boren, in welcher er alles von außen Gegebene schnell sich aneignete und seiner eigenthümlichen Individualität gemäß durchbildete, aber auch Alles von sich stieß, was sich nicht bezwingen lassen, was nicht in seine eigenthümliche innere Welt passen wollte. Alles dieß wieß hin auf ein ihm ur- sprünglich eingeborenes inneres Leben, auf einen eigen- thümlich gestalteten schöpferischen Geist, welcher, statt von außen bestimmt zu werden, vielmehr allem von außen Gegebenen seine eigene Form, seinen eigenen Charakter aufdrückte. Nur die wenigen mystischen, unter dem reli- giösen Theil des Volkes vielfach cursirenden Schriften eines Paracelsus und Jakob Böhme waren die wissen- schaftlichen Werke, die in Stilling's Hände kamen. Aber er fühlte sich auch von dem tiefsinnigen Geiste des letztern tief, wie ein verwandter Geist, angesprochen. Durch die wunderbare phantastische Form, in welcher Böhme redete, und an welcher so Viele, als an der Hauptsache, hängen bleiben, drang er zum wahren und philosophischen Inhalte, dem verborgenen Kerne dieser Werke, und so schuf er sich frühe schon und beinahe selbstständig eine eigenthümliche Welt religiöser Gedanken und Gefühle, die er später bereichert und durchgebildet der Welt enthüllte.
Man denke sich nun diesen Geist und die äußere Lage, in welcher er sich befand, welch ein Widerspruch des Selbst- gefühls und seines Standes! Nirgends wollte es ihm daher auch glücken: von einer Stelle begab er sich zur andern, nie in dem seinem Geiste angemessenen Elemente sich be- findend, bis er sich endlich kühn und Gott vertrauend seine Bahn brach. Er versah zuerst die Stelle eines Schulmeisters in seinem Geburtsort, und erlernte daneben das Schnei- derhandwerk bei seinem Vater. Aber letzteres Geschäft ward ihm ganz zuwider: er fühlte sich zu etwas Edlerem berufen. Daher nahm er nach einander zwei Schulmeisters- stellen an, ohngeachtet auch diese ihm nicht zusagten. Beide mußte er bald wieder verlassen. Und so ging es auch in seinen spätern Jahren. Bald wird er wieder Schneider- geselle, bald Informator. Endlich schien ihm ein Stern bei einem Kaufmann aufzugehen, der ihn als Hauslehrer
boren, in welcher er alles von außen Gegebene ſchnell ſich aneignete und ſeiner eigenthümlichen Individualität gemäß durchbildete, aber auch Alles von ſich ſtieß, was ſich nicht bezwingen laſſen, was nicht in ſeine eigenthümliche innere Welt paſſen wollte. Alles dieß wieß hin auf ein ihm ur- ſprünglich eingeborenes inneres Leben, auf einen eigen- thümlich geſtalteten ſchöpferiſchen Geiſt, welcher, ſtatt von außen beſtimmt zu werden, vielmehr allem von außen Gegebenen ſeine eigene Form, ſeinen eigenen Charakter aufdrückte. Nur die wenigen myſtiſchen, unter dem reli- giöſen Theil des Volkes vielfach curſirenden Schriften eines Paracelſus und Jakob Böhme waren die wiſſen- ſchaftlichen Werke, die in Stilling’s Hände kamen. Aber er fühlte ſich auch von dem tiefſinnigen Geiſte des letztern tief, wie ein verwandter Geiſt, angeſprochen. Durch die wunderbare phantaſtiſche Form, in welcher Böhme redete, und an welcher ſo Viele, als an der Hauptſache, hängen bleiben, drang er zum wahren und philoſophiſchen Inhalte, dem verborgenen Kerne dieſer Werke, und ſo ſchuf er ſich frühe ſchon und beinahe ſelbſtſtändig eine eigenthümliche Welt religiöſer Gedanken und Gefühle, die er ſpäter bereichert und durchgebildet der Welt enthüllte.
