Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

was ihnen beliebt; ich weiß wohl, was es ist, das den Men-
schen umkehrt und so ganz verändert.

Diesen Sonntag, als Obiges geschah, über drei Wochen
ging Stilling des Nachmittags in die Kirche, nach derselben
fiel ihm vor der Kirchthüre ein, den Stadtschulmeister einmal
zu besuchen; er verwunderte sich selbst, daß er das nicht eher
gethan hatte, er ging also stehenden Fußes zu ihm hin; dieser
war ein ansehnlicher braver Mann; er kannte Stillingen schon
und freute sich, denselben bei sich zu sehen; sie tranken Thee
zusammen und rauchten eine Pfeife Tabak dazu. Endlich
fing der Schulmeister an und fragte: Ob er nicht Lust hätte,
eine schöne Condition anzutreten? Flugs war seine Lust dazu
wieder so groß, als sie jemals gewesen. O ja! antwortete
er, das wünscht' ich wohl von Herzen. Der Schulmeister
fuhr fort: Sie kommen just, als wenn Sie gerufen wären;
heut habe ich einen Brief von einem vornehmen Kaufmann
erhalten, der eine halbe Stunde jenseits Holzheim wohnt;
er ersucht mich in demselben, ihm einen guten Haus-Infor-
mator anzuweisen; ich habe an Sie nicht gedacht, bis Sie
eben herein kommen; nun fällt mir ein, daß Sie wohl der
Mann dazu wären; wenn Sie nun die Stelle annehmen wol-
len, so ist gar kein Zweifel mehr, daß Sie sie erhalten wer-
den. Stilling jauchzte innerlich vor Freuden, und glaubte fest,
jetzt sey nun einmal die Stunde seiner Erlösung gekommen;
er sagte also: daß es von jeher sein Zweck gewesen, mit sei-
nen wenigen Talenten Gott und den Nächsten zu dienen, und
er ergreife diese Gelegenheit mit beiden Händen, weil sie eine
Beförderung seines Glücks seyn könne. Daran ist wohl kein
Zweifel, versetzte der Schulmeister: es kommt nur auf Ihre
Aufführung an, so können Sie mit der Zeit freilich glücklich,
und befördert werden; nächsten Posttag will ich dem Herrn
Hochberg schreiben, so werden Sie bald abgeholt werden.

Nach einigen Gesprächen ging Stilling wieder nach Haus.
Er erzählte alsofort diesen Vorfall Herrn Stollbein, deßgleichen
auch dem Meister Nagel und seinen Leuten. Der Herr
Pastor war froh, Meister Nagel und die Seinigen aber trauer-
ten, sie wendeten alle Beredtsamkeit an, um ihn bei sich zu

was ihnen beliebt; ich weiß wohl, was es iſt, das den Men-
ſchen umkehrt und ſo ganz veraͤndert.

Dieſen Sonntag, als Obiges geſchah, uͤber drei Wochen
ging Stilling des Nachmittags in die Kirche, nach derſelben
fiel ihm vor der Kirchthuͤre ein, den Stadtſchulmeiſter einmal
zu beſuchen; er verwunderte ſich ſelbſt, daß er das nicht eher
gethan hatte, er ging alſo ſtehenden Fußes zu ihm hin; dieſer
war ein anſehnlicher braver Mann; er kannte Stillingen ſchon
und freute ſich, denſelben bei ſich zu ſehen; ſie tranken Thee
zuſammen und rauchten eine Pfeife Tabak dazu. Endlich
fing der Schulmeiſter an und fragte: Ob er nicht Luſt haͤtte,
eine ſchoͤne Condition anzutreten? Flugs war ſeine Luſt dazu
wieder ſo groß, als ſie jemals geweſen. O ja! antwortete
er, das wuͤnſcht’ ich wohl von Herzen. Der Schulmeiſter
fuhr fort: Sie kommen juſt, als wenn Sie gerufen waͤren;
heut habe ich einen Brief von einem vornehmen Kaufmann
erhalten, der eine halbe Stunde jenſeits Holzheim wohnt;
er erſucht mich in demſelben, ihm einen guten Haus-Infor-
mator anzuweiſen; ich habe an Sie nicht gedacht, bis Sie
eben herein kommen; nun faͤllt mir ein, daß Sie wohl der
Mann dazu waͤren; wenn Sie nun die Stelle annehmen wol-
len, ſo iſt gar kein Zweifel mehr, daß Sie ſie erhalten wer-
den. Stilling jauchzte innerlich vor Freuden, und glaubte feſt,
jetzt ſey nun einmal die Stunde ſeiner Erloͤſung gekommen;
er ſagte alſo: daß es von jeher ſein Zweck geweſen, mit ſei-
nen wenigen Talenten Gott und den Naͤchſten zu dienen, und
er ergreife dieſe Gelegenheit mit beiden Haͤnden, weil ſie eine
Befoͤrderung ſeines Gluͤcks ſeyn koͤnne. Daran iſt wohl kein
Zweifel, verſetzte der Schulmeiſter: es kommt nur auf Ihre
Auffuͤhrung an, ſo koͤnnen Sie mit der Zeit freilich gluͤcklich,
und befoͤrdert werden; naͤchſten Poſttag will ich dem Herrn
Hochberg ſchreiben, ſo werden Sie bald abgeholt werden.

