-
ter um den Hals, küßte sie und sagte: Ach, liebe Mutter!
ich bin nun so fromm geworden, so fromm, wie ein Engel,
und du, Mariechen, magst sagen, was du willst (sie dräuete
ihr mit der Faust), du hast mir meinen Schäfer genommen,
du weidest da in guter Ruh. -- Aber, kannst du das Liedchen:

Stilling mußte ſich mit Gewalt halten, daß er nicht
laut weinte und heulte. Sie ſtand oft gegen der Sonne
uͤber, ſah ſie zaͤrtlich an und ſang dann: Sonne, noch
einmal blicke zuruͤcke
! Ihr Ton war ſanft, wie einer
Turteltaube, wenn ſie vor dem Untergang der Sonne noch
einmal girrt. Ich wuͤnſchte, daß meine Leſer nur die ſanfte
harmoniſche Melodien dieſes und anderer in dieſer Geſchichte
vorkommenden Lieder gehoͤrt haͤtten, ſie wuͤrden dieſelben dop-
pelt empfinden; doch werde ich ſie vielleicht dereinſten auch
drucken laſſen.

Endlich ſprang ſie wieder an ſeinen Arm und ging mit ihm
fort. Du weinſt, Faramund! ſagte ſie, aber du beißeſt
mich doch nicht; heiß mich Lore, ich will dich Faramund
heißen, willſt du? Ja! ſagte Stilling mit Thraͤnen, ſey
du Lore, ich bin Faramund. Arme Lore, was wird die
Mutter ſagen?

„Hab’ ihr da ſo ein welkes Straͤuschen gebunden, mein
Faramund! aber du weinſt?“

Ich weine um Lore.

Lore iſt ein gutes Maͤdchen. Biſt du wohl in der Hoͤlle
„geweſen, Faramund?“

Davor bewahre uns Gott.

Nun griff ſie ſeine rechte Hand, legte ſie unter ihre linke
Bruſt und ſagte: Wie’s da klopft! — da iſt die Hoͤlle — da
gehoͤrſt du hinein, Faramund! — Sie knirſchte auf den
Zaͤhnen, ſah wild um ſich her. Ja! fuhr ſie fort, du biſt ſchon
darinnen! — aber — wie ein boͤſer Engel! — Hier hielt ſie
ein, weinte. Nein, ſagte ſie, ſo nicht, ſo nicht!