Man denke ſich nun dieſen Geiſt und die äußere Lage, in welcher er ſich befand, welch ein Widerſpruch des Selbſt- gefühls und ſeines Standes! Nirgends wollte es ihm daher auch glücken: von einer Stelle begab er ſich zur andern, nie in dem ſeinem Geiſte angemeſſenen Elemente ſich be- findend, bis er ſich endlich kühn und Gott vertrauend ſeine Bahn brach. Er verſah zuerſt die Stelle eines Schulmeiſters in ſeinem Geburtsort, und erlernte daneben das Schnei- derhandwerk bei ſeinem Vater. Aber letzteres Geſchäft ward ihm ganz zuwider: er fühlte ſich zu etwas Edlerem berufen. Daher nahm er nach einander zwei Schulmeiſters- ſtellen an, ohngeachtet auch dieſe ihm nicht zuſagten. Beide mußte er bald wieder verlaſſen. Und ſo ging es auch in ſeinen ſpätern Jahren. Bald wird er wieder Schneider- geſelle, bald Informator. Endlich ſchien ihm ein Stern bei einem Kaufmann aufzugehen, der ihn als Hauslehrer
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[8/0016]
boren, in welcher er alles von außen Gegebene ſchnell ſich
aneignete und ſeiner eigenthümlichen Individualität gemäß
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bezwingen laſſen, was nicht in ſeine eigenthümliche innere
Welt paſſen wollte. Alles dieß wieß hin auf ein ihm ur-
ſprünglich eingeborenes inneres Leben, auf einen eigen-
thümlich geſtalteten ſchöpferiſchen Geiſt, welcher, ſtatt von
außen beſtimmt zu werden, vielmehr allem von außen
Gegebenen ſeine eigene Form, ſeinen eigenen Charakter
aufdrückte. Nur die wenigen myſtiſchen, unter dem reli-
giöſen Theil des Volkes vielfach curſirenden Schriften
eines Paracelſus und Jakob Böhme waren die wiſſen-
ſchaftlichen Werke, die in Stilling’s Hände kamen. Aber
er fühlte ſich auch von dem tiefſinnigen Geiſte des letztern
tief, wie ein verwandter Geiſt, angeſprochen. Durch die
wunderbare phantaſtiſche Form, in welcher Böhme redete,
und an welcher ſo Viele, als an der Hauptſache, hängen
bleiben, drang er zum wahren und philoſophiſchen Inhalte,
dem verborgenen Kerne dieſer Werke, und ſo ſchuf er ſich
frühe ſchon und beinahe ſelbſtſtändig eine eigenthümliche
Welt religiöſer Gedanken und Gefühle, die er ſpäter
bereichert und durchgebildet der Welt enthüllte.
Man denke ſich nun dieſen Geiſt und die äußere Lage,
in welcher er ſich befand, welch ein Widerſpruch des Selbſt-
gefühls und ſeines Standes! Nirgends wollte es ihm daher
auch glücken: von einer Stelle begab er ſich zur andern,
nie in dem ſeinem Geiſte angemeſſenen Elemente ſich be-
findend, bis er ſich endlich kühn und Gott vertrauend ſeine
Bahn brach. Er verſah zuerſt die Stelle eines Schulmeiſters
in ſeinem Geburtsort, und erlernte daneben das Schnei-
derhandwerk bei ſeinem Vater. Aber letzteres Geſchäft
ward ihm ganz zuwider: er fühlte ſich zu etwas Edlerem
berufen. Daher nahm er nach einander zwei Schulmeiſters-
ſtellen an, ohngeachtet auch dieſe ihm nicht zuſagten. Beide
mußte er bald wieder verlaſſen. Und ſo ging es auch in
ſeinen ſpätern Jahren. Bald wird er wieder Schneider-
geſelle, bald Informator. Endlich ſchien ihm ein Stern
bei einem Kaufmann aufzugehen, der ihn als Hauslehrer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/16>, abgerufen am 30.01.2025.
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