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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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Glocke; dieses war das Zeichen, wenn die Gemeinde in einem
außerordentlichen Nothfall schleunigst zusammenberufen werden
sollte. Alle Männer kamen eiligst bei der Kapelle auf einem
grünen Platz zusammen. Nun erzählte ihnen Stilling den
ganzen Vorfall umständlich. Da sah man recht, wie die
verschiedenen Temperamente der Menschen bei einerlei Ursache
verschieden wirken: Einige rasten, die andern waren launigt,
noch Andere waren betrübt, und wieder Andere waren wohl
bei der Sache; diese drückten den Hut aufs Ohr und riefen:
kein T..... soll uns den Schulmeister nehmen! Unter all
diesem Gewirre hatte sich ein junger Mensch, Namens Reh-
kopf
weggeschlichen, er setzte im Wirthshaus eine Vollmacht
auf, mit diesem Papier in der Hand kam er in die Thür
und rief: Wer Gott und den Schulmeister liebt,
der komme her und unterschreibe sich
! Da ging der
ganze Trupp, etwa hundert Bauern, hinein und unterschrie-
ben sich. Noch denselben Tag ging Rehkopf mit zwanzig
Bauern nach Salen und zum Inspektor.

Rehkopf klopfte oder schellte nicht an der Thüre des
Pfarrhauses, sondern ging gerade hinein, die Bauern hinter
ihm her; im Vorhaus begegnete ihnen der Knecht. Wohin,
ihr Leute? rief er, wart! ich will euch melden! Rehkopf
versetzte: geh', fülle deine Weinflasche! wir können uns sel-
ber melden; und so plotzten die zwei und vierzig Füße die
Treppe hinauf und gerade ins Zimmer des Inspektors. Die-
ser saß da im Lehnsessel, er hatte einen damastenen Schlaf-
rock an, eine baumwollene Mütze auf dem Kopf und eine
feine Leidensche Kappe darüber, dabei trank er so ganz ge-
nüglich seine Tasse Chocolade. Er erschrack, setzte seine Tasse
hin und sagte:

"Gott! -- ihr Lait -- was wallt'r?"

Rehkopf antwortete: Wir wollen hören, ob unser Schul-
meister ein Mörder, ein Ehebrecher oder ein Dieb ist?

"Behüt Gott! wer sagt das?"

Herr! Sie sagens oder lassens, Sie behandeln ihn so! Ent-
weder Sie sollen sagen und beweisen, daß er ein Missethäter
ist, und in dem Fall wollen wir ihn selber abschaffen; oder

Glocke; dieſes war das Zeichen, wenn die Gemeinde in einem
außerordentlichen Nothfall ſchleunigſt zuſammenberufen werden
ſollte. Alle Maͤnner kamen eiligſt bei der Kapelle auf einem
gruͤnen Platz zuſammen. Nun erzaͤhlte ihnen Stilling den
ganzen Vorfall umſtaͤndlich. Da ſah man recht, wie die
verſchiedenen Temperamente der Menſchen bei einerlei Urſache
verſchieden wirken: Einige rasten, die andern waren launigt,
noch Andere waren betruͤbt, und wieder Andere waren wohl
bei der Sache; dieſe druͤckten den Hut aufs Ohr und riefen:
kein T..... ſoll uns den Schulmeiſter nehmen! Unter all
dieſem Gewirre hatte ſich ein junger Menſch, Namens Reh-
kopf
weggeſchlichen, er ſetzte im Wirthshaus eine Vollmacht
auf, mit dieſem Papier in der Hand kam er in die Thuͤr
und rief: Wer Gott und den Schulmeiſter liebt,
der komme her und unterſchreibe ſich
! Da ging der
ganze Trupp, etwa hundert Bauern, hinein und unterſchrie-
ben ſich. Noch denſelben Tag ging Rehkopf mit zwanzig
Bauern nach Salen und zum Inſpektor.

