mich beständig glücklich zu machen! Hab ich doch keine an- dere Absicht, als ein rechtschaffener Mann zu werden! Nun befahl er sich Gott und wanderte mit seinem Bündel auf Lein- dorf zu.
Nach dem Verlauf von zwei Stunden kam er daselbst an. Wilhelm sah ihn zornig an, als er zur Thür hereintrat; das ging ihm durch die Seele; seine Mutter aber sah ihn gar nicht an, er setzte sich hin und wußte nicht, wie ihm war. Endlich fing sein Vater an: "Bist du wieder da, ungerathe- "ner Junge? Ich hab' mir eitle Freuden deinetwegen gemacht, "was helfen dich deine brodlosen Künste? -- Das Handwerk "ist dir zuwider, sitzest da, seufzend und seufzend, und wenn "du Schulmeister bist, so wills nirgends fort. Zu Zellberg "warst' ein Kind und hattest kindische Anschläge, darum gab "man dir was zu; zu Dorlingen warst' ein Schuhputzer, "sogar kein Salz und Kraft hast' bei dir; hier zu Leindorf "ärgertest du die Leute mit Sächelchen, die weder dir noch "Andern nützten, und zu Preisingen mußt' entfliehen, um "so eben deine Ehre zu retten! Was willst' nun hier machen? "-- Du mußt Handwerk und Feldarbeit ordentlich verrich- "ten, oder ich kann dich nicht brauchen." Stilling seufzte tief und antwortete: Vater! ich fühl' es in meiner Seele, daß ich unschuldig bin, ich kann mich aber nicht rechtfertigen; Gott im Himmel weiß alles! Ich muß zufrieden seyn, was er über mich verhängen wird. Aber:
Endlich wird das frohe Jahr Der erwünschten Freiheit kommen!
Es wär' doch entsetzlich, wenn mir Gott Triebe und Nei- gungen in die Seele gelegt hätte, und seine Vorsehung ver- weigerte mir, so lang ich lebe, die Befriedigung derselben!
Wilhelm schwieg und legte ihm ein Stück Arbeit vor. Er setzte sich hin und fing wieder an zu arbeiten; er hatte ein so gutes Geschicke dazu, daß sein Vater oft zu zweifeln anfing, ob er nicht gar von Gott zum Schneider bestimmt sey. Dieser Gedanke aber war Stillingen so unerträglich, daß
mich beſtaͤndig gluͤcklich zu machen! Hab ich doch keine an- dere Abſicht, als ein rechtſchaffener Mann zu werden! Nun befahl er ſich Gott und wanderte mit ſeinem Buͤndel auf Lein- dorf zu.
Nach dem Verlauf von zwei Stunden kam er daſelbſt an. Wilhelm ſah ihn zornig an, als er zur Thuͤr hereintrat; das ging ihm durch die Seele; ſeine Mutter aber ſah ihn gar nicht an, er ſetzte ſich hin und wußte nicht, wie ihm war. Endlich fing ſein Vater an: „Biſt du wieder da, ungerathe- „ner Junge? Ich hab’ mir eitle Freuden deinetwegen gemacht, „was helfen dich deine brodloſen Kuͤnſte? — Das Handwerk „iſt dir zuwider, ſitzeſt da, ſeufzend und ſeufzend, und wenn „du Schulmeiſter biſt, ſo wills nirgends fort. Zu Zellberg „warſt’ ein Kind und hatteſt kindiſche Anſchlaͤge, darum gab „man dir was zu; zu Dorlingen warſt’ ein Schuhputzer, „ſogar kein Salz und Kraft haſt’ bei dir; hier zu Leindorf „aͤrgerteſt du die Leute mit Saͤchelchen, die weder dir noch „Andern nuͤtzten, und zu Preiſingen mußt’ entfliehen, um „ſo eben deine Ehre zu retten! Was willſt’ nun hier machen? „— Du mußt Handwerk und Feldarbeit ordentlich verrich- „ten, oder ich kann dich nicht brauchen.“ Stilling ſeufzte tief und antwortete: Vater! ich fuͤhl’ es in meiner Seele, daß ich unſchuldig bin, ich kann mich aber nicht rechtfertigen; Gott im Himmel weiß alles! Ich muß zufrieden ſeyn, was er uͤber mich verhaͤngen wird. Aber:
Endlich wird das frohe Jahr Der erwünſchten Freiheit kommen!
Es waͤr’ doch entſetzlich, wenn mir Gott Triebe und Nei- gungen in die Seele gelegt haͤtte, und ſeine Vorſehung ver- weigerte mir, ſo lang ich lebe, die Befriedigung derſelben!
