Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

nem braven Bruder endlich auch, er fand ihn und brachte ihn
mit Freuden in Sicherheit; das kränkte nun die gute Schwä-
gerin, daß sie die Auszehrung bekam und zu großer Freude
meines Bruders starb."

"Er hielt ehrlich die Trauerzeit aus, suchte sich aber unter
der Hand eine junge, die ungefähr so schwer seyn mochte, als
er ganz unschuldiger Weise geworden war; diese nahm er und
nun fing er an, mit seinem Geld zu wuchern, und zwar auf
meine Unkosten; denn er handelte mit wollen Tuch, und so
stach er mir alle meine Handlungsfreunde ab, indem er immer
die Waaren wohlfeiler umschlug, als ich. Hierüber fing ich
an, zurückzugehen, und meine Sachen verschlimmerten sich von
Tag zu Tag. Dieses sah er wohl, er fing an, freundlich ge-
gen mich zu seyn, und versprach mir Geld vorzuschießen, so
viel ich nöthig haben würde; ich war so thöricht, ihm zu glan-
ben; als es ihm Zeit däuchte, nahm er mir alles, was ich auf
der Welt hatte; meine Frau kränkte sich zu todt und ich lebe
in Elend, Hunger und Kummer; meinen seligen Bruder hier
im Haus hat er auf eben die Weise aufgefressen."

Ja, das ist wahr! sagten die drei Kinder und weinten.

Stilling hörte diese Geschichte mit Entsetzen; er sagte:
das ist wohl einer von den abscheulichsten Menschen unter der
Sonne, dem wird's in jener Welt sauer eingetränkt werden.

Ja, sagte der alte Brauer, darauf lassen's solche Leute
ankommen.

Nach dem Essen ging Stilling an ein Clavier, das an
der Wand stand, spielte und sang dazu: Wer nur den lie-
ben Gott läßt walten
. Der Alte faltete die Hände und
sang aus vollem Halse mit, so daß ihm die Thränen über die
Wangen herab rollten, deßgleichen thaten auch die drei jungen
Leute.

Nun bezahlte Stilling, was er verzehrt hatte, gab einem
jeden die Hand und nahm Abschied. Alle waren vertraulich
mit ihm und begleiteten ihn vor die Hausthüre, wo sie ihm
noch einmal alle Viere die Hand gaben und ihn dem Schutz
Gottes empfahlen.

Er wanderte also wiederum die Schönenthaler Landstraße fort

nem braven Bruder endlich auch, er fand ihn und brachte ihn
mit Freuden in Sicherheit; das kraͤnkte nun die gute Schwaͤ-
gerin, daß ſie die Auszehrung bekam und zu großer Freude
meines Bruders ſtarb.“

„Er hielt ehrlich die Trauerzeit aus, ſuchte ſich aber unter
der Hand eine junge, die ungefaͤhr ſo ſchwer ſeyn mochte, als
er ganz unſchuldiger Weiſe geworden war; dieſe nahm er und
nun fing er an, mit ſeinem Geld zu wuchern, und zwar auf
meine Unkoſten; denn er handelte mit wollen Tuch, und ſo
ſtach er mir alle meine Handlungsfreunde ab, indem er immer
die Waaren wohlfeiler umſchlug, als ich. Hieruͤber fing ich
an, zuruͤckzugehen, und meine Sachen verſchlimmerten ſich von
Tag zu Tag. Dieſes ſah er wohl, er fing an, freundlich ge-
gen mich zu ſeyn, und verſprach mir Geld vorzuſchießen, ſo
viel ich noͤthig haben wuͤrde; ich war ſo thoͤricht, ihm zu glan-
ben; als es ihm Zeit daͤuchte, nahm er mir alles, was ich auf
der Welt hatte; meine Frau kraͤnkte ſich zu todt und ich lebe
in Elend, Hunger und Kummer; meinen ſeligen Bruder hier
im Haus hat er auf eben die Weiſe aufgefreſſen.“

Ja, das iſt wahr! ſagten die drei Kinder und weinten.