Nach einigen Geſpraͤchen ging Stilling wieder nach Haus.
Er erzaͤhlte alſofort dieſen Vorfall Herrn Stollbein, deßgleichen
auch dem Meiſter Nagel und ſeinen Leuten. Der Herr
Paſtor war froh, Meiſter Nagel und die Seinigen aber trauer-
ten, ſie wendeten alle Beredtſamkeit an, um ihn bei ſich zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0220" n="212"/>
was ihnen beliebt; ich weiß wohl, was es i&#x017F;t, das den Men-<lb/>
&#x017F;chen umkehrt und &#x017F;o ganz vera&#x0364;ndert.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;en Sonntag, als Obiges ge&#x017F;chah, u&#x0364;ber drei Wochen<lb/>
ging Stilling des Nachmittags in die Kirche, nach der&#x017F;elben<lb/>
fiel ihm vor der Kirchthu&#x0364;re ein, den Stadt&#x017F;chulmei&#x017F;ter einmal<lb/>
zu be&#x017F;uchen; er verwunderte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, daß er das nicht eher<lb/>
gethan hatte, er ging al&#x017F;o &#x017F;tehenden Fußes zu ihm hin; die&#x017F;er<lb/>
war ein an&#x017F;ehnlicher braver Mann; er kannte Stillingen &#x017F;chon<lb/>
und freute &#x017F;ich, den&#x017F;elben bei &#x017F;ich zu &#x017F;ehen; &#x017F;ie tranken Thee<lb/>
zu&#x017F;ammen und rauchten eine Pfeife Tabak dazu. Endlich<lb/>
fing der Schulmei&#x017F;ter an und fragte: Ob er nicht Lu&#x017F;t ha&#x0364;tte,<lb/>
eine &#x017F;cho&#x0364;ne Condition anzutreten? Flugs war &#x017F;eine Lu&#x017F;t dazu<lb/>
wieder &#x017F;o groß, als &#x017F;ie jemals gewe&#x017F;en. O ja! antwortete<lb/>
er, das wu&#x0364;n&#x017F;cht&#x2019; ich wohl von Herzen. Der Schulmei&#x017F;ter<lb/>
fuhr fort: Sie kommen ju&#x017F;t, als wenn Sie gerufen wa&#x0364;ren;<lb/>
heut habe ich einen Brief von einem vornehmen Kaufmann<lb/>
erhalten, der eine halbe Stunde jen&#x017F;eits <hi rendition="#g">Holzheim</hi> wohnt;<lb/>
er er&#x017F;ucht mich in dem&#x017F;elben, ihm einen guten Haus-Infor-<lb/>
mator anzuwei&#x017F;en; ich habe an Sie nicht gedacht, bis Sie<lb/>
eben herein kommen; nun fa&#x0364;llt mir ein, daß Sie wohl der<lb/>
Mann dazu wa&#x0364;ren; wenn Sie nun die Stelle annehmen wol-<lb/>
len, &#x017F;o i&#x017F;t gar kein Zweifel mehr, daß Sie &#x017F;ie erhalten wer-<lb/>
den. Stilling jauchzte innerlich vor Freuden, und glaubte fe&#x017F;t,<lb/>
jetzt &#x017F;ey nun einmal die Stunde &#x017F;einer Erlo&#x0364;&#x017F;ung gekommen;<lb/>
er &#x017F;agte al&#x017F;o: daß es von jeher &#x017F;ein Zweck gewe&#x017F;en, mit &#x017F;ei-<lb/>
nen wenigen Talenten Gott und den Na&#x0364;ch&#x017F;ten zu dienen, und<lb/>
er ergreife die&#x017F;e Gelegenheit mit beiden Ha&#x0364;nden, weil &#x017F;ie eine<lb/>
Befo&#x0364;rderung &#x017F;eines Glu&#x0364;cks &#x017F;eyn ko&#x0364;nne. Daran i&#x017F;t wohl kein<lb/>
Zweifel, ver&#x017F;etzte der Schulmei&#x017F;ter: es kommt nur auf Ihre<lb/>
Auffu&#x0364;hrung an, &#x017F;o ko&#x0364;nnen Sie mit der Zeit freilich glu&#x0364;cklich,<lb/>
