diese bezeichnete er mit Nummern; die Nummern bedeuteten diejenigen Fragen des Heidelbergischen Katechismus, welche die nämliche Zahl hatten; diese Blätter wurden von vier oder fünf Kindern gemischt, so viel ihrer zusammen spielen wollten, alsdann wie Karten umgegeben und gespielt; die größere Num- mer stach immer die kleinere ab; derjenige, welcher am letzten die höchste Nummer hatte, brauchte nur die Frage zu lernen, die seine Nummer anwies, und wenn er sie schon vorher aus- wendig gelernt hatte, so lernte er nichts bis den andern Tag, die andern aber mußten lernen, was sie für Nummern vor sich liegen hatten, und ihr Glück bestand darin, wenn sie viele der Fragen wußten, die ihnen in ihren Nummern zugefallen waren. Nun hatte Stilling zuweilen das Kartenspielen gesehen und auch sein Spiel davon abstrahirt, allein er ver- stand gar nichts davon, doch wurde es ihm so ausgelegt und die ganze Sache seinem Vetter, dem Herrn Pastor Gold- mann, von der schlimmsten Seite vorgetragen.
Dieser vortreffliche Mann liebte Stilling von Herzen und seine Unvorsichtigkeit schmerzte ihn aus der Maßen; er ließ den Schulmeister zu sich kommen und stellte ihn wegen dieser Sache zu Rede. Stilling erzählte ihm alles frei- müthig, zeigte ihm das Spiel vor und überführte ihn von dem Nutzen, den er dabei verspürt hatte. Allein Herr Gold- mann, der die Welt besser kannte, sagte ihm: "Mein lie- "ber Vetter! man darf heutiges Tags ja nicht blos auf den "Nutzen einer Sache sehen, sondern man muß auch allezeit "wohl erwägen, ob die Mittel, dazu zu gelangen, den Bei- "fall der Menschen haben, sonst erntet man Stank für Dank "und Hohn für Lohn; so gehts euch jetzt, denn eure Bauern "sind so aufgebracht, daß sie euch nicht länger als bis Michae- "lis behalten wollen, sie sind Willens, wenn ihr nicht gut- "willig abdankt, die ganze Sache dem Inspektor anzuzeigen, "und ihr wißt, was der für ein Mann ist. Nun wär' es doch "Schade, wenn die Sache so weit getrieben würde, weil ihr "alsdann hier im Lande nie wieder Schulmeister werden könn- "tet; ich rathe euch deßwegen, danket ab und sagt heute noch "eurer Gemeinde, ihr wäret des Schulhaltens müde, sie möch-
dieſe bezeichnete er mit Nummern; die Nummern bedeuteten diejenigen Fragen des Heidelbergiſchen Katechismus, welche die naͤmliche Zahl hatten; dieſe Blaͤtter wurden von vier oder fuͤnf Kindern gemiſcht, ſo viel ihrer zuſammen ſpielen wollten, alsdann wie Karten umgegeben und geſpielt; die groͤßere Num- mer ſtach immer die kleinere ab; derjenige, welcher am letzten die hoͤchſte Nummer hatte, brauchte nur die Frage zu lernen, die ſeine Nummer anwies, und wenn er ſie ſchon vorher aus- wendig gelernt hatte, ſo lernte er nichts bis den andern Tag, die andern aber mußten lernen, was ſie fuͤr Nummern vor ſich liegen hatten, und ihr Gluͤck beſtand darin, wenn ſie viele der Fragen wußten, die ihnen in ihren Nummern zugefallen waren. Nun hatte Stilling zuweilen das Kartenſpielen geſehen und auch ſein Spiel davon abſtrahirt, allein er ver- ſtand gar nichts davon, doch wurde es ihm ſo ausgelegt und die ganze Sache ſeinem Vetter, dem Herrn Paſtor Gold- mann, von der ſchlimmſten Seite vorgetragen.