Stilling hoͤrte dieſe Geſchichte mit Entſetzen; er ſagte:
das iſt wohl einer von den abſcheulichſten Menſchen unter der
Sonne, dem wird’s in jener Welt ſauer eingetraͤnkt werden.

Ja, ſagte der alte Brauer, darauf laſſen’s ſolche Leute
ankommen.

Nach dem Eſſen ging Stilling an ein Clavier, das an
der Wand ſtand, ſpielte und ſang dazu: Wer nur den lie-
ben Gott laͤßt walten
. Der Alte faltete die Haͤnde und
ſang aus vollem Halſe mit, ſo daß ihm die Thraͤnen uͤber die
Wangen herab rollten, deßgleichen thaten auch die drei jungen
Leute.

Nun bezahlte Stilling, was er verzehrt hatte, gab einem
jeden die Hand und nahm Abſchied. Alle waren vertraulich
mit ihm und begleiteten ihn vor die Hausthuͤre, wo ſie ihm
noch einmal alle Viere die Hand gaben und ihn dem Schutz
Gottes empfahlen.

Er wanderte alſo wiederum die Schoͤnenthaler Landſtraße fort

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0213" n="205"/>
nem braven Bruder endlich auch, er fand ihn und brachte ihn<lb/>
mit Freuden in Sicherheit; das kra&#x0364;nkte nun die gute Schwa&#x0364;-<lb/>
gerin, daß &#x017F;ie die Auszehrung bekam und zu großer Freude<lb/>
meines Bruders &#x017F;tarb.&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Er hielt ehrlich die Trauerzeit aus, &#x017F;uchte &#x017F;ich aber unter<lb/>
der Hand eine junge, die ungefa&#x0364;hr &#x017F;o &#x017F;chwer &#x017F;eyn mochte, als<lb/>
er ganz un&#x017F;chuldiger Wei&#x017F;e geworden war; die&#x017F;e nahm er und<lb/>
nun fing er an, mit &#x017F;einem Geld zu wuchern, und zwar auf<lb/>
meine Unko&#x017F;ten; denn er handelte mit wollen Tuch, und &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tach er mir alle meine Handlungsfreunde ab, indem er immer<lb/>
die Waaren wohlfeiler um&#x017F;chlug, als ich. Hieru&#x0364;ber fing ich<lb/>
an, zuru&#x0364;ckzugehen, und meine Sachen ver&#x017F;chlimmerten &#x017F;ich von<lb/>
Tag zu Tag. Die&#x017F;es &#x017F;ah er wohl, er fing an, freundlich ge-<lb/>
gen mich zu &#x017F;eyn, und ver&#x017F;prach mir Geld vorzu&#x017F;chießen, &#x017F;o<lb/>
viel ich no&#x0364;thig haben wu&#x0364;rde; ich war &#x017F;o tho&#x0364;richt, ihm zu glan-<lb/>
ben; als es ihm Zeit da&#x0364;uchte, nahm er mir alles, was ich auf<lb/>
der Welt hatte; meine Frau kra&#x0364;nkte &#x017F;ich zu todt und ich lebe<lb/>
in Elend, Hunger und Kummer; meinen &#x017F;eligen Bruder hier<lb/>
im Haus hat er auf eben die Wei&#x017F;e aufgefre&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ja, das i&#x017F;t wahr! &#x017F;agten die drei Kinder und weinten.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> ho&#x0364;rte die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte mit Ent&#x017F;etzen; er &#x017F;agte:<lb/>
das i&#x017F;t wohl einer von den ab&#x017F;cheulich&#x017F;ten Men&#x017F;chen unter der<lb/>
Sonne, dem wird&#x2019;s in jener Welt &#x017F;auer eingetra&#x0364;nkt werden.</p><lb/>
            <p>Ja, &#x017F;agte der alte <hi rendition="#g">Brauer</hi>, darauf la&#x017F;&#x017F;en&#x2019;s &#x017F;olche Leute<lb/>
ankommen.</p><lb/>
