Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

sich seine ganze Seele dagegen empörte; er sagte dann auch
wohl zuweilen, wenn Wilhelm so etwas vermuthete: Ich
glaube nicht, daß mich Gott in diesem Leben zu
einer beständigen Hölle verdammet habe
!

Es war nunmehr Herbst und die Feldarbeit mehrentheils
vorbei, daher mußte er fast immer auf dem Handwerk arbei-
ten, und dieses war ihm auch lieber, seine Glieder konnten es
besser aushalten. Dennoch aber fand sich seine tiefe Traurig-
keit bald wieder ein, er war wie in einem fremden Lande,
von allen Menschen verlassen. Dieses Leiden hatte so etwas
ganz Besonderes und Unbeschreibliches; das Einzige, was ich
nie habe begreifen können, war dieses: Sobald die Sonne
schien, fühlte er sein Leiden doppelt; Licht und Schatten des
Herbstes brachte ihm so ein unaussprechliches Gefühl in seine
Seele, daß er vor Wehmuth oft zu vergehen glaubte, hingegen
wenn es regnigt Wetter und stürmisch war, so befand er sich
besser, es war ihm, als wenn er in einer dunkeln Felsenkluft
säße, er fühlte dann eine verborgene Sicherheit, wobei es ihm
wohl war. Ich hab' unter seinen alten Papieren noch einen
Aufsatz gefunden, den er diesen Herbst im Oktober an einem
Sonntag Nachmittag verfertigt hat; es heißt unter anderem
darin:

Gelb ist die Trauerfarbe
Der sterbenden Natur,
Gelb ist der Sonnenstrahl,
Er kommt so schilf aus Süden,
Und lagert sich so müde
Längs Feld und Berge hin:
Die kalten Schatten wachsen,
Auf den erblaßten Rasen
Wird's grau von Frost und Reif;
Der Ost ist scharf und herbe
Er stößt die falben Blätter,
Sie nieseln auf den Frost u. s. w.

An einem andern Orte heißt es:

Wenn ich des Nachts erwache
So heult's im Loch der Eulen,

ſich ſeine ganze Seele dagegen empoͤrte; er ſagte dann auch
wohl zuweilen, wenn Wilhelm ſo etwas vermuthete: Ich
glaube nicht, daß mich Gott in dieſem Leben zu
einer beſtaͤndigen Hoͤlle verdammet habe
!

Es war nunmehr Herbſt und die Feldarbeit mehrentheils
vorbei, daher mußte er faſt immer auf dem Handwerk arbei-
ten, und dieſes war ihm auch lieber, ſeine Glieder konnten es
beſſer aushalten. Dennoch aber fand ſich ſeine tiefe Traurig-
keit bald wieder ein, er war wie in einem fremden Lande,
von allen Menſchen verlaſſen. Dieſes Leiden hatte ſo etwas
ganz Beſonderes und Unbeſchreibliches; das Einzige, was ich
nie habe begreifen koͤnnen, war dieſes: Sobald die Sonne
ſchien, fuͤhlte er ſein Leiden doppelt; Licht und Schatten des
Herbſtes brachte ihm ſo ein unausſprechliches Gefuͤhl in ſeine
Seele, daß er vor Wehmuth oft zu vergehen glaubte, hingegen
wenn es regnigt Wetter und ſtuͤrmiſch war, ſo befand er ſich
beſſer, es war ihm, als wenn er in einer dunkeln Felſenkluft
ſaͤße, er fuͤhlte dann eine verborgene Sicherheit, wobei es ihm
wohl war. Ich hab’ unter ſeinen alten Papieren noch einen
Aufſatz gefunden, den er dieſen Herbſt im Oktober an einem
Sonntag Nachmittag verfertigt hat; es heißt unter anderem
darin:

Gelb iſt die Trauerfarbe
Der ſterbenden Natur,
Gelb iſt der Sonnenſtrahl,
Er kommt ſo ſchilf aus Süden,
Und lagert ſich ſo müde
Längs Feld und Berge hin:
Die kalten Schatten wachſen,
Auf den erblaßten Raſen
Wird’s grau von Froſt und Reif;
Der Oſt iſt ſcharf und herbe
Er ſtoͤßt die falben Blaͤtter,
Sie nieſeln auf den Froſt u. ſ. w.

An einem andern Orte heißt es:

