ihn und weissagte ihm viel Gutes. Nun rüstete sich der ehr- liche Mann auch, um seine Schicksale zu erzählen; das that er einem Jeden, der nur Lust hatte, ihm zuzuhören; dieses ge- schah vor, während und nach dem Mittagessen. Die jungen Leute, welche seines Bruders Kinder waren, mochten das alles wohl hundertmal gehört haben; sie merkten nicht sonderlich auf, doch bekräftigten sie zuweilen Etwas, das unglaublich war. Stilling hörte indessen fleißiger zu, denn Erzählen war doch ohnehin seine Lieblingssache. Conrad Brauer fing folgen- dermaßen an:
"Ich bin der älteste unter dreien Brüdern; der mittlere ist ein reicher Kaufmann an diesem Ort, und der jüngste war der Vater dieser Kinder, deren Mutter vor einigen Jahren, mein Bruder aber vor wenig Wochen gestorben ist. Ich legte mich in meiner Jugend aufs Wollenweberhandwerk, und da wir von unsern Eltern nichts ererbt hatten, so führte ich meine beiden Brüder mit dazu an; doch der Jüngste that eine gute Heirath hier in dieses Haus; er verließ also das Handwerk und wurde ein Wirth. Ich und mein mittelster Bruder setzten unterdessen die Fabrik fort. Ich war glücklich und kam unter Gottes Se- gen in eine gute Handlung, so, daß ich Wohlstand und Reich- thum erlangte; ich ließ es meinen mittleren Bruder reichlich genießen. Ja, Gott weiß, daß ichs gethan habe!"
"Indessen fing mein Bruder eine sonderbare Freierei an. Hier in der Nähe wohnte eine alte Frauensperson, die wenig- stens sechzig Jahr alt und dabei aus der maßen häßlich war, so, daß man sie auch wegen ihrer übermäßigen Unreinlichkeit, so zu sagen, mit keiner Zange hätte aufassen sollen. Diese alte Jungfer war sehr reich, dabei aber so geizig, daß sie kaum satt Brod und Wasser genoß. Die gemeine Rede ging: daß sie ihr vieles Geld in einem Sack habe, den sie an einem ganz unbekannten Ort verborgen hätte. Mein Bruder ging dahin und suchte das ausgelöschte Feuer dieser Person wiederum an- zuzünden; es gelang ihm auch nach Wunsch, sie wurde ver- liebt in ihn und er auch in sie, so daß Trauung und Hoch- zeit bald vor sich gingen. Mit der Entdeckung des Hausgö- tzen wollte es aber lange nicht recht fort, doch gerieth es mei-
ihn und weiſſagte ihm viel Gutes. Nun ruͤſtete ſich der ehr- liche Mann auch, um ſeine Schickſale zu erzaͤhlen; das that er einem Jeden, der nur Luſt hatte, ihm zuzuhoͤren; dieſes ge- ſchah vor, waͤhrend und nach dem Mittageſſen. Die jungen Leute, welche ſeines Bruders Kinder waren, mochten das alles wohl hundertmal gehoͤrt haben; ſie merkten nicht ſonderlich auf, doch bekraͤftigten ſie zuweilen Etwas, das unglaublich war. Stilling hoͤrte indeſſen fleißiger zu, denn Erzaͤhlen war doch ohnehin ſeine Lieblingsſache. Conrad Brauer fing folgen- dermaßen an:
„Ich bin der aͤlteſte unter dreien Bruͤdern; der mittlere iſt ein reicher Kaufmann an dieſem Ort, und der juͤngſte war der Vater dieſer Kinder, deren Mutter vor einigen Jahren, mein Bruder aber vor wenig Wochen geſtorben iſt. Ich legte mich in meiner Jugend aufs Wollenweberhandwerk, und da wir von unſern Eltern nichts ererbt hatten, ſo fuͤhrte ich meine beiden Bruͤder mit dazu an; doch der Juͤngſte that eine gute Heirath hier in dieſes Haus; er verließ alſo das Handwerk und wurde ein Wirth. Ich und mein mittelſter Bruder ſetzten unterdeſſen die Fabrik fort. Ich war gluͤcklich und kam unter Gottes Se- gen in eine gute Handlung, ſo, daß ich Wohlſtand und Reich- thum erlangte; ich ließ es meinen mittleren Bruder reichlich genießen. Ja, Gott weiß, daß ichs gethan habe!“
