glücks. Aber ich glaube, Ihr Schmelzer wird sitzen, und sie wie Gold im Feuer läutern, und wer weiß, ob sie nicht der- maleinst heller glänzen wird, als ihr Richter, die ihr das Hei- rathen verboten, und wann sie dann ein Kind von ihrem ver- lobten Bräutigam zur Welt brachte, so mußte sie mit dem Merk- zeichen einer Erzhure am Pranger stehen. Wehe den Gesetzge- bern, welche! -- doch ich muß einhalten, ich werde nichts bessern, wohl aber die Sache verschlimmern. Noch ein Weh mit einem Fluch. Weh den Jünglingen, welche ein armes Mädchen blos als ein Werkzug der Wollust anse- hen, und verflucht sey der vor Gott und Menschen, der ein gutes frommes Kind zu Fall bringt und sie hernach im Elend verderben läßt!
Herr Pastor Stollbein hatte indessen Stilling zu Flo- renburg entdeckt, und er ließ ihn rufen, als er die letzte Woche daselbst bei seinem Meister war. Er ging hin. Stollbein saß in einem Sessel und schrieb. Stilling stellte sich hin, mit dem Hut unter dem Arm.
"Wie gehts? Stilling!" fragte der Prediger.
Mir gehts schlecht, Herr Pastor, gerad wie der Taube Noä, die nicht fand, wo ihr Fuß ruhen konnte.
"So geht in den Kasten!"
Ich kann die Thür nicht finden.
Stollbein lachte herzlich und sagte: "Das kann wohl seyn. Euer Vater und ihr nahmets mir gewiß übel, als ich eurem Ohm Simon sagte: Ihr solltet Nähen, denn kurz darauf gin- get ihr ins Preußische und wolltet dem Pastor Stollbein zu Trotz Schulhalten. Ich habs wohl gehört, wie's gegangen hat. Nun, da Ihr lang herumgeflattert habt und die Thüre nicht finden könnt, so ists wieder an mir, daß ich Euch eine zeige."
O Herr Pastor! sagte Stilling: Wenn Sie mir zur Ruhe helfen können, so will ich Sie lieben als einen Engel, den Gott zu meiner Hülfe gesandt hat.
"Ja, Stilling! jetzt ist Gelegenheit vorhanden, zu welcher ich Euch von Jugend auf bestimmt hatte, warum ich darauf trieb, daß Ihr Latein lernen solltet, warum ich so gern sah, daß Ihr am Handwerk bleibet, als es zu Zellberg nicht mit
gluͤcks. Aber ich glaube, Ihr Schmelzer wird ſitzen, und ſie wie Gold im Feuer laͤutern, und wer weiß, ob ſie nicht der- maleinſt heller glaͤnzen wird, als ihr Richter, die ihr das Hei- rathen verboten, und wann ſie dann ein Kind von ihrem ver- lobten Braͤutigam zur Welt brachte, ſo mußte ſie mit dem Merk- zeichen einer Erzhure am Pranger ſtehen. Wehe den Geſetzge- bern, welche! — doch ich muß einhalten, ich werde nichts beſſern, wohl aber die Sache verſchlimmern. Noch ein Weh mit einem Fluch. Weh den Juͤnglingen, welche ein armes Maͤdchen blos als ein Werkzug der Wolluſt anſe- hen, und verflucht ſey der vor Gott und Menſchen, der ein gutes frommes Kind zu Fall bringt und ſie hernach im Elend verderben laͤßt!
Herr Paſtor Stollbein hatte indeſſen Stilling zu Flo- renburg entdeckt, und er ließ ihn rufen, als er die letzte Woche daſelbſt bei ſeinem Meiſter war. Er ging hin. Stollbein ſaß in einem Seſſel und ſchrieb. Stilling ſtellte ſich hin, mit dem Hut unter dem Arm.
„Wie gehts? Stilling!“ fragte der Prediger.
Mir gehts ſchlecht, Herr Paſtor, gerad wie der Taube Noaͤ, die nicht fand, wo ihr Fuß ruhen konnte.