            <p>Nach dem E&#x017F;&#x017F;en ging <hi rendition="#g">Stilling</hi> an ein Clavier, das an<lb/>
der Wand &#x017F;tand, &#x017F;pielte und &#x017F;ang dazu: <hi rendition="#g">Wer nur den lie-<lb/>
ben Gott la&#x0364;ßt walten</hi>. Der Alte faltete die Ha&#x0364;nde und<lb/>
&#x017F;ang aus vollem Hal&#x017F;e mit, &#x017F;o daß ihm die Thra&#x0364;nen u&#x0364;ber die<lb/>
Wangen herab rollten, deßgleichen thaten auch die drei jungen<lb/>
Leute.</p><lb/>
            <p>Nun bezahlte <hi rendition="#g">Stilling</hi>, was er verzehrt hatte, gab einem<lb/>
jeden die Hand und nahm Ab&#x017F;chied. Alle waren vertraulich<lb/>
mit ihm und begleiteten ihn vor die Hausthu&#x0364;re, wo &#x017F;ie ihm<lb/>
noch einmal alle Viere die Hand gaben und ihn dem Schutz<lb/>
Gottes empfahlen.</p><lb/>
            <p>Er wanderte al&#x017F;o wiederum die Scho&#x0364;nenthaler Land&#x017F;traße fort<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0213] nem braven Bruder endlich auch, er fand ihn und brachte ihn mit Freuden in Sicherheit; das kraͤnkte nun die gute Schwaͤ- gerin, daß ſie die Auszehrung bekam und zu großer Freude meines Bruders ſtarb.“ „Er hielt ehrlich die Trauerzeit aus, ſuchte ſich aber unter der Hand eine junge, die ungefaͤhr ſo ſchwer ſeyn mochte, als er ganz unſchuldiger Weiſe geworden war; dieſe nahm er und nun fing er an, mit ſeinem Geld zu wuchern, und zwar auf meine Unkoſten; denn er handelte mit wollen Tuch, und ſo ſtach er mir alle meine Handlungsfreunde ab, indem er immer die Waaren wohlfeiler umſchlug, als ich. Hieruͤber fing ich an, zuruͤckzugehen, und meine Sachen verſchlimmerten ſich von Tag zu Tag. Dieſes ſah er wohl, er fing an, freundlich ge- gen mich zu ſeyn, und verſprach mir Geld vorzuſchießen, ſo viel ich noͤthig haben wuͤrde; ich war ſo thoͤricht, ihm zu glan- ben; als es ihm Zeit daͤuchte, nahm er mir alles, was ich auf der Welt hatte; meine Frau kraͤnkte ſich zu todt und ich lebe in Elend, Hunger und Kummer; meinen ſeligen Bruder hier im Haus hat er auf eben die Weiſe aufgefreſſen.“ Ja, das iſt wahr! ſagten die drei Kinder und weinten. Stilling hoͤrte dieſe Geſchichte mit Entſetzen; er ſagte: das iſt wohl einer von den abſcheulichſten Menſchen unter der Sonne, dem wird’s in jener Welt ſauer eingetraͤnkt werden. Ja, ſagte der alte Brauer, darauf laſſen’s ſolche Leute ankommen. Nach dem Eſſen ging Stilling an ein Clavier, das an der Wand ſtand, ſpielte und ſang dazu: Wer nur den lie- ben Gott laͤßt walten. Der Alte faltete die Haͤnde und ſang aus vollem Halſe mit, ſo daß ihm die Thraͤnen uͤber die Wangen herab rollten, deßgleichen thaten auch die drei jungen Leute. Nun bezahlte Stilling, was er verzehrt hatte, gab einem jeden die Hand und nahm Abſchied. Alle waren vertraulich mit ihm und begleiteten ihn vor die Hausthuͤre, wo ſie ihm noch einmal alle Viere die Hand gaben und ihn dem Schutz Gottes empfahlen. Er wanderte alſo wiederum die Schoͤnenthaler Landſtraße fort

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/213
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/213>, abgerufen am 15.05.2024.