Unter dergleichen Reden, die dem guten Stilling ſcharfe
Meſſer im Herzen waren, kamen ſie nach Hauſe. So wie
ſie uͤber die Schwelle traten, kam Maria aus der Kuͤche und
die Mutter aus der Stubenthuͤr heraus. Anna flog der Mut-
ter um den Hals, kuͤßte ſie und ſagte: Ach, liebe Mutter!
ich bin nun ſo fromm geworden, ſo fromm, wie ein Engel,
und du, Mariechen, magſt ſagen, was du willſt (ſie draͤuete
ihr mit der Fauſt), du haſt mir meinen Schaͤfer genommen,
du weideſt da in guter Ruh. — Aber, kannſt du das Liedchen:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0156" n="148"/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> mußte &#x017F;ich mit Gewalt halten, daß er nicht<lb/>
laut weinte und heulte. Sie &#x017F;tand oft gegen der Sonne<lb/>
u&#x0364;ber, &#x017F;ah &#x017F;ie za&#x0364;rtlich an und &#x017F;ang dann: <hi rendition="#g">Sonne, noch<lb/>
einmal blicke zuru&#x0364;cke</hi>! Ihr Ton war &#x017F;anft, wie einer<lb/>
Turteltaube, wenn &#x017F;ie vor dem Untergang der Sonne noch<lb/>
einmal girrt. Ich wu&#x0364;n&#x017F;chte, daß meine Le&#x017F;er nur die &#x017F;anfte<lb/>
harmoni&#x017F;che Melodien die&#x017F;es und anderer in die&#x017F;er Ge&#x017F;chichte<lb/>
vorkommenden Lieder geho&#x0364;rt ha&#x0364;tten, &#x017F;ie wu&#x0364;rden die&#x017F;elben dop-<lb/>
pelt empfinden; doch werde ich &#x017F;ie vielleicht derein&#x017F;ten auch<lb/>
drucken la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Endlich &#x017F;prang &#x017F;ie wieder an &#x017F;einen Arm und ging mit ihm<lb/>
fort. Du wein&#x017F;t, <hi rendition="#g">Faramund</hi>! &#x017F;agte &#x017F;ie, aber du beiße&#x017F;t<lb/>
mich doch nicht; heiß mich <hi rendition="#g">Lore</hi>, ich will dich <hi rendition="#g">Faramund</hi><lb/>
heißen, will&#x017F;t du? Ja! &#x017F;agte <hi rendition="#g">Stilling</hi> mit Thra&#x0364;nen, &#x017F;ey<lb/>
du <hi rendition="#g">Lore</hi>, ich bin <hi rendition="#g">Faramund</hi>. Arme <hi rendition="#g">Lore</hi>, was wird die<lb/>
Mutter &#x017F;agen?</p><lb/>
            <p>&#x201E;Hab&#x2019; ihr da &#x017F;o ein welkes Stra&#x0364;uschen gebunden, mein<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Faramund</hi>! aber du wein&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ich weine um Lore.</p><lb/>
            <p>&#x201E;<hi rendition="#g">Lore</hi> i&#x017F;t ein gutes Ma&#x0364;dchen. Bi&#x017F;t du wohl in der Ho&#x0364;lle<lb/>
&#x201E;gewe&#x017F;en, <hi rendition="#g">Faramund</hi>?&#x201C;</p><lb/>
            <p>Davor bewahre uns Gott.</p><lb/>
            <p>Nun griff &#x017F;ie &#x017F;eine rechte Hand, legte &#x017F;ie unter ihre linke<lb/>
Bru&#x017F;t und &#x017F;agte: Wie&#x2019;s da klopft! &#x2014; da i&#x017F;t die Ho&#x0364;lle &#x2014; da<lb/>
geho&#x0364;r&#x017F;t du hinein, <hi rendition="#g">Faramund</hi>! &#x2014; Sie knir&#x017F;chte auf den<lb/>
Za&#x0364;hnen, &#x017F;ah wild um &#x017F;ich her. Ja! fuhr &#x017F;ie fort, du bi&#x017F;t &#x017F;chon<lb/>
darinnen! &#x2014; aber &#x2014; wie ein bo&#x0364;&#x017F;er Engel! &#x2014; Hier hielt &#x017F;ie<lb/>
ein, weinte. Nein, &#x017F;agte &#x017F;ie, &#x017F;o nicht, &#x017F;o nicht!</p><lb/>
            <p>Unter dergleichen Reden, die dem guten <hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;charfe<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;er im Herzen waren, kamen &#x017F;ie nach Hau&#x017F;e. So wie<lb/>
&#x017F;ie u&#x0364;ber die Schwelle traten, kam <hi rendition="#g">Maria</hi> aus der Ku&#x0364;che und<lb/>
die Mutter aus der Stubenthu&#x0364;r heraus. <hi rendition="#g">Anna</hi> flog der Mut-<lb/>
ter um den Hals, ku&#x0364;ßte &#x017F;ie und &#x017F;agte: Ach, liebe Mutter!<lb/>
ich bin nun &#x017F;o fromm geworden, &#x017F;o fromm, wie ein Engel,<lb/>
und du, <hi rendition="#g">Mariechen</hi>, mag&#x017F;t &#x017F;agen, was du will&#x017F;t (&#x017F;ie dra&#x0364;uete<lb/>
ihr mit der Fau&#x017F;t), du ha&#x017F;t mir meinen Scha&#x0364;fer genommen,<lb/>
du weide&#x017F;t da in guter Ruh. &#x2014; Aber, kann&#x017F;t du das Liedchen:<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0156] Stilling mußte ſich mit Gewalt halten, daß er nicht laut weinte und heulte. Sie ſtand oft gegen der Sonne uͤber, ſah ſie zaͤrtlich an und ſang dann: Sonne, noch einmal blicke zuruͤcke! Ihr Ton war ſanft, wie einer Turteltaube, wenn ſie vor dem Untergang der Sonne noch einmal girrt. Ich wuͤnſchte, daß meine Leſer nur die ſanfte harmoniſche Melodien dieſes und anderer in dieſer Geſchichte vorkommenden Lieder gehoͤrt haͤtten, ſie wuͤrden dieſelben dop- pelt empfinden; doch werde ich ſie vielleicht dereinſten auch drucken laſſen. Endlich ſprang ſie wieder an ſeinen Arm und ging mit ihm fort. Du weinſt, Faramund! ſagte ſie, aber du beißeſt mich doch nicht; heiß mich Lore, ich will dich Faramund heißen, willſt du? Ja! ſagte Stilling mit Thraͤnen, ſey du Lore, ich bin Faramund. Arme Lore, was wird die Mutter ſagen? „Hab’ ihr da ſo ein welkes Straͤuschen gebunden, mein „Faramund! aber du weinſt?“ Ich weine um Lore. „Lore iſt ein gutes Maͤdchen. Biſt du wohl in der Hoͤlle „geweſen, Faramund?“ Davor bewahre uns Gott. Nun griff ſie ſeine rechte Hand, legte ſie unter ihre linke Bruſt und ſagte: Wie’s da klopft! — da iſt die Hoͤlle — da gehoͤrſt du hinein, Faramund! — Sie knirſchte auf den Zaͤhnen, ſah wild um ſich her. Ja! fuhr ſie fort, du biſt ſchon darinnen! — aber — wie ein boͤſer Engel! — Hier hielt ſie ein, weinte. Nein, ſagte ſie, ſo nicht, ſo nicht! Unter dergleichen Reden, die dem guten Stilling ſcharfe Meſſer im Herzen waren, kamen ſie nach Hauſe. So wie ſie uͤber die Schwelle traten, kam Maria aus der Kuͤche und die Mutter aus der Stubenthuͤr heraus. Anna flog der Mut- ter um den Hals, kuͤßte ſie und ſagte: Ach, liebe Mutter! ich bin nun ſo fromm geworden, ſo fromm, wie ein Engel, und du, Mariechen, magſt ſagen, was du willſt (ſie draͤuete ihr mit der Fauſt), du haſt mir meinen Schaͤfer genommen, du weideſt da in guter Ruh. — Aber, kannſt du das Liedchen:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/156
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/156>, abgerufen am 15.05.2024.