Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

"ten sich einen andern Schulmeister wählen. Ihr bleibt als-
"dann in Ehren und es wird nicht lange währen, so werdet
"ihr eine bessere Schule bekommen, als diese, die ihr bedient
"habt. Ich werde euch indessen lieb haben und sorgen, daß
"ihr glücklich werden mögt, so viel ich nur kann."

Diese Rede drang Stilling durch Mark und Bein, er
wurde blaß und die Thränen standen ihm in den Augen. Er
hatte sich die Sache vorgestellt, wie sie war, und nicht, wie
sie ausgelegt werden könnte; doch sah er ein, daß sein Vetter
ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm
sich vor, in Zukunft äußerst behutsam zu seyn. Doch bedauerte
er bei sich selber, daß seine mehrsten Amtsbrüder mit weniger
Geschicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Glück genößen,
als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu
thun, was doch wohl der himmlische Vater noch mit ihm vor-
haben möchte. Als er nach Haus kam, kündigte er mit innig-
ster Wehmuth seiner Gemeinde an, daß er abdanken wollte.
Der größte Theil erstaunte, der böseste Theil aber war froh,
denn sie hatten schon Jemand im Vorschlag, der sich besser
zu ihren Absichten schickte, und nun hinderte sie Niemand mehr,
dieselben zu erreichen. Die Frau Schmoll und ihre Töchtern
konnten sich am übelsten darein finden, denn Erstere liebte ihn,
und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund-
schaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder hätte in erstern
Brand gerathen können, wenn er sich zärtlicher gegen sie ausge-
lassen, oder daß sie eine andere Möglichkeit, den erwünschten
Zweck zu erreichen, geäußert hätte. Sie weinten alle drei und
fürchteten den Tag des Abschiedes; doch der kam mehr als
zu früh. Die Mädchen versanken in stummen Schmerz, Frau
Schmoll aber weinte; Stilling ging wie ein Trunkener;
sie hielten an ihm an, sie oft zu besuchen; er versprach das
und taumelte wieder mitternachtwärts den Berg hinauf; auf
der Höhe sah er sich nochmals nach seinem lieben Preisin-
gen
um, setzte sich hin und weinte. Ja! dachte er, Lampe
singt wohl recht: Mein Leben ist ein Pilgrimstand
-- Da geh' ich schon das drittemal wieder an das Schneider-
handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,

„ten ſich einen andern Schulmeiſter waͤhlen. Ihr bleibt als-
„dann in Ehren und es wird nicht lange waͤhren, ſo werdet
„ihr eine beſſere Schule bekommen, als dieſe, die ihr bedient
„habt. Ich werde euch indeſſen lieb haben und ſorgen, daß
„ihr gluͤcklich werden moͤgt, ſo viel ich nur kann.“

Dieſe Rede drang Stilling durch Mark und Bein, er
wurde blaß und die Thraͤnen ſtanden ihm in den Augen. Er
hatte ſich die Sache vorgeſtellt, wie ſie war, und nicht, wie
ſie ausgelegt werden koͤnnte; doch ſah er ein, daß ſein Vetter
ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm
ſich vor, in Zukunft aͤußerſt behutſam zu ſeyn. Doch bedauerte
er bei ſich ſelber, daß ſeine mehrſten Amtsbruͤder mit weniger
Geſchicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Gluͤck genoͤßen,
als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu
thun, was doch wohl der himmliſche Vater noch mit ihm vor-
haben moͤchte. Als er nach Haus kam, kuͤndigte er mit innig-
ſter Wehmuth ſeiner Gemeinde an, daß er abdanken wollte.