„So geht in den Kaſten!“
Ich kann die Thuͤr nicht finden.
Stollbein lachte herzlich und ſagte: „Das kann wohl ſeyn. Euer Vater und ihr nahmets mir gewiß uͤbel, als ich eurem Ohm Simon ſagte: Ihr ſolltet Naͤhen, denn kurz darauf gin- get ihr ins Preußiſche und wolltet dem Paſtor Stollbein zu Trotz Schulhalten. Ich habs wohl gehoͤrt, wie’s gegangen hat. Nun, da Ihr lang herumgeflattert habt und die Thuͤre nicht finden koͤnnt, ſo iſts wieder an mir, daß ich Euch eine zeige.“
O Herr Paſtor! ſagte Stilling: Wenn Sie mir zur Ruhe helfen koͤnnen, ſo will ich Sie lieben als einen Engel, den Gott zu meiner Huͤlfe geſandt hat.
„Ja, Stilling! jetzt iſt Gelegenheit vorhanden, zu welcher ich Euch von Jugend auf beſtimmt hatte, warum ich darauf trieb, daß Ihr Latein lernen ſolltet, warum ich ſo gern ſah, daß Ihr am Handwerk bleibet, als es zu Zellberg nicht mit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0192"n="184"/>
gluͤcks. Aber ich glaube, Ihr Schmelzer wird ſitzen, und ſie<lb/>
wie Gold im Feuer laͤutern, und wer weiß, ob ſie nicht der-<lb/>
maleinſt heller glaͤnzen wird, als ihr Richter, die ihr das Hei-<lb/>
rathen verboten, und wann ſie dann ein Kind von ihrem ver-<lb/>
lobten Braͤutigam zur Welt brachte, ſo mußte ſie mit dem Merk-<lb/>
zeichen einer Erzhure am Pranger ſtehen. Wehe den Geſetzge-<lb/>
bern, welche! — doch ich muß einhalten, ich werde nichts beſſern,<lb/>
wohl aber die Sache verſchlimmern. Noch ein Weh mit einem<lb/>
Fluch. <hirendition="#g">Weh den Juͤnglingen, welche ein armes<lb/>
Maͤdchen blos als ein Werkzug der Wolluſt anſe-<lb/>
hen, und verflucht ſey der vor Gott und Menſchen,<lb/>
der ein gutes frommes Kind zu Fall bringt und ſie<lb/>
hernach im Elend verderben laͤßt</hi>!</p><lb/><p>Herr Paſtor <hirendition="#g">Stollbein</hi> hatte indeſſen <hirendition="#g">Stilling</hi> zu <hirendition="#g">Flo-<lb/>
renburg</hi> entdeckt, und er ließ ihn rufen, als er die letzte Woche<lb/>
daſelbſt bei ſeinem Meiſter war. Er ging hin. <hirendition="#g">Stollbein</hi><lb/>ſaß in einem Seſſel und ſchrieb. <hirendition="#g">Stilling</hi>ſtellte ſich hin,<lb/>
mit dem Hut unter dem Arm.</p><lb/><p>„Wie gehts? <hirendition="#g">Stilling</hi>!“ fragte der Prediger.</p><lb/><p>Mir gehts ſchlecht, Herr Paſtor, gerad wie der Taube Noaͤ,<lb/>
die nicht fand, wo ihr Fuß ruhen konnte.</p><lb/><p>„So geht in den Kaſten!“</p><lb/><p>Ich kann die Thuͤr nicht finden.</p><lb/><p><hirendition="#g">Stollbein</hi> lachte herzlich und ſagte: „Das kann wohl ſeyn.<lb/>
Euer Vater und ihr nahmets mir gewiß uͤbel, als ich eurem<lb/>
Ohm <hirendition="#g">Simon</hi>ſagte: Ihr ſolltet Naͤhen, denn kurz darauf gin-<lb/>
get ihr ins Preußiſche und wolltet dem Paſtor <hirendition="#g">Stollbein</hi> zu<lb/>
Trotz Schulhalten. Ich habs wohl gehoͤrt, wie’s gegangen hat.<lb/>