und befo&#x0364;rdert werden; na&#x0364;ch&#x017F;ten Po&#x017F;ttag will ich dem Herrn<lb/><hi rendition="#g">Hochberg</hi> &#x017F;chreiben, &#x017F;o werden Sie bald abgeholt werden.</p><lb/>
            <p>Nach einigen Ge&#x017F;pra&#x0364;chen ging <hi rendition="#g">Stilling</hi> wieder nach Haus.<lb/>
Er erza&#x0364;hlte al&#x017F;ofort die&#x017F;en Vorfall Herrn Stollbein, deßgleichen<lb/>
auch dem Mei&#x017F;ter <hi rendition="#g">Nagel</hi> und &#x017F;einen Leuten. Der Herr<lb/>
Pa&#x017F;tor war froh, Mei&#x017F;ter <hi rendition="#g">Nagel</hi> und die Seinigen aber trauer-<lb/>
ten, &#x017F;ie wendeten alle Beredt&#x017F;amkeit an, um ihn bei &#x017F;ich zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0220] was ihnen beliebt; ich weiß wohl, was es iſt, das den Men- ſchen umkehrt und ſo ganz veraͤndert. Dieſen Sonntag, als Obiges geſchah, uͤber drei Wochen ging Stilling des Nachmittags in die Kirche, nach derſelben fiel ihm vor der Kirchthuͤre ein, den Stadtſchulmeiſter einmal zu beſuchen; er verwunderte ſich ſelbſt, daß er das nicht eher gethan hatte, er ging alſo ſtehenden Fußes zu ihm hin; dieſer war ein anſehnlicher braver Mann; er kannte Stillingen ſchon und freute ſich, denſelben bei ſich zu ſehen; ſie tranken Thee zuſammen und rauchten eine Pfeife Tabak dazu. Endlich fing der Schulmeiſter an und fragte: Ob er nicht Luſt haͤtte, eine ſchoͤne Condition anzutreten? Flugs war ſeine Luſt dazu wieder ſo groß, als ſie jemals geweſen. O ja! antwortete er, das wuͤnſcht’ ich wohl von Herzen. Der Schulmeiſter fuhr fort: Sie kommen juſt, als wenn Sie gerufen waͤren; heut habe ich einen Brief von einem vornehmen Kaufmann erhalten, der eine halbe Stunde jenſeits Holzheim wohnt; er erſucht mich in demſelben, ihm einen guten Haus-Infor- mator anzuweiſen; ich habe an Sie nicht gedacht, bis Sie eben herein kommen; nun faͤllt mir ein, daß Sie wohl der Mann dazu waͤren; wenn Sie nun die Stelle annehmen wol- len, ſo iſt gar kein Zweifel mehr, daß Sie ſie erhalten wer- den. Stilling jauchzte innerlich vor Freuden, und glaubte feſt, jetzt ſey nun einmal die Stunde ſeiner Erloͤſung gekommen; er ſagte alſo: daß es von jeher ſein Zweck geweſen, mit ſei- nen wenigen Talenten Gott und den Naͤchſten zu dienen, und er ergreife dieſe Gelegenheit mit beiden Haͤnden, weil ſie eine Befoͤrderung ſeines Gluͤcks ſeyn koͤnne. Daran iſt wohl kein Zweifel, verſetzte der Schulmeiſter: es kommt nur auf Ihre Auffuͤhrung an, ſo koͤnnen Sie mit der Zeit freilich gluͤcklich, und befoͤrdert werden; naͤchſten Poſttag will ich dem Herrn Hochberg ſchreiben, ſo werden Sie bald abgeholt werden. Nach einigen Geſpraͤchen ging Stilling wieder nach Haus. Er erzaͤhlte alſofort dieſen Vorfall Herrn Stollbein, deßgleichen auch dem Meiſter Nagel und ſeinen Leuten. Der Herr Paſtor war froh, Meiſter Nagel und die Seinigen aber trauer- ten, ſie wendeten alle Beredtſamkeit an, um ihn bei ſich zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/220
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/220>, abgerufen am 15.05.2024.