„Indeſſen fing mein Bruder eine ſonderbare Freierei an. Hier in der Naͤhe wohnte eine alte Frauensperſon, die wenig- ſtens ſechzig Jahr alt und dabei aus der maßen haͤßlich war, ſo, daß man ſie auch wegen ihrer uͤbermaͤßigen Unreinlichkeit, ſo zu ſagen, mit keiner Zange haͤtte aufaſſen ſollen. Dieſe alte Jungfer war ſehr reich, dabei aber ſo geizig, daß ſie kaum ſatt Brod und Waſſer genoß. Die gemeine Rede ging: daß ſie ihr vieles Geld in einem Sack habe, den ſie an einem ganz unbekannten Ort verborgen haͤtte. Mein Bruder ging dahin und ſuchte das ausgeloͤſchte Feuer dieſer Perſon wiederum an- zuzuͤnden; es gelang ihm auch nach Wunſch, ſie wurde ver- liebt in ihn und er auch in ſie, ſo daß Trauung und Hoch- zeit bald vor ſich gingen. Mit der Entdeckung des Hausgoͤ- tzen wollte es aber lange nicht recht fort, doch gerieth es mei-
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ihn und weiſſagte ihm viel Gutes. Nun ruͤſtete ſich der ehr-
liche Mann auch, um ſeine Schickſale zu erzaͤhlen; das that
er einem Jeden, der nur Luſt hatte, ihm zuzuhoͤren; dieſes ge-
ſchah vor, waͤhrend und nach dem Mittageſſen. Die jungen
Leute, welche ſeines Bruders Kinder waren, mochten das alles
wohl hundertmal gehoͤrt haben; ſie merkten nicht ſonderlich auf,
doch bekraͤftigten ſie zuweilen Etwas, das unglaublich war.
Stilling hoͤrte indeſſen fleißiger zu, denn Erzaͤhlen war doch
ohnehin ſeine Lieblingsſache. Conrad Brauer fing folgen-
dermaßen an:
„Ich bin der aͤlteſte unter dreien Bruͤdern; der mittlere iſt
ein reicher Kaufmann an dieſem Ort, und der juͤngſte war der
Vater dieſer Kinder, deren Mutter vor einigen Jahren, mein
Bruder aber vor wenig Wochen geſtorben iſt. Ich legte mich
in meiner Jugend aufs Wollenweberhandwerk, und da wir von
unſern Eltern nichts ererbt hatten, ſo fuͤhrte ich meine beiden
Bruͤder mit dazu an; doch der Juͤngſte that eine gute Heirath
hier in dieſes Haus; er verließ alſo das Handwerk und wurde
ein Wirth. Ich und mein mittelſter Bruder ſetzten unterdeſſen
die Fabrik fort. Ich war gluͤcklich und kam unter Gottes Se-
gen in eine gute Handlung, ſo, daß ich Wohlſtand und Reich-
thum erlangte; ich ließ es meinen mittleren Bruder reichlich
genießen. Ja, Gott weiß, daß ichs gethan habe!“
„Indeſſen fing mein Bruder eine ſonderbare Freierei an.
Hier in der Naͤhe wohnte eine alte Frauensperſon, die wenig-
ſtens ſechzig Jahr alt und dabei aus der maßen haͤßlich war,
ſo, daß man ſie auch wegen ihrer uͤbermaͤßigen Unreinlichkeit,
ſo zu ſagen, mit keiner Zange haͤtte aufaſſen ſollen. Dieſe
alte Jungfer war ſehr reich, dabei aber ſo geizig, daß ſie kaum
ſatt Brod und Waſſer genoß. Die gemeine Rede ging: daß
ſie ihr vieles Geld in einem Sack habe, den ſie an einem ganz
unbekannten Ort verborgen haͤtte. Mein Bruder ging dahin
und ſuchte das ausgeloͤſchte Feuer dieſer Perſon wiederum an-
zuzuͤnden; es gelang ihm auch nach Wunſch, ſie wurde ver-
liebt in ihn und er auch in ſie, ſo daß Trauung und Hoch-
zeit bald vor ſich gingen. Mit der Entdeckung des Hausgoͤ-
tzen wollte es aber lange nicht recht fort, doch gerieth es mei-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/212>, abgerufen am 09.11.2024.
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