Nun, da Ihr lang herumgeflattert habt und die Thuͤre nicht<lb/>
finden koͤnnt, ſo iſts wieder an mir, daß ich Euch eine zeige.“</p><lb/><p>O Herr Paſtor! ſagte <hirendition="#g">Stilling</hi>: Wenn Sie mir zur Ruhe<lb/>
helfen koͤnnen, ſo will ich Sie lieben als einen Engel, den Gott<lb/>
zu meiner Huͤlfe geſandt hat.</p><lb/><p>„Ja, <hirendition="#g">Stilling</hi>! jetzt iſt Gelegenheit vorhanden, zu welcher<lb/>
ich Euch von Jugend auf beſtimmt hatte, warum ich darauf<lb/>
trieb, daß Ihr Latein lernen ſolltet, warum ich ſo gern ſah,<lb/>
daß Ihr am Handwerk bleibet, als es zu <hirendition="#g">Zellberg</hi> nicht mit<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[184/0192]
gluͤcks. Aber ich glaube, Ihr Schmelzer wird ſitzen, und ſie
wie Gold im Feuer laͤutern, und wer weiß, ob ſie nicht der-
maleinſt heller glaͤnzen wird, als ihr Richter, die ihr das Hei-
rathen verboten, und wann ſie dann ein Kind von ihrem ver-
lobten Braͤutigam zur Welt brachte, ſo mußte ſie mit dem Merk-
zeichen einer Erzhure am Pranger ſtehen. Wehe den Geſetzge-
bern, welche! — doch ich muß einhalten, ich werde nichts beſſern,
wohl aber die Sache verſchlimmern. Noch ein Weh mit einem
Fluch. Weh den Juͤnglingen, welche ein armes
Maͤdchen blos als ein Werkzug der Wolluſt anſe-
hen, und verflucht ſey der vor Gott und Menſchen,
der ein gutes frommes Kind zu Fall bringt und ſie
hernach im Elend verderben laͤßt!
Herr Paſtor Stollbein hatte indeſſen Stilling zu Flo-
renburg entdeckt, und er ließ ihn rufen, als er die letzte Woche
daſelbſt bei ſeinem Meiſter war. Er ging hin. Stollbein
ſaß in einem Seſſel und ſchrieb. Stilling ſtellte ſich hin,
mit dem Hut unter dem Arm.
„Wie gehts? Stilling!“ fragte der Prediger.
Mir gehts ſchlecht, Herr Paſtor, gerad wie der Taube Noaͤ,
die nicht fand, wo ihr Fuß ruhen konnte.
„So geht in den Kaſten!“
Ich kann die Thuͤr nicht finden.
Stollbein lachte herzlich und ſagte: „Das kann wohl ſeyn.
Euer Vater und ihr nahmets mir gewiß uͤbel, als ich eurem
Ohm Simon ſagte: Ihr ſolltet Naͤhen, denn kurz darauf gin-
get ihr ins Preußiſche und wolltet dem Paſtor Stollbein zu
Trotz Schulhalten. Ich habs wohl gehoͤrt, wie’s gegangen hat.
Nun, da Ihr lang herumgeflattert habt und die Thuͤre nicht
finden koͤnnt, ſo iſts wieder an mir, daß ich Euch eine zeige.“
O Herr Paſtor! ſagte Stilling: Wenn Sie mir zur Ruhe
helfen koͤnnen, ſo will ich Sie lieben als einen Engel, den Gott
zu meiner Huͤlfe geſandt hat.
„Ja, Stilling! jetzt iſt Gelegenheit vorhanden, zu welcher
ich Euch von Jugend auf beſtimmt hatte, warum ich darauf
trieb, daß Ihr Latein lernen ſolltet, warum ich ſo gern ſah,
daß Ihr am Handwerk bleibet, als es zu Zellberg nicht mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/192>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.