Der groͤßte Theil erſtaunte, der boͤſeſte Theil aber war froh,
denn ſie hatten ſchon Jemand im Vorſchlag, der ſich beſſer
zu ihren Abſichten ſchickte, und nun hinderte ſie Niemand mehr,
dieſelben zu erreichen. Die Frau Schmoll und ihre Toͤchtern
konnten ſich am uͤbelſten darein finden, denn Erſtere liebte ihn,
und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund-
ſchaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder haͤtte in erſtern
Brand gerathen koͤnnen, wenn er ſich zaͤrtlicher gegen ſie ausge-
laſſen, oder daß ſie eine andere Moͤglichkeit, den erwuͤnſchten
Zweck zu erreichen, geaͤußert haͤtte. Sie weinten alle drei und
fuͤrchteten den Tag des Abſchiedes; doch der kam mehr als
zu fruͤh. Die Maͤdchen verſanken in ſtummen Schmerz, Frau
Schmoll aber weinte; Stilling ging wie ein Trunkener;
ſie hielten an ihm an, ſie oft zu beſuchen; er verſprach das
und taumelte wieder mitternachtwaͤrts den Berg hinauf; auf
der Hoͤhe ſah er ſich nochmals nach ſeinem lieben Preiſin-
gen
um, ſetzte ſich hin und weinte. Ja! dachte er, Lampe
ſingt wohl recht: Mein Leben iſt ein Pilgrimſtand
— Da geh’ ich ſchon das drittemal wieder an das Schneider-
handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0160" n="152"/>
&#x201E;ten &#x017F;ich einen andern Schulmei&#x017F;ter wa&#x0364;hlen. Ihr bleibt als-<lb/>
&#x201E;dann in Ehren und es wird nicht lange wa&#x0364;hren, &#x017F;o werdet<lb/>
&#x201E;ihr eine be&#x017F;&#x017F;ere Schule bekommen, als die&#x017F;e, die ihr bedient<lb/>
&#x201E;habt. Ich werde euch inde&#x017F;&#x017F;en lieb haben und &#x017F;orgen, daß<lb/>
&#x201E;ihr glu&#x0364;cklich werden mo&#x0364;gt, &#x017F;o viel ich nur kann.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Rede drang <hi rendition="#g">Stilling</hi> durch Mark und Bein, er<lb/>
wurde blaß und die Thra&#x0364;nen &#x017F;tanden ihm in den Augen. Er<lb/>
hatte &#x017F;ich die Sache vorge&#x017F;tellt, wie &#x017F;ie war, und nicht, wie<lb/>
&#x017F;ie ausgelegt werden ko&#x0364;nnte; doch &#x017F;ah er ein, daß &#x017F;ein Vetter<lb/>
ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm<lb/>
&#x017F;ich vor, in Zukunft a&#x0364;ußer&#x017F;t behut&#x017F;am zu &#x017F;eyn. Doch bedauerte<lb/>
er bei &#x017F;ich &#x017F;elber, daß &#x017F;eine mehr&#x017F;ten Amtsbru&#x0364;der mit weniger<lb/>
Ge&#x017F;chicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Glu&#x0364;ck geno&#x0364;ßen,<lb/>
als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu<lb/>
thun, was doch wohl der himmli&#x017F;che Vater noch mit ihm vor-<lb/>
haben mo&#x0364;chte. Als er nach Haus kam, ku&#x0364;ndigte er mit innig-<lb/>
&#x017F;ter Wehmuth &#x017F;einer Gemeinde an, daß er abdanken wollte.<lb/>
Der gro&#x0364;ßte Theil er&#x017F;taunte, der bo&#x0364;&#x017F;e&#x017F;te Theil aber war froh,<lb/>
denn &#x017F;ie hatten &#x017F;chon Jemand im Vor&#x017F;chlag, der &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
zu ihren Ab&#x017F;ichten &#x017F;chickte, und nun hinderte &#x017F;ie Niemand mehr,<lb/>
die&#x017F;elben zu erreichen. Die Frau <hi rendition="#g">Schmoll</hi> und ihre To&#x0364;chtern<lb/>
konnten &#x017F;ich am u&#x0364;bel&#x017F;ten darein finden, denn Er&#x017F;tere liebte ihn,<lb/>
und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund-<lb/>
&#x017F;chaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder ha&#x0364;tte in er&#x017F;tern<lb/>
