Der vorige Schulmeister zu Kleefeld war allgemein ge- liebt gewesen; nun hatte er sich mit einem Mädchen daselbst versprochen, und suchte, um sich besser nähren zu können, mehr Lohn zu bekommen; deßwegen, als er einen Beruf an einen andern Ort erhielt, so stellte er der Gemeinde vor, daß er ziehen würde, wenn man ihm nicht den Lohn erhöhte; er glaubte aber gewiß, man würde ihn um einiges Gelds wil- len nicht weggehen lassen. Allein es schlug ihm fehl, man ließ ihm Freiheit, zu ziehen, und wählte Stilling.
Es ist leicht zu denken, daß die Familie des Mädchens nunmehr alle Kraft anwendete, um Stilling zu stürzen, und dieses bewerkstelligten sie ganz geheim, indem sie den Inspek- tor mit wichtigen Geschenken das ganze Jahr durch überhäuft hatten, so daß er ohne Urtheil und Recht beschloß, ihn weg- zujagen.
Einige Tage nach diesem Vorfall ließ ihn der Präsident ersuchen, zu ihm zu kommen; er ging hin. Der Präsident ließ ihn sitzen und sagte: "Mein Freund Stilling, ich be- "daure Euch von Herzen; und ich hab' Euch zu mir kom- "men lassen, um Euch den besten Rath zu geben, den ich "weiß. Ich habe gehört, daß eure Bauern eine Vollmacht "aufgesetzt haben, um Euch zu schützen, allein sie wird Euch "gar nichts helfen: denn die Sache muß doch im Obercon- "sistorium abgethan werden, und da sitzen lauter Freunde und "Verwandte des Herrn Inspektors. Ihr gewinnt weiter nichts, "als daß er immer bitterer gegen Euch wird und Euch euer "Vaterland zu eng macht. Wann ihr also wieder vors Con- "sistorium kommt, so fordert euern Abschied."
Stilling dankte für diesen treuen Rath und versetzte: Aber meine Ehre leidet darunter! Der Präsident erwiederte: Dafür laßt mich sorgen. Der Schulmeister versprach, dem Rath zu folgen und ging nach Haus; er sagte aber Niemand, was er vorhatte.
Als nun wiederum Consistorium war, so wurde er mit sei- nen Gegnern vorgeladen. Rehkopf aber ging ungerufen nach Salen hin, und sogar ins Vorzimmer der Consistorial- Stube. Stilling kam und wurde zuerst vorgefordert. Der
Der vorige Schulmeiſter zu Kleefeld war allgemein ge- liebt geweſen; nun hatte er ſich mit einem Maͤdchen daſelbſt verſprochen, und ſuchte, um ſich beſſer naͤhren zu koͤnnen, mehr Lohn zu bekommen; deßwegen, als er einen Beruf an einen andern Ort erhielt, ſo ſtellte er der Gemeinde vor, daß er ziehen wuͤrde, wenn man ihm nicht den Lohn erhoͤhte; er glaubte aber gewiß, man wuͤrde ihn um einiges Gelds wil- len nicht weggehen laſſen. Allein es ſchlug ihm fehl, man ließ ihm Freiheit, zu ziehen, und waͤhlte Stilling.
Es iſt leicht zu denken, daß die Familie des Maͤdchens nunmehr alle Kraft anwendete, um Stilling zu ſtuͤrzen, und dieſes bewerkſtelligten ſie ganz geheim, indem ſie den Inſpek- tor mit wichtigen Geſchenken das ganze Jahr durch uͤberhaͤuft hatten, ſo daß er ohne Urtheil und Recht beſchloß, ihn weg- zujagen.
