zu sich berief, und bei welchem er sieben Jahre lang ver- weilte. Hier las er Milton's verlorenes Paradies, Young's Nachtgedanken, Klopstock's Messiade, Wolf und Leibnitz. In beider Philosophie sah er wohl eine fortlaufende Kette von Wahrheiten, aber das Princip, von welchem diese Folgerungen ausgingen, schien ihm falsch: das wahre, glaubte er, müsse erst gefunden werden, und dann sey die wahre Philosophie gegeben.
Hier indeß, als er in seinem 28sten Jahre stund, ging die große Wendung seines Lebens vor sich, durch die er aus der Dunkelheit gerissen wurde, um als einer der ersten Sterne am wissenschaftlichen Horizonte zu glänzen. Merk- würdig ist auch hier die Art und Weise dieser Wendung seines Lebens. In Reizens Historie der Wiedergeborenen las er einst zum Zeitvertreib, und als er hier das Wort Eilikrinnia fand, so stund dieses vor ihm, "als wenn es im Glanze gelegen hätte; dabei fühlte er einen unwider- stehlichen Trieb, die griechische Sprache zu lernen, und einen verborgenen starken Zug zu Etwas, das er noch gar nicht kannte, aber auch nicht zu sagen wußte, was es war. Er besann sich und dachte: Was will ich doch mit der griechischen Sprache machen? Wozu wird sie mir nützen? Allein alle Einwendungen der Vernunft waren fruchtlos, sein Trieb war so groß und die Lust so heftig, daß er nicht genug eilen konnte, um zum Anfange zu kommen." Wirklich erlernte er sie im 28sten Jahre seines Lebens, und zwar mit erstaunlicher Fertigkeit. Als ihm bald dar- auf sein Principal rieth, Medicin zu studiren, da rief er ganz bewegt aus: Was soll ich sagen? Ja ich fühle in meiner Seele, das ist das große Ding, das immer vor mir verborgen gewesen, das ich so lange gesucht und nicht habe finden können.
Sofort ging er, nachdem er sich einige Zeit auf sein Stu- dium vorbereitet hatte, auf die Universität nach Straßburg, ohne irgend eine entfernte Aussicht, wie er dieses kostspielige Studium werde bestreiten können. Aber er vertraute seinem Gotte, wie er sagte, seinem reichen Vater im Himmel. Und wirklich, so oft er auch in dringende Geldverlegenheiten kam, jedes Mal erschien ihm in der Stunde der höchsten
zu ſich berief, und bei welchem er ſieben Jahre lang ver- weilte. Hier las er Milton’s verlorenes Paradies, Young’s Nachtgedanken, Klopſtock’s Meſſiade, Wolf und Leibnitz. In beider Philoſophie ſah er wohl eine fortlaufende Kette von Wahrheiten, aber das Princip, von welchem dieſe Folgerungen ausgingen, ſchien ihm falſch: das wahre, glaubte er, müſſe erſt gefunden werden, und dann ſey die wahre Philoſophie gegeben.
Hier indeß, als er in ſeinem 28ſten Jahre ſtund, ging die große Wendung ſeines Lebens vor ſich, durch die er aus der Dunkelheit geriſſen wurde, um als einer der erſten Sterne am wiſſenſchaftlichen Horizonte zu glänzen. Merk- würdig iſt auch hier die Art und Weiſe dieſer Wendung ſeines Lebens. In Reizens Hiſtorie der Wiedergeborenen las er einſt zum Zeitvertreib, und als er hier das Wort Eilikrinnia fand, ſo ſtund dieſes vor ihm, „als wenn es im Glanze gelegen hätte; dabei fühlte er einen unwider- ſtehlichen Trieb, die griechiſche Sprache zu lernen, und einen verborgenen ſtarken Zug zu Etwas, das er noch gar nicht kannte, aber auch nicht zu ſagen wußte, was es war. Er beſann ſich und dachte: Was will ich doch mit der griechiſchen Sprache machen? Wozu wird ſie mir nützen? Allein alle Einwendungen der Vernunft waren fruchtlos, ſein Trieb war ſo groß und die Luſt ſo heftig, daß er nicht genug eilen konnte, um zum Anfange zu kommen.“ Wirklich erlernte er ſie im 28ſten Jahre ſeines Lebens, und zwar mit erſtaunlicher Fertigkeit. Als ihm bald dar- auf ſein Principal rieth, Medicin zu ſtudiren, da rief er ganz bewegt aus: Was ſoll ich ſagen? Ja ich fühle in meiner Seele, das iſt das große Ding, das immer vor mir verborgen geweſen, das ich ſo lange geſucht und nicht habe finden können.