Rehkopf klopfte oder ſchellte nicht an der Thuͤre des
Pfarrhauſes, ſondern ging gerade hinein, die Bauern hinter
ihm her; im Vorhaus begegnete ihnen der Knecht. Wohin,
ihr Leute? rief er, wart! ich will euch melden! Rehkopf
verſetzte: geh’, fuͤlle deine Weinflaſche! wir koͤnnen uns ſel-
ber melden; und ſo plotzten die zwei und vierzig Fuͤße die
Treppe hinauf und gerade ins Zimmer des Inſpektors. Die-
ſer ſaß da im Lehnſeſſel, er hatte einen damaſtenen Schlaf-
rock an, eine baumwollene Muͤtze auf dem Kopf und eine
feine Leidenſche Kappe daruͤber, dabei trank er ſo ganz ge-
nuͤglich ſeine Taſſe Chocolade. Er erſchrack, ſetzte ſeine Taſſe
hin und ſagte:

„Gott! — ihr Lait — was wallt’r?“

Rehkopf antwortete: Wir wollen hoͤren, ob unſer Schul-
meiſter ein Moͤrder, ein Ehebrecher oder ein Dieb iſt?

„Behuͤt Gott! wer ſagt das?“

Herr! Sie ſagens oder laſſens, Sie behandeln ihn ſo! Ent-
weder Sie ſollen ſagen und beweiſen, daß er ein Miſſethaͤter
iſt, und in dem Fall wollen wir ihn ſelber abſchaffen; oder

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[162/0170] Glocke; dieſes war das Zeichen, wenn die Gemeinde in einem außerordentlichen Nothfall ſchleunigſt zuſammenberufen werden ſollte. Alle Maͤnner kamen eiligſt bei der Kapelle auf einem gruͤnen Platz zuſammen. Nun erzaͤhlte ihnen Stilling den ganzen Vorfall umſtaͤndlich. Da ſah man recht, wie die verſchiedenen Temperamente der Menſchen bei einerlei Urſache verſchieden wirken: Einige rasten, die andern waren launigt, noch Andere waren betruͤbt, und wieder Andere waren wohl bei der Sache; dieſe druͤckten den Hut aufs Ohr und riefen: kein T..... ſoll uns den Schulmeiſter nehmen! Unter all dieſem Gewirre hatte ſich ein junger Menſch, Namens Reh- kopf weggeſchlichen, er ſetzte im Wirthshaus eine Vollmacht auf, mit dieſem Papier in der Hand kam er in die Thuͤr und rief: Wer Gott und den Schulmeiſter liebt, der komme her und unterſchreibe ſich! Da ging der ganze Trupp, etwa hundert Bauern, hinein und unterſchrie- ben ſich. Noch denſelben Tag ging Rehkopf mit zwanzig Bauern nach Salen und zum Inſpektor. Rehkopf klopfte oder ſchellte nicht an der Thuͤre des Pfarrhauſes, ſondern ging gerade hinein, die Bauern hinter ihm her; im Vorhaus begegnete ihnen der Knecht. Wohin, ihr Leute? rief er, wart! ich will euch melden! Rehkopf verſetzte: geh’, fuͤlle deine Weinflaſche! wir koͤnnen uns ſel- ber melden; und ſo plotzten die zwei und vierzig Fuͤße die Treppe hinauf und gerade ins Zimmer des Inſpektors. Die- ſer ſaß da im Lehnſeſſel, er hatte einen damaſtenen Schlaf- rock an, eine baumwollene Muͤtze auf dem Kopf und eine feine Leidenſche Kappe daruͤber, dabei trank er ſo ganz ge- nuͤglich ſeine Taſſe Chocolade. Er erſchrack, ſetzte ſeine Taſſe hin und ſagte: „Gott! — ihr Lait — was wallt’r?“ Rehkopf antwortete: Wir wollen hoͤren, ob unſer Schul- meiſter ein Moͤrder, ein Ehebrecher oder ein Dieb iſt? „Behuͤt Gott! wer ſagt das?“ Herr! Sie ſagens oder laſſens, Sie behandeln ihn ſo! Ent- weder Sie ſollen ſagen und beweiſen, daß er ein Miſſethaͤter iſt, und in dem Fall wollen wir ihn ſelber abſchaffen; oder

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/170>, abgerufen am 21.11.2024.