Wenn ich des Nachts erwache
So heult’s im Loch der Eulen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0162" n="154"/>
&#x017F;ich &#x017F;eine ganze Seele dagegen empo&#x0364;rte; er &#x017F;agte dann auch<lb/>
wohl zuweilen, wenn <hi rendition="#g">Wilhelm</hi> &#x017F;o etwas vermuthete: <hi rendition="#g">Ich<lb/>
glaube nicht, daß mich Gott in die&#x017F;em Leben zu<lb/>
einer be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ho&#x0364;lle verdammet habe</hi>!</p><lb/>
            <p>Es war nunmehr Herb&#x017F;t und die Feldarbeit mehrentheils<lb/>
vorbei, daher mußte er fa&#x017F;t immer auf dem Handwerk arbei-<lb/>
ten, und die&#x017F;es war ihm auch lieber, &#x017F;eine Glieder konnten es<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er aushalten. Dennoch aber fand &#x017F;ich &#x017F;eine tiefe Traurig-<lb/>
keit bald wieder ein, er war wie in einem fremden Lande,<lb/>
von allen Men&#x017F;chen verla&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;es Leiden hatte &#x017F;o etwas<lb/>
ganz Be&#x017F;onderes und Unbe&#x017F;chreibliches; das Einzige, was ich<lb/>
nie habe begreifen ko&#x0364;nnen, war die&#x017F;es: Sobald die Sonne<lb/>
&#x017F;chien, fu&#x0364;hlte er &#x017F;ein Leiden doppelt; Licht und Schatten des<lb/>
Herb&#x017F;tes brachte ihm &#x017F;o ein unaus&#x017F;prechliches Gefu&#x0364;hl in &#x017F;eine<lb/>
Seele, daß er vor Wehmuth oft zu vergehen glaubte, hingegen<lb/>
wenn es regnigt Wetter und &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;ch war, &#x017F;o befand er &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, es war ihm, als wenn er in einer dunkeln Fel&#x017F;enkluft<lb/>
&#x017F;a&#x0364;ße, er fu&#x0364;hlte dann eine verborgene Sicherheit, wobei es ihm<lb/>
wohl war. Ich hab&#x2019; unter &#x017F;einen alten Papieren noch einen<lb/>
Auf&#x017F;atz gefunden, den er die&#x017F;en Herb&#x017F;t im Oktober an einem<lb/>
Sonntag Nachmittag verfertigt hat; es heißt unter anderem<lb/>
darin:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Gelb i&#x017F;t die Trauerfarbe</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;terbenden Natur,</l><lb/>
              <l>Gelb i&#x017F;t der Sonnen&#x017F;trahl,</l><lb/>
              <l>Er kommt &#x017F;o &#x017F;chilf aus Süden,</l><lb/>
              <l>Und lagert &#x017F;ich &#x017F;o müde</l><lb/>
              <l>Längs Feld und Berge hin:</l><lb/>
              <l>Die kalten Schatten wach&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Auf den erblaßten Ra&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Wird&#x2019;s grau von Fro&#x017F;t und Reif;</l><lb/>
              <l>Der O&#x017F;t i&#x017F;t &#x017F;charf und herbe</l><lb/>
              <l>Er &#x017F;to&#x0364;ßt die falben Bla&#x0364;tter,</l><lb/>
              <l>Sie nie&#x017F;eln auf den Fro&#x017F;t u. &#x017F;. w.</l>
            </lg><lb/>
            <p>An einem andern Orte heißt es:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Wenn ich des Nachts erwache</l><lb/>
              <l>So heult&#x2019;s im Loch der Eulen,</l><lb/>
              <l>
</l>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0162] ſich ſeine ganze Seele dagegen empoͤrte; er ſagte dann auch wohl zuweilen, wenn Wilhelm ſo etwas vermuthete: Ich glaube nicht, daß mich Gott in dieſem Leben zu einer beſtaͤndigen Hoͤlle verdammet habe! Es war nunmehr Herbſt und die Feldarbeit mehrentheils vorbei, daher mußte er faſt immer auf dem Handwerk arbei- ten, und dieſes war ihm auch lieber, ſeine Glieder konnten es beſſer aushalten. Dennoch aber fand ſich ſeine tiefe Traurig- keit bald wieder ein, er war wie in einem fremden Lande, von allen Menſchen verlaſſen. Dieſes Leiden hatte ſo etwas ganz Beſonderes und Unbeſchreibliches; das Einzige, was ich nie habe begreifen koͤnnen, war dieſes: Sobald die Sonne ſchien, fuͤhlte er ſein Leiden doppelt; Licht und Schatten des Herbſtes brachte ihm ſo ein unausſprechliches Gefuͤhl in ſeine Seele, daß er vor Wehmuth oft zu vergehen glaubte, hingegen wenn es regnigt Wetter und ſtuͤrmiſch war, ſo befand er ſich beſſer, es war ihm, als wenn er in einer dunkeln Felſenkluft ſaͤße, er fuͤhlte dann eine verborgene Sicherheit, wobei es ihm wohl war. Ich hab’ unter ſeinen alten Papieren noch einen Aufſatz gefunden, den er dieſen Herbſt im Oktober an einem Sonntag Nachmittag verfertigt hat; es heißt unter anderem darin: Gelb iſt die Trauerfarbe Der ſterbenden Natur, Gelb iſt der Sonnenſtrahl, Er kommt ſo ſchilf aus Süden, Und lagert ſich ſo müde Längs Feld und Berge hin: Die kalten Schatten wachſen, Auf den erblaßten Raſen Wird’s grau von Froſt und Reif; Der Oſt iſt ſcharf und herbe Er ſtoͤßt die falben Blaͤtter, Sie nieſeln auf den Froſt u. ſ. w. An einem andern Orte heißt es: Wenn ich des Nachts erwache So heult’s im Loch der Eulen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/162
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/162>, abgerufen am 09.11.2024.