Wilhelm ſchwieg und legte ihm ein Stuͤck Arbeit vor. Er ſetzte ſich hin und fing wieder an zu arbeiten; er hatte ein ſo gutes Geſchicke dazu, daß ſein Vater oft zu zweifeln anfing, ob er nicht gar von Gott zum Schneider beſtimmt ſey. Dieſer Gedanke aber war Stillingen ſo unertraͤglich, daß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0161"n="153"/>
mich <hirendition="#g">beſtaͤndig</hi> gluͤcklich zu machen! Hab ich doch keine an-<lb/>
dere Abſicht, als ein rechtſchaffener Mann zu werden! Nun<lb/>
befahl er ſich Gott und wanderte mit ſeinem Buͤndel auf <hirendition="#g">Lein-<lb/>
dorf</hi> zu.</p><lb/><p>Nach dem Verlauf von zwei Stunden kam er daſelbſt an.<lb/><hirendition="#g">Wilhelm</hi>ſah ihn zornig an, als er zur Thuͤr hereintrat;<lb/>
das ging ihm durch die Seele; ſeine Mutter aber ſah ihn<lb/>
gar nicht an, er ſetzte ſich hin und wußte nicht, wie ihm war.<lb/>
Endlich fing ſein Vater an: „Biſt du wieder da, ungerathe-<lb/>„ner Junge? Ich hab’ mir eitle Freuden deinetwegen gemacht,<lb/>„was helfen dich deine brodloſen Kuͤnſte? — Das Handwerk<lb/>„iſt dir zuwider, ſitzeſt da, ſeufzend und ſeufzend, und wenn<lb/>„du Schulmeiſter biſt, ſo wills nirgends fort. Zu <hirendition="#g">Zellberg</hi><lb/>„warſt’ ein Kind und hatteſt kindiſche Anſchlaͤge, darum gab<lb/>„man dir was zu; zu <hirendition="#g">Dorlingen</hi> warſt’ ein Schuhputzer,<lb/>„ſogar kein Salz und Kraft haſt’ bei dir; hier zu <hirendition="#g">Leindorf</hi><lb/>„aͤrgerteſt du die Leute mit Saͤchelchen, die weder dir noch<lb/>„Andern nuͤtzten, und zu <hirendition="#g">Preiſingen</hi> mußt’ entfliehen, um<lb/>„ſo eben deine Ehre zu retten! Was willſt’ nun hier machen?<lb/>„— Du mußt Handwerk und Feldarbeit ordentlich verrich-<lb/>„ten, oder ich kann dich nicht brauchen.“<hirendition="#g">Stilling</hi>ſeufzte<lb/>
tief und antwortete: Vater! ich fuͤhl’ es in meiner Seele,<lb/>
daß ich unſchuldig bin, ich kann mich aber nicht rechtfertigen;<lb/>
Gott im Himmel weiß alles! Ich muß zufrieden ſeyn, was<lb/>
er uͤber mich verhaͤngen wird. Aber:</p><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#g">Endlich wird das frohe Jahr</hi></l><lb/><l><hirendition="#g">Der erwünſchten Freiheit kommen</hi>!</l></lg><lb/><p>Es waͤr’ doch entſetzlich, wenn mir Gott Triebe und Nei-<lb/>
gungen in die Seele gelegt haͤtte, und ſeine Vorſehung ver-<lb/>
weigerte mir, ſo lang ich lebe, die Befriedigung derſelben!</p><lb/><p><hirendition="#g">Wilhelm</hi>ſchwieg und legte ihm ein Stuͤck Arbeit vor.<lb/>
Er ſetzte ſich hin und fing wieder an zu arbeiten; er hatte<lb/>
ein ſo gutes Geſchicke dazu, daß ſein Vater oft zu zweifeln<lb/>
anfing, ob er nicht gar von Gott zum Schneider beſtimmt ſey.<lb/>
Dieſer Gedanke aber war <hirendition="#g">Stillingen</hi>ſo unertraͤglich, daß<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[153/0161]
mich beſtaͤndig gluͤcklich zu machen! Hab ich doch keine an-
dere Abſicht, als ein rechtſchaffener Mann zu werden! Nun
befahl er ſich Gott und wanderte mit ſeinem Buͤndel auf Lein-
dorf zu.
Nach dem Verlauf von zwei Stunden kam er daſelbſt an.
Wilhelm ſah ihn zornig an, als er zur Thuͤr hereintrat;
das ging ihm durch die Seele; ſeine Mutter aber ſah ihn
gar nicht an, er ſetzte ſich hin und wußte nicht, wie ihm war.
Endlich fing ſein Vater an: „Biſt du wieder da, ungerathe-
„ner Junge? Ich hab’ mir eitle Freuden deinetwegen gemacht,
„was helfen dich deine brodloſen Kuͤnſte? — Das Handwerk
„iſt dir zuwider, ſitzeſt da, ſeufzend und ſeufzend, und wenn
„du Schulmeiſter biſt, ſo wills nirgends fort. Zu Zellberg
„warſt’ ein Kind und hatteſt kindiſche Anſchlaͤge, darum gab
„man dir was zu; zu Dorlingen warſt’ ein Schuhputzer,
„ſogar kein Salz und Kraft haſt’ bei dir; hier zu Leindorf
„aͤrgerteſt du die Leute mit Saͤchelchen, die weder dir noch
„Andern nuͤtzten, und zu Preiſingen mußt’ entfliehen, um
„ſo eben deine Ehre zu retten! Was willſt’ nun hier machen?
„— Du mußt Handwerk und Feldarbeit ordentlich verrich-
„ten, oder ich kann dich nicht brauchen.“ Stilling ſeufzte
tief und antwortete: Vater! ich fuͤhl’ es in meiner Seele,
daß ich unſchuldig bin, ich kann mich aber nicht rechtfertigen;
Gott im Himmel weiß alles! Ich muß zufrieden ſeyn, was
er uͤber mich verhaͤngen wird. Aber:
Endlich wird das frohe Jahr
Der erwünſchten Freiheit kommen!
Es waͤr’ doch entſetzlich, wenn mir Gott Triebe und Nei-
gungen in die Seele gelegt haͤtte, und ſeine Vorſehung ver-
weigerte mir, ſo lang ich lebe, die Befriedigung derſelben!
Wilhelm ſchwieg und legte ihm ein Stuͤck Arbeit vor.
Er ſetzte ſich hin und fing wieder an zu arbeiten; er hatte
ein ſo gutes Geſchicke dazu, daß ſein Vater oft zu zweifeln
anfing, ob er nicht gar von Gott zum Schneider beſtimmt ſey.
Dieſer Gedanke aber war Stillingen ſo unertraͤglich, daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/161>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.