Dieſer vortreffliche Mann liebte Stilling von Herzen und ſeine Unvorſichtigkeit ſchmerzte ihn aus der Maßen; er ließ den Schulmeiſter zu ſich kommen und ſtellte ihn wegen dieſer Sache zu Rede. Stilling erzaͤhlte ihm alles frei- muͤthig, zeigte ihm das Spiel vor und uͤberfuͤhrte ihn von dem Nutzen, den er dabei verſpuͤrt hatte. Allein Herr Gold- mann, der die Welt beſſer kannte, ſagte ihm: „Mein lie- „ber Vetter! man darf heutiges Tags ja nicht blos auf den „Nutzen einer Sache ſehen, ſondern man muß auch allezeit „wohl erwaͤgen, ob die Mittel, dazu zu gelangen, den Bei- „fall der Menſchen haben, ſonſt erntet man Stank fuͤr Dank „und Hohn fuͤr Lohn; ſo gehts euch jetzt, denn eure Bauern „ſind ſo aufgebracht, daß ſie euch nicht laͤnger als bis Michae- „lis behalten wollen, ſie ſind Willens, wenn ihr nicht gut- „willig abdankt, die ganze Sache dem Inſpektor anzuzeigen, „und ihr wißt, was der fuͤr ein Mann iſt. Nun waͤr’ es doch „Schade, wenn die Sache ſo weit getrieben wuͤrde, weil ihr „alsdann hier im Lande nie wieder Schulmeiſter werden koͤnn- „tet; ich rathe euch deßwegen, danket ab und ſagt heute noch „eurer Gemeinde, ihr waͤret des Schulhaltens muͤde, ſie moͤch-
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dieſe bezeichnete er mit Nummern; die Nummern bedeuteten
diejenigen Fragen des Heidelbergiſchen Katechismus, welche
die naͤmliche Zahl hatten; dieſe Blaͤtter wurden von vier oder
fuͤnf Kindern gemiſcht, ſo viel ihrer zuſammen ſpielen wollten,
alsdann wie Karten umgegeben und geſpielt; die groͤßere Num-
mer ſtach immer die kleinere ab; derjenige, welcher am letzten
die hoͤchſte Nummer hatte, brauchte nur die Frage zu lernen,
die ſeine Nummer anwies, und wenn er ſie ſchon vorher aus-
wendig gelernt hatte, ſo lernte er nichts bis den andern Tag,
die andern aber mußten lernen, was ſie fuͤr Nummern vor
ſich liegen hatten, und ihr Gluͤck beſtand darin, wenn ſie viele
der Fragen wußten, die ihnen in ihren Nummern zugefallen
waren. Nun hatte Stilling zuweilen das Kartenſpielen
geſehen und auch ſein Spiel davon abſtrahirt, allein er ver-
ſtand gar nichts davon, doch wurde es ihm ſo ausgelegt und
die ganze Sache ſeinem Vetter, dem Herrn Paſtor Gold-
mann, von der ſchlimmſten Seite vorgetragen.
Dieſer vortreffliche Mann liebte Stilling von Herzen
und ſeine Unvorſichtigkeit ſchmerzte ihn aus der Maßen; er
ließ den Schulmeiſter zu ſich kommen und ſtellte ihn wegen
dieſer Sache zu Rede. Stilling erzaͤhlte ihm alles frei-
muͤthig, zeigte ihm das Spiel vor und uͤberfuͤhrte ihn von
dem Nutzen, den er dabei verſpuͤrt hatte. Allein Herr Gold-
mann, der die Welt beſſer kannte, ſagte ihm: „Mein lie-
„ber Vetter! man darf heutiges Tags ja nicht blos auf den
„Nutzen einer Sache ſehen, ſondern man muß auch allezeit
„wohl erwaͤgen, ob die Mittel, dazu zu gelangen, den Bei-
„fall der Menſchen haben, ſonſt erntet man Stank fuͤr Dank
„und Hohn fuͤr Lohn; ſo gehts euch jetzt, denn eure Bauern
„ſind ſo aufgebracht, daß ſie euch nicht laͤnger als bis Michae-
„lis behalten wollen, ſie ſind Willens, wenn ihr nicht gut-
„willig abdankt, die ganze Sache dem Inſpektor anzuzeigen,
„und ihr wißt, was der fuͤr ein Mann iſt. Nun waͤr’ es doch
„Schade, wenn die Sache ſo weit getrieben wuͤrde, weil ihr
„alsdann hier im Lande nie wieder Schulmeiſter werden koͤnn-
„tet; ich rathe euch deßwegen, danket ab und ſagt heute noch
„eurer Gemeinde, ihr waͤret des Schulhaltens muͤde, ſie moͤch-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/159>, abgerufen am 09.11.2024.
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