Einige Tage nach dieſem Vorfall ließ ihn der Praͤſident erſuchen, zu ihm zu kommen; er ging hin. Der Praͤſident ließ ihn ſitzen und ſagte: „Mein Freund Stilling, ich be- „daure Euch von Herzen; und ich hab’ Euch zu mir kom- „men laſſen, um Euch den beſten Rath zu geben, den ich „weiß. Ich habe gehoͤrt, daß eure Bauern eine Vollmacht „aufgeſetzt haben, um Euch zu ſchuͤtzen, allein ſie wird Euch „gar nichts helfen: denn die Sache muß doch im Obercon- „ſiſtorium abgethan werden, und da ſitzen lauter Freunde und „Verwandte des Herrn Inſpektors. Ihr gewinnt weiter nichts, „als daß er immer bitterer gegen Euch wird und Euch euer „Vaterland zu eng macht. Wann ihr alſo wieder vors Con- „ſiſtorium kommt, ſo fordert euern Abſchied.“
Stilling dankte fuͤr dieſen treuen Rath und verſetzte: Aber meine Ehre leidet darunter! Der Praͤſident erwiederte: Dafuͤr laßt mich ſorgen. Der Schulmeiſter verſprach, dem Rath zu folgen und ging nach Haus; er ſagte aber Niemand, was er vorhatte.
Als nun wiederum Conſiſtorium war, ſo wurde er mit ſei- nen Gegnern vorgeladen. Rehkopf aber ging ungerufen nach Salen hin, und ſogar ins Vorzimmer der Conſiſtorial- Stube. Stilling kam und wurde zuerſt vorgefordert. Der
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Der vorige Schulmeiſter zu Kleefeld war allgemein ge-
liebt geweſen; nun hatte er ſich mit einem Maͤdchen daſelbſt
verſprochen, und ſuchte, um ſich beſſer naͤhren zu koͤnnen,
mehr Lohn zu bekommen; deßwegen, als er einen Beruf an
einen andern Ort erhielt, ſo ſtellte er der Gemeinde vor, daß
er ziehen wuͤrde, wenn man ihm nicht den Lohn erhoͤhte; er
glaubte aber gewiß, man wuͤrde ihn um einiges Gelds wil-
len nicht weggehen laſſen. Allein es ſchlug ihm fehl, man
ließ ihm Freiheit, zu ziehen, und waͤhlte Stilling.
Es iſt leicht zu denken, daß die Familie des Maͤdchens
nunmehr alle Kraft anwendete, um Stilling zu ſtuͤrzen, und
dieſes bewerkſtelligten ſie ganz geheim, indem ſie den Inſpek-
tor mit wichtigen Geſchenken das ganze Jahr durch uͤberhaͤuft
hatten, ſo daß er ohne Urtheil und Recht beſchloß, ihn weg-
zujagen.
Einige Tage nach dieſem Vorfall ließ ihn der Praͤſident
erſuchen, zu ihm zu kommen; er ging hin. Der Praͤſident
ließ ihn ſitzen und ſagte: „Mein Freund Stilling, ich be-
„daure Euch von Herzen; und ich hab’ Euch zu mir kom-
„men laſſen, um Euch den beſten Rath zu geben, den ich
„weiß. Ich habe gehoͤrt, daß eure Bauern eine Vollmacht
„aufgeſetzt haben, um Euch zu ſchuͤtzen, allein ſie wird Euch
„gar nichts helfen: denn die Sache muß doch im Obercon-
„ſiſtorium abgethan werden, und da ſitzen lauter Freunde und
„Verwandte des Herrn Inſpektors. Ihr gewinnt weiter nichts,
„als daß er immer bitterer gegen Euch wird und Euch euer
„Vaterland zu eng macht. Wann ihr alſo wieder vors Con-
„ſiſtorium kommt, ſo fordert euern Abſchied.“
Stilling dankte fuͤr dieſen treuen Rath und verſetzte:
Aber meine Ehre leidet darunter! Der Praͤſident erwiederte:
Dafuͤr laßt mich ſorgen. Der Schulmeiſter verſprach, dem
Rath zu folgen und ging nach Haus; er ſagte aber Niemand,
was er vorhatte.
Als nun wiederum Conſiſtorium war, ſo wurde er mit ſei-
nen Gegnern vorgeladen. Rehkopf aber ging ungerufen
nach Salen hin, und ſogar ins Vorzimmer der Conſiſtorial-
Stube. Stilling kam und wurde zuerſt vorgefordert. Der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/172>, abgerufen am 21.11.2024.
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