Brand gerathen ko&#x0364;nnen, wenn er &#x017F;ich za&#x0364;rtlicher gegen &#x017F;ie ausge-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, oder daß &#x017F;ie eine andere Mo&#x0364;glichkeit, den erwu&#x0364;n&#x017F;chten<lb/>
Zweck zu erreichen, gea&#x0364;ußert ha&#x0364;tte. Sie weinten alle drei und<lb/>
fu&#x0364;rchteten den Tag des Ab&#x017F;chiedes; doch der kam mehr als<lb/>
zu fru&#x0364;h. Die Ma&#x0364;dchen ver&#x017F;anken in &#x017F;tummen Schmerz, Frau<lb/><hi rendition="#g">Schmoll</hi> aber weinte; <hi rendition="#g">Stilling</hi> ging wie ein Trunkener;<lb/>
&#x017F;ie hielten an ihm an, &#x017F;ie oft zu be&#x017F;uchen; er ver&#x017F;prach das<lb/>
und taumelte wieder mitternachtwa&#x0364;rts den Berg hinauf; auf<lb/>
der Ho&#x0364;he &#x017F;ah er &#x017F;ich nochmals nach &#x017F;einem lieben <hi rendition="#g">Prei&#x017F;in-<lb/>
gen</hi> um, &#x017F;etzte &#x017F;ich hin und weinte. Ja! dachte er, <hi rendition="#g">Lampe</hi><lb/>
&#x017F;ingt wohl recht: <hi rendition="#g">Mein Leben i&#x017F;t ein Pilgrim&#x017F;tand</hi><lb/>
&#x2014; Da geh&#x2019; ich &#x017F;chon das drittemal wieder an das Schneider-<lb/>
handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0160] „ten ſich einen andern Schulmeiſter waͤhlen. Ihr bleibt als- „dann in Ehren und es wird nicht lange waͤhren, ſo werdet „ihr eine beſſere Schule bekommen, als dieſe, die ihr bedient „habt. Ich werde euch indeſſen lieb haben und ſorgen, daß „ihr gluͤcklich werden moͤgt, ſo viel ich nur kann.“ Dieſe Rede drang Stilling durch Mark und Bein, er wurde blaß und die Thraͤnen ſtanden ihm in den Augen. Er hatte ſich die Sache vorgeſtellt, wie ſie war, und nicht, wie ſie ausgelegt werden koͤnnte; doch ſah er ein, daß ſein Vetter ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm ſich vor, in Zukunft aͤußerſt behutſam zu ſeyn. Doch bedauerte er bei ſich ſelber, daß ſeine mehrſten Amtsbruͤder mit weniger Geſchicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Gluͤck genoͤßen, als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu thun, was doch wohl der himmliſche Vater noch mit ihm vor- haben moͤchte. Als er nach Haus kam, kuͤndigte er mit innig- ſter Wehmuth ſeiner Gemeinde an, daß er abdanken wollte. Der groͤßte Theil erſtaunte, der boͤſeſte Theil aber war froh, denn ſie hatten ſchon Jemand im Vorſchlag, der ſich beſſer zu ihren Abſichten ſchickte, und nun hinderte ſie Niemand mehr, dieſelben zu erreichen. Die Frau Schmoll und ihre Toͤchtern konnten ſich am uͤbelſten darein finden, denn Erſtere liebte ihn, und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund- ſchaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder haͤtte in erſtern Brand gerathen koͤnnen, wenn er ſich zaͤrtlicher gegen ſie ausge- laſſen, oder daß ſie eine andere Moͤglichkeit, den erwuͤnſchten Zweck zu erreichen, geaͤußert haͤtte. Sie weinten alle drei und fuͤrchteten den Tag des Abſchiedes; doch der kam mehr als zu fruͤh. Die Maͤdchen verſanken in ſtummen Schmerz, Frau Schmoll aber weinte; Stilling ging wie ein Trunkener; ſie hielten an ihm an, ſie oft zu beſuchen; er verſprach das und taumelte wieder mitternachtwaͤrts den Berg hinauf; auf der Hoͤhe ſah er ſich nochmals nach ſeinem lieben Preiſin- gen um, ſetzte ſich hin und weinte. Ja! dachte er, Lampe ſingt wohl recht: Mein Leben iſt ein Pilgrimſtand — Da geh’ ich ſchon das drittemal wieder an das Schneider- handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/160
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/160>, abgerufen am 16.05.2024.