Sofort ging er, nachdem er ſich einige Zeit auf ſein Stu- dium vorbereitet hatte, auf die Univerſität nach Straßburg, ohne irgend eine entfernte Ausſicht, wie er dieſes koſtſpielige Studium werde beſtreiten können. Aber er vertraute ſeinem Gotte, wie er ſagte, ſeinem reichen Vater im Himmel. Und wirklich, ſo oft er auch in dringende Geldverlegenheiten kam, jedes Mal erſchien ihm in der Stunde der höchſten
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[9/0017]
zu ſich berief, und bei welchem er ſieben Jahre lang ver-
weilte. Hier las er Milton’s verlorenes Paradies, Young’s
Nachtgedanken, Klopſtock’s Meſſiade, Wolf und Leibnitz.
In beider Philoſophie ſah er wohl eine fortlaufende Kette
von Wahrheiten, aber das Princip, von welchem dieſe
Folgerungen ausgingen, ſchien ihm falſch: das wahre,
glaubte er, müſſe erſt gefunden werden, und dann ſey die
wahre Philoſophie gegeben.
Hier indeß, als er in ſeinem 28ſten Jahre ſtund, ging
die große Wendung ſeines Lebens vor ſich, durch die er
aus der Dunkelheit geriſſen wurde, um als einer der erſten
Sterne am wiſſenſchaftlichen Horizonte zu glänzen. Merk-
würdig iſt auch hier die Art und Weiſe dieſer Wendung
ſeines Lebens. In Reizens Hiſtorie der Wiedergeborenen
las er einſt zum Zeitvertreib, und als er hier das Wort
Eilikrinnia fand, ſo ſtund dieſes vor ihm, „als wenn es
im Glanze gelegen hätte; dabei fühlte er einen unwider-
ſtehlichen Trieb, die griechiſche Sprache zu lernen, und
einen verborgenen ſtarken Zug zu Etwas, das er noch gar
nicht kannte, aber auch nicht zu ſagen wußte, was es war.
Er beſann ſich und dachte: Was will ich doch mit der
griechiſchen Sprache machen? Wozu wird ſie mir nützen?
Allein alle Einwendungen der Vernunft waren fruchtlos,
ſein Trieb war ſo groß und die Luſt ſo heftig, daß er
nicht genug eilen konnte, um zum Anfange zu kommen.“
Wirklich erlernte er ſie im 28ſten Jahre ſeines Lebens,
und zwar mit erſtaunlicher Fertigkeit. Als ihm bald dar-
auf ſein Principal rieth, Medicin zu ſtudiren, da rief er
ganz bewegt aus: Was ſoll ich ſagen? Ja ich fühle in meiner
Seele, das iſt das große Ding, das immer vor mir verborgen
geweſen, das ich ſo lange geſucht und nicht habe finden können.
Sofort ging er, nachdem er ſich einige Zeit auf ſein Stu-
dium vorbereitet hatte, auf die Univerſität nach Straßburg,
ohne irgend eine entfernte Ausſicht, wie er dieſes koſtſpielige
Studium werde beſtreiten können. Aber er vertraute ſeinem
Gotte, wie er ſagte, ſeinem reichen Vater im Himmel. Und
wirklich, ſo oft er auch in dringende Geldverlegenheiten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/17>, abgerufen am